Medscape Deutschland: Wie hat der Morbus Crohn und die damit verbundenen schlechten Erfahrungen Ihren Blick auf die Medizin und die Patientenrolle verändert?
Farmanfarmaian: Im Alter von 16 Jahren bin sehr krank geworden und leider hat es 13 Jahre gedauert, bis ich richtigerweise mit Morbus Crohn diagnostiziert worden bin. Bis dahin war ich 43 Mal im Krankenhaus und hatte 6 große Eingriffe. Zudem hat mich mein Arzt auf 80 mg Methadon und 7 mg Kortison eingestellt, als ich noch in meinen Zwanzigern war. Die Steroide sorgten dafür, dass meine Nebennieren ihre eigene Produktion von Kortison einstellten. Ich konnte mir aber nicht vorstellen, ein Leben lang von Medikamenten abhängig zu sein. Deshalb habe ich mit 26 Jahren alle meine Ärzte gefeuert.
Ich habe nach einem Team von Ärzten gesucht, die mir helfen würden, von beiden Medikamenten komplett loszukommen. Darüber hinaus haben sie mich richtigerweise mit Morbus Crohn diagnostiziert – mehr als ein Jahrzehnt nach dem Eintritt der ersten Symptome – und mich auf den anti-TN- Alpha-Blocker Infliximab eingestellt. Dieses Medikament hat mich wortwörtlich über Nacht in Remission gebracht. Plötzlich war ich wieder Robin, ohne eine verheerende Krankheit.
Medscape Deutschland: Während Medikamente wie Infliximab das Leben mancher Patienten deutlich verbessern können, bleibt der Morbus Crohn immer noch eine chronische Erkrankung, die manche von ihnen ein Leben lang begleitet. Wie wird der technologische Fortschritt das Leben dieser Menschen künftig verbessern?
Farmanfarmaian: Präzises Monitoring wird ein Game-Changer für die meisten Patienten mit chronischen Erkrankungen sein. Es gibt zum Beispiel einen Prototyp von Sensor der die Darmtätigkeit nach einer Operation misst. Das ist unglaublich nützlich, da die Anästhesie den Darm paralysiert, und dabei die korrekte Nahrungsmittelverarbeitung im Darm für einen gewissen Zeitraum behindert. Die Dauer ist jedoch bei jedem Patienten anders. Und so führt dies zu dem Problem, dass manche Patienten zu früh wieder mit der Nahrungsaufnahme beginnen, und andere zu spät. Wenn man jedoch die Kontraktion im Darm misst, weiß man genau, wann der Patient bereit ist, wieder normal zu essen.
Ein anderes Beispiel dafür, wie Monitoring das Leben vieler Patienten verändern kann, ist die kontinuierliche Messung der Elektrolytspiegel. Unglücklicherweise habe ich erst kürzlich herausgefunden, dass ein Elektrolyt-Ungleichgewicht und ein niedriger Blutglukosespiegel zu epileptischen Anfällen führen können. Und so hatte ich mitten im Restaurant plötzlich einen Grand –Mal-Anfall. Hätte ich allerdings einen Sensor gehabt, der kontinuierlich meinen Glukose- und Elektrolytspiegel misst, hätte ich den Anfall komplett verhindern können.
Neben Sensoren und Monitoring kann die „Crowd” ein sehr effektives Mittel für die Patientenautonomie sein. Noch immer gibt es Tage, an denen es mir nicht gut geht, und an denen ich weder Auto noch Bus fahren kann. An diesen Tagen können selbst die einfachsten Alltags-Tätigkeiten zum Hindernis werden. Mit all den neuen Technologien müssen wir uns allerdings nicht mehr hilflos fühlen. Mit Unternehmen wie Uber, Postmates und Instacart kann jeder seinen persönlichen Fahrer, Koch oder Shopping-Assistenten haben.
Medscape Deutschland: Neben Crowdsourcing-Services sollen Roboter und künstliche Intelligenz künftig eine große Hilfe im Alltag vieler Patienten darstellen. Wie werden sie dem Patienten helfen?
Farmanfarmaian: Sowohl die Entwicklungen von künstlicher Intelligenz als auch der von Robotik sind sehr interessant. Es gibt bereits jetzt voll funktionsfähige Roboter-Arme, die mit einem Brain-Computer-Interface(BCI)- oder Brain-Machine-Interface(BMI)-Mechanismus gesteuert werden können. Das spannende an den Roboter-Gliedmaßen ist, dass sie nicht auf die menschliche Form beschränkt sind – so können sie mit einem viel größerem Bewegungsradius konstruiert werden (denken Sie nur einmal an eine 360 Grad Handbewegung!). Sie können länger, kürzer oder dehnbarer als ihr natürliches Äquivalent sein. Allein die Phantasie begrenzt uns hier in unseren Möglichkeiten.
Wir werden künftig mehr medizinische Roboter sehen – beispielsweise zum Heben oder Tragen von Patienten, als Haushaltshilfen oder als Begleiter. Der Roboter Pepper ist ein emotionaler Roboter, der in Japan für 1.600 US-Dollar verkauft wird – die ersten 1.000 Stück waren bereits nach 60 Sekunden ausverkauft. Es gibt also definitiv einen Markt für emotionale Roboter! Gehen wir noch einen Schritt weiter – und stellen uns vor, diesen Roboter mit BCI zu kontrollieren. Ich denke an etwas, was ich aus dem Kühlschrank möchte, und der Roboter bringt es dann. Kombinieren wir diese Technik mit künstlicher Intelligenz, kann der Roboter auch in einem kritischen Zustand reagieren, beispielsweise bei einem Schlaganfall oder einem Herzinfarkt. So kann er z.B. die lebensrettenden Maßnahmen einleiten, noch bevor der Notarzt bei ihm ankommt.
Medscape Deutschland: Wir danken für das Gespräch.
REFERENZEN:
1. Robin Farmanfarmaian: The Patient as CEO: How Technology Empowers the Healthcare Consumer
Diesen Artikel so zitieren: Der Patient als Geschäftsführer, der Arzt als Consultant: Wieso die Digitalisierung zu mehr Patientenautonomie beiträgt - Medscape - 3. Feb 2016.
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