MEINUNG

Der Patient als Geschäftsführer, der Arzt als Consultant: Wieso die Digitalisierung zu mehr Patientenautonomie beiträgt

Dr. Shari Langemak

Interessenkonflikte

3. Februar 2016

In diesem Artikel

Medscape Deutschland: Wie hat der  Morbus Crohn und die damit verbundenen schlechten Erfahrungen Ihren Blick auf  die Medizin und die Patientenrolle verändert?

Farmanfarmaian: Im Alter von 16  Jahren bin sehr krank geworden und leider hat es 13 Jahre gedauert, bis ich  richtigerweise mit Morbus Crohn diagnostiziert worden bin. Bis dahin war ich 43  Mal im Krankenhaus und hatte 6 große Eingriffe. Zudem hat mich mein Arzt auf 80  mg Methadon und 7 mg Kortison eingestellt, als ich noch in meinen Zwanzigern  war. Die Steroide sorgten dafür, dass meine Nebennieren ihre eigene Produktion  von Kortison einstellten. Ich konnte mir aber nicht vorstellen, ein Leben lang  von Medikamenten abhängig zu sein. Deshalb habe ich mit 26 Jahren alle meine Ärzte  gefeuert.

Ich  habe nach einem Team von Ärzten gesucht, die mir  helfen würden, von beiden Medikamenten komplett loszukommen. Darüber hinaus  haben sie mich richtigerweise mit Morbus Crohn diagnostiziert – mehr als ein  Jahrzehnt nach dem Eintritt der ersten Symptome – und mich auf den anti-TN-  Alpha-Blocker Infliximab eingestellt. Dieses Medikament hat mich wortwörtlich  über Nacht in Remission gebracht. Plötzlich war ich wieder Robin, ohne eine  verheerende Krankheit.

Medscape Deutschland: Während  Medikamente wie Infliximab das Leben mancher Patienten deutlich verbessern  können, bleibt der Morbus Crohn immer noch eine chronische Erkrankung, die  manche von ihnen ein Leben lang begleitet. Wie wird der technologische  Fortschritt das Leben dieser Menschen künftig verbessern?

Farmanfarmaian: Präzises Monitoring  wird ein Game-Changer für die meisten Patienten mit chronischen Erkrankungen  sein. Es gibt zum Beispiel einen Prototyp von Sensor der die Darmtätigkeit nach  einer Operation misst. Das ist unglaublich nützlich, da die Anästhesie den Darm  paralysiert, und dabei die korrekte Nahrungsmittelverarbeitung im Darm für  einen gewissen Zeitraum behindert. Die Dauer ist jedoch bei jedem Patienten  anders. Und so führt dies zu dem Problem, dass manche Patienten zu früh wieder  mit der Nahrungsaufnahme beginnen, und andere zu spät. Wenn man jedoch die  Kontraktion im Darm misst, weiß man genau, wann der Patient bereit ist, wieder  normal zu essen.

Ein  anderes Beispiel dafür, wie Monitoring das Leben vieler Patienten verändern  kann, ist die kontinuierliche Messung der Elektrolytspiegel. Unglücklicherweise  habe ich erst kürzlich herausgefunden, dass ein Elektrolyt-Ungleichgewicht und  ein niedriger Blutglukosespiegel zu epileptischen Anfällen führen können. Und  so hatte ich mitten im Restaurant plötzlich einen Grand –Mal-Anfall. Hätte ich  allerdings einen Sensor gehabt, der kontinuierlich meinen Glukose- und  Elektrolytspiegel misst, hätte ich den Anfall komplett verhindern können.

Neben  Sensoren und Monitoring kann die „Crowd” ein sehr effektives Mittel für die  Patientenautonomie sein. Noch immer gibt es Tage, an denen es mir nicht gut  geht, und an denen ich weder Auto noch Bus fahren kann. An diesen Tagen können  selbst die einfachsten Alltags-Tätigkeiten zum Hindernis werden. Mit all den  neuen Technologien müssen wir uns allerdings nicht mehr hilflos fühlen. Mit  Unternehmen wie Uber, Postmates und Instacart kann jeder seinen persönlichen  Fahrer, Koch oder Shopping-Assistenten haben.

Medscape Deutschland: Neben  Crowdsourcing-Services sollen Roboter und künstliche Intelligenz künftig eine  große Hilfe im Alltag vieler Patienten darstellen. Wie werden sie dem Patienten  helfen?

Farmanfarmaian: Sowohl die Entwicklungen  von künstlicher Intelligenz als auch der von Robotik sind sehr interessant. Es  gibt bereits jetzt voll funktionsfähige Roboter-Arme, die mit einem  Brain-Computer-Interface(BCI)- oder Brain-Machine-Interface(BMI)-Mechanismus  gesteuert werden können. Das spannende an den Roboter-Gliedmaßen ist, dass sie  nicht auf die menschliche Form beschränkt sind – so können sie mit einem viel  größerem Bewegungsradius konstruiert werden (denken Sie nur einmal an eine 360  Grad Handbewegung!). Sie können länger, kürzer  oder dehnbarer als ihr natürliches Äquivalent sein. Allein  die Phantasie begrenzt uns hier in unseren Möglichkeiten.

Wir  werden künftig mehr medizinische Roboter sehen – beispielsweise zum Heben oder  Tragen von Patienten, als Haushaltshilfen oder als Begleiter. Der Roboter  Pepper ist ein emotionaler Roboter, der in Japan für 1.600 US-Dollar verkauft  wird – die ersten 1.000 Stück waren bereits nach 60 Sekunden ausverkauft. Es  gibt also definitiv einen Markt für emotionale Roboter! Gehen wir noch einen  Schritt weiter – und stellen uns vor, diesen Roboter mit BCI zu kontrollieren.  Ich denke an etwas, was ich aus dem Kühlschrank möchte, und der Roboter bringt  es dann. Kombinieren wir diese Technik mit künstlicher Intelligenz, kann der  Roboter auch in einem kritischen Zustand reagieren, beispielsweise bei einem  Schlaganfall oder einem Herzinfarkt. So kann er z.B. die lebensrettenden  Maßnahmen einleiten, noch bevor der Notarzt bei ihm ankommt.

Medscape  Deutschland: Wir danken für das  Gespräch.

REFERENZEN:

1. Robin Farmanfarmaian: The Patient as  CEO: How Technology Empowers the Healthcare Consumer

Kommentar

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