eGK für Flüchtlinge soll Abrechnung für Ärzte erleichtern – doch viele Kommunen stemmen sich dagegen

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

2. Februar 2016

Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) für Flüchtlinge erleichtert die Abrechnung für Ärzte, wie Beispiele aus der Praxis zeigen. Doch bislang gibt es sie in den meisten Bundesländern nicht.

„Durch die eGK haben die Ärzte bei der Abrechnung mehr Sicherheit. Sie bleiben auf ihren Kosten nicht sitzen“, bestätigt der Sprecher der KV Bremen, wo es die eGK bereits gibt, Christoph Fox, auf Anfrage von Medscape Deutschland. „Bei uns funktioniert die Abrechnung sehr gut, es wird von den Ärzten gut angenommen. Das Bremer Modell, die Mutter der eGK, läuft schon seit zehn Jahren“, sagt Fox.

Was Ärzte in den Praxen über die Abrechnung mit der eGK für Flüchtlinge wissen sollten, dazu informiert aktuell auch die KBV. Doch bislang hat – als einziger Flächenstaat – nur Schleswig-Holstein seit Jahresbeginn die eGK für Flüchtlinge eingeführt. Die Stadtstaaten Bremen und Hamburg haben dagegen schon seit einigen Jahren mit der eGK Erfahrungen gesammelt.

Nordrhein-Westfalen will das alte System beibehalten

In Nordrhein-Westfalen (NRW) hat das Land zwar theoretisch den Rahmen dafür geschaffen. Doch die meisten Kommunen weigern sich bisher, die eGK für Flüchtlinge anzubieten. Weil ihnen das offensichtlich zu teuer sei, meint der Sprecher der KV Nordrhein, Dr. Heiko Schmitz, gegenüber Medscape Deutschland.

Die meisten Städte und Gemeinden in NRW wollen demnach lieber das alte System beibehalten: Hier muss sich ein Flüchtling, der sich in den ersten 15 Monaten in Deutschland aufhält, einen Untersuchungsschein beim zuständigen Amt in den Städten und Gemeinden abholen. Der jeweilige Sachbearbeiter entscheidet, ob der Flüchtling überhaupt eine Notfallbehandlung benötigt oder nicht (wie Medscape Deutschland berichtete). Mit der eGK kann der Flüchtling dagegen direkt zum Arzt gehen.

 
Durch die eGK haben die Ärzte bei der Abrechnung mehr Sicherheit. Sie bleiben auf ihren Kosten nicht sitzen. Christoph Fox
 

Es gilt jedoch – ob mit oder ohne Karte – für die Flüchtlinge nur ein eingeschränkter Leistungskatalog. Übernommen werden laut KBV und Asylbewerber-Leistungsgesetz die Kosten bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen. Zudem besteht Anspruch auf Schutzimpfungen und Früherkennungsuntersuchungen sowie Mutterschaftsleistungen.

Besondere Personengruppe mit der „Ziffer 9“

„Welche Leistungen genau dazu gehören, wird teilweise in regionalen Verlautbarungen näher spezifiziert“, so die KBV. Das heißt, dies kann von Land zu Land unterschiedlich sein. In der Regel werde Art und Umfang der notwendigen Leistung jedoch vom behandelnden Vertragsarzt nach medizinischen Erfordernissen zu bestimmen sein.

Beim Einlesen der eGK wird diese Einschränkung für den Arzt durch die Ziffer „9“ deutlich („Besondere Personengruppe“). Eine Kennzeichnung als Flüchtling verbietet sich aus Diskriminierungsgründen. Ziffer „9“ haben auch andere Personengruppen wie zum Beispiel Obdachlose.

Da die Städte und Gemeinden die Kosten für die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge tragen, kaufen sie sich für die eGK die Dienste der Krankenkassen ein, die über die entsprechende Infrastruktur verfügt. Dies sind in der Regel 10 Euro pro Flüchtling. Das ist eine Verwaltungsgebühr, die die Kassen erheben, weil sie Dienstleister sind: 8% der Behandlungskosten, aber mindestens 10 Euro pro Monat. Und vor diesen Kosten scheuten sich die meisten Gemeinden in NRW, so Schmitz.

Steuerzahler in den Kommunen und nicht die GKV finanzieren die Kosten

Doch die eGK soll eigentlich Flüchtlingen, Kommunen und Ärzten das Leben erleichtern, wie Florian Unger vom Verband der Ersatzkassen, Landesvertretung Schleswig-Holstein, gegenüber Medscape Deutschland sagt: „Entscheidend ist, dass die Kommunen mit dem ganzen Papierwust nicht belastet werden. Dies spart der Verwaltung Geld und sie können sich auf ihre Aufgaben konzentrieren. Auch die Ärzte werden entlastet und bekommen sicher ihr Geld“, betont Unger.

 
Entscheidend ist, dass die Kommunen mit dem ganzen Papierwust nicht belastet werden. Dies spart der Verwaltung Geld … Florian Unger
 

Letztlich tragen weder die Kassen noch die Ärzte, sondern die öffentliche Hand die wirtschaftliche Belastung für die Gesundheitsversorgung der Asylsuchenden. Dies seien die Städte und Gemeinden, die dies mit den Steuergeldern der Bürgerinnen und Bürger finanzierten: „Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, so Unger.

Abrechnung budgetär oder extrabudgetär?

Wie die einzelnen Abrechnungen im Detail gehandhabt werden, kann sich ebenfalls von Bundesland zu Bundesland unterscheiden. So läuft es in Schleswig-Holstein: „Wenn die Karte eines Flüchtlings eingelesen wird, dann geht die Abrechnung über die KV. Die KV holt sich das Geld von den Kassen, und die Kassen bekommen das Geld von den Kommunen“, erläutert Unger.

Vergütet wird nach EBM und extrabudgetär. Dabei kann sich der Flüchtling die Kasse nicht aussuchen. Vereinbarungen seien vielmehr mit verschiedenen Kassen getroffen worden, die in ihrem zugeordneten Territorium in den einzelnen kreisfreien Städte und Landkreisen zuständig sind.

Ob jedoch alle Kommunen in Schleswig-Holstein mit Freuden die eGK eingeführt haben, ist eher unwahrscheinlich: Während in NRW die Kommunen freiwillig bei der eGK für Flüchtlinge mitmachen können – oder sich eben auch verweigern –, sind sie in Schleswig-Holstein dazu vom Land verpflichtet worden. Dies war aufgrund einer anderen Kommunalverfassung möglich.

Extrabudgetär werden Impfungen vergütet

In Bremen erfolgt die Abrechnung sowohl budgetär als auch außerbudgetär, erläutert Jörn Hons, Sprecher der AOK Bremen: Die üblichen ambulanten Leistungen werden budgetär vergütet. Wenn also eine Fachgruppe wie Hausärzte in dieser Saison besonders viele Grippe-Patienten behandle, sinke tendenziell der Punktwert für die Einzelleistung – es gebe also weniger Geld dafür.

Kann jedoch eine Praxis nachweisen, dass dort jetzt wesentlich mehr Patienten als im Vorjahresquartal behandelt werden mussten, etwa weil die Praxis neben einem Flüchtlingswohnheim liegt, oder weil der Arzt selbst gebürtiger Syrer ist und viele Landleute zu ihm kommen, könne sie Praxisbesonderheiten bei der KV beantragen. Dann bekomme sie auch ein entsprechend höheres Honorar von der KV zugewiesen.

Extrabudgetär werden zum Beispiel Impfungen vergütet. Das bedeutet, der Punktwert sinkt nicht, wenn die Fachgruppe mehr Patienten wie Flüchtlinge impft. Zu diesen extrabudgetären Leistungen zählen auch z.B. ambulante Operationen oder das Praxismaterial (Verbandsmaterialen).

Aber auch in NRW, das zum größten Teil das alte System beibehalten hat, gebe es keine größeren Probleme mit der Abrechnung, teilt Schmitz gegenüber Medscape Deutschland mit. Dass es in Einzelfällen aber Klärungsbedarf gebe, könne er allerdings nicht ausschließen.

Wenn Ärzte auf ihren Kosten sitzen bleiben

Offen sagt es zwar niemand, aber hinter vorgehaltener Hand weiß man durchaus, dass es im alten Abrechnungssystem mit den Untersuchungsscheinen Fälle gab, in denen Ärzte auf ihren Rechnungen sitzen geblieben sind oder sich zumindest um ihr Geld bemühen mussten, wenn sie die Rechnungen an die zuständige Ämter oder an den Landkreis schickten.

Manchmal bleiben diese Rechnungen einfach in den Ämtern liegen und der vielbeschäftigte Arzt fordert sie nicht ein, berichtet ein Insider, der nicht genannt werden möchte. Die Kommunen rechneten dann offensichtlich damit, dass sie so billiger fahren, wenn eben nichts genau geregelt sei – entweder aus Amtsversagen oder auch aus Kalkül.

Seien aber die Kassen zuständig für das Eintreiben des Geldes, und dies bleibe nicht dem Hausarzt überlassen, dann bekäme dieser sein Geld auch von den Kommunen. „Wenn es nicht richtig geregelt ist, egal mit oder ohne Karte, dann bleibt es an den Ärzten hängen – und die sind dann die Dummen.“

 

Kommentar

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