Frage:
Reicht die Datenlage aus, um den Ruf nach einer allgemeinen Grippeschutzimpfung zu rechtfertigen?
Auf diese Frage antworteten uns Eric A. Biondi und C. Andrew Aligne, Privatdozenten für Kinderheilkunde an der Universität Rochester, New York.

Eric A. Biondi
Die Grippeimpfung ist ein sich jährlich wiederholendes Ritual. Das Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP) [1] und die American Academy of Pediatrics (AAP) [2] empfehlen die jährliche Grippeschutzimpfung für alle gesunden Personen über 6 Monate, bei denen keine Kontraindikationen vorliegen.

C. Andrew Aligne
In einem Interview mit The Atlantic äußerte Tom Jefferson, Vorsitzender der Vaccine Field Group bei der Cochrane Database Collaboration (der weltweit führenden Einrichtung für evidenzbasierte medizinische Reviews), ernste Vorbehalte gegenüber der Datenlage, welche die Impfempfehlungen stützen: „Die meisten der Studien weisen schwerwiegende Fehler auf. ,Schrott‘ ist in diesem Zusammenhang zwar kein wissenschaftlicher Begriff, aber er trifft den Nagel auf den Kopf.“
Ein kritischer Blick auf die Evidenzen wirft weitere Fragen auf. In einem Cochrane-Review von 2012 wurde die Wirksamkeit der Influenza-Impfung bei Kindern untersucht und Folgendes bemerkt:
„[…] Von der Industrie geförderte Studien werden in anerkannteren Fachzeitschriften publiziert und häufiger zitiert als andere Untersuchungen, was jedoch nicht mit der methodologischen Qualität oder der Größe der Studie in Zusammenhang steht. Studien, die mit öffentlichen Geldern finanziert wurden, können vorzugsweise ihre Ergebnisse zu [Influenza-]Impfungen signifikant seltener veröffentlichen… Belastbare Daten zur Influenza-Impfung gibt es nicht viele, allerdings gibt es Hinweise auf ausgedehnte Manipulationen bei den Schlussfolgerungen und ungerechtfertigte Anerkennungen der Studien.“ |
Und ein Cochran-Review von 2014 [5] untersuchte den Vorteil einer Grippeimpfung für Erwachsene einschließlich schwangerer Frauen:
„Die [Influenza-]Impfung hat keinen nennenswerten Einfluss auf die Menge der Krankentage oder der Krankhauseinweisungen.“ |
Wie konnte es soweit kommen? – Eine kurze Geschichte der Grippeimpfung
Wenn die Datenlage für eine allgemeine Empfehlung zur Grippeschutzimpfung schlecht ist, warum setzen sich dann Organisationen wie AAP, ACIP und die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) dafür ein? Wie so oft lohnt es sich auch hier, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, um die Gegenwart zu verstehen.
Bei der großen Grippepandemie von 1918/1919, die sich zeitgleich mit dem 1. Weltkrieg ereignete, starben etwa 50 Millionen Menschen auf der ganzen Welt [6]. Obwohl man damals noch nicht viel über die Ursachen der Pandemie wusste, begannen Ärzte doch, Soldaten verschiedene Impfstoffe zu verabreichen, um irgendwie die Ausbreitung der Seuche zu stoppen.
Im 2. Weltkrieg schickte sich die US-Armee an, so etwas wie 1918 unbedingt zu verhindern, indem sie die Entwicklung eines Grippeimpfstoffes durch Wissenschaftler wie z.B. Jonas Salk förderte [7]. Sein erster Grippeimpfstoff wurde 1944 bei der US-Armee getestet, worauf die Zahl der Erkrankungen mit einer Temperatur über 37,2 °C zurückging [8], was zwar ein ermutigendes Ergebnis war, aber kein Beleg für einen Durchbruch bei der Verhütung schwerer klinischer Verläufe. Eine Verlaufsstudie 1947 ergab, „dass sich die Inzidenz der Erkrankung bei geimpften und nicht geimpften Personen nicht unterschied“ [9].
Mit anderen Worten: In den 1940er Jahren wurde zwar ein Grippeimpfstoff entwickelt, doch es gab keinen Hinweis dafür, dass er schwere Verläufe verhindern konnte. Dennoch wurde der Impfstoff zur Anwendung in der Bevölkerung freigegeben.
Im Jahre 1957 brach sich dann eine neue Pandemie in Form der „asiatischen Grippe“ Bahn. Sie erreichte zwar nicht die Schwere der Pandemie von 1918, doch fielen ihr schließlich weltweit auch 1 – 2 Millionen Menschen zum Opfer [10]. Im Gegenzug wurde ein Impfstoff entwickelt, der in den USA millionenfach verabreicht wurde [11]. Einen spürbaren Einfluss auf den Verlauf der Pandemie hatte die Impfung indes nicht [12].
Diesen Artikel so zitieren: Impfen gegen Influenza: Ein kritischer Blick auf die Datenlage zur Durchimpfung - Medscape - 28. Jan 2016.
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