Stammzellen gegen Amyotrophe Lateralsklerose: Holt ein neuer Versuch „das Geschäft aus der Grauzone“?

Andrea Wille

Interessenkonflikte

20. Januar 2016

Die Stammzelltherapie der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) war nicht zuletzt durch das Düsseldorfer XCell-Center in Verruf geraten. Dort wurde die kaum erprobte Stammzelltherapie als Behandlung gegen ALS angeboten. 2010 starb ein 18 Monate alter Junge an einer Hirnblutung, nachdem ihm dort adulte Stammzellen in den Liquor injiziert worden waren. 2011 wurde das Center geschlossen.

Prof. Dr. Albert Ludolph

Nun wurden kürzlich die Ergebnisse zweier klinischen Studien der Phase 1/2 und 2a in Jama Neurology veröffentlicht [1]. Ein Team israelischer Forscher des Hadassah-Universität in Jerusalem und der Universität in Tel Aviv induzierten mesenchymale Stammzellen dazu, neurotrophe Wachstumsfaktoren (NTFs) zu produzieren und injizierten sie in 24 Patienten mit ALS.

„Endlich legen Forscher, die sich um die Stammzelltherapie der ALS bemühen, die Karten offen. Die Stammzelltherapie bei dieser schweren Erkrankung ist bisher ein Geschäft in der Grauzone. Betroffenen werden viel zu häufig falsche Hoffnungen gemacht“, erklärt Prof. Dr. Albert Ludolph, Leiter der Neurologie der Universitätsklinik Ulm. Und auch dieses Mal sieht Ludolph keinen Grund zur Zuversicht.

Studien aus den 90er Jahren zufolge, steigern NTFs das Überleben von Motorneuronen bei ALS-Patienten. Dennoch linderte eine periphere Injektion von NTFs nicht die Symptome der Erkrankung und ließ die Patienten auch nicht länger überleben. So wurde vermutet, dass die NTFs direkt ins zentrale Nervensystem gelangen müssten, um eine Wirkung zu entfalten.

Stammzellen als Vehikel für NTFs: Ein altes Konzept

 
Die Stammzelltherapie bei dieser schweren Erkrankung (ALS) ist bisher ein Geschäft in der Grauzone. Prof. Dr. Albert Ludolph
 

Normalerweise können NTFs die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden. Im Mausmodell hat sich die intraspinale Transplantation mesenchymaler Zellen als wirksam erwiesen, die Degeneration der Motorneuronen zu verzögern und die Beweglichkeit zu verbessern. „Stammzellen dienen hier als Vehikel, um die Wachstumsfaktoren über die Blut-Hirn-Schranke zu transportieren. Aber es ist nicht entschieden, ob Stammzellen dafür eine gute Wahl sind. Hier wurde ein altes Konzept noch einmal überprüft. Es bestehen ernsthafte Zweifel dass es diesmal erfolgreich ist“, kritisiert Ludolph.

In der 1/2-Phase wurde aus Fettgewebe der Patienten gewonnene mesenchymale Stammzellen 6 Patienten mit einem frühen Stadium der ALS intramuskulär und 6 Patienten mit einem fortgeschrittenem Stadium in den Liquorraum injiziert. Die mesenchymalen Stammzellen sekretieren GDNF (glial cell-derived neurotrophic factor), BDNTF (brain-derived NTF), VEGF (vascular endothelial growth factor) und HGF (hepatocyte growth factor). In der darauffolgenden 2a-Phase wurde 14 Patienten mit ALS im Frühstadium die kombinierte Transplantation NTFs sekretierender mesenchymaler Stammzellen in den Muskel sowie in den Liquorraum injiziert.

Prof. Dr. Thomas Meyer, Leiter der ALS-Ambulanz an der Charité Berlin, gibt zu bedenken: „Bei etwa fünf Prozent aller ALS-Patienten liegt eine familiäre ALS vor, das heißt es findet sich eine generationsübergreifende Vererbung der ALS. Die Risiken einer körpereigenen Stammzelltransplantation bei diesen Patienten sind noch nicht im Einzelnen abzuschätzen.“ Sicher sei jedoch, dass es große Unterschiede zwischen den bekannten ALS-Genen gäbe. „Das erste ALS-Gen, das 1993 identifiziert wurde, führte zu einem körpereigenen Toxin, das eine Schädigung der motorischen Nervenzellen zur Folge hatte“, erklärt er. So wäre nicht auszuschließen, dass eine Vervielfältigung dieses Gens in körpereigenen Stammzellen zu negativen Effekten bei einer Transplantation führe. Dieses Risiko müsste vor Entwicklung der Methode bei der familiären ALS genau untersucht und minimiert werden.

Prof. Dr. Thomas Meyer

Der Beobachtungszeitraum betrug 6 Monate. Primäre Endpunkte waren die Verträglichkeit und Sicherheit der Stammzelltherapie. Sekundäre Endpunkte beinhalteten klinische Effekte wie der Score auf der ALS Functional Rating Scale, die verschiedene Funktionen wie Sprache, Gehen und Handschrift mit Punkten von 4 (normal) bis 0 bewertet (maximal 40 Punkte) sowie die forcierte Vitalkapazität (FVC) der Lunge.  

Zu wenig Patienten – geringe Aussagekraft

Wie die Autoren der Studie berichten, war die Therapie gut verträglich und sicher. Die meisten der unerwünschten Ereignisse, die mit der Behandlung assoziiert waren, waren mild und nur vorübergehend.

Die Wissenschaftler verglichen die Rate der Veränderungen auf dem ALS Functional Rating Scale innerhalb der 3 Monate vor der Therapie mit den Veränderungen im 6-monatigen Nachbeobachtungszeitraum. In der 1/2-Phase zeigten sich im monatlichen Fortschreiten der Erkrankung in der Liquor-Gruppe Verbesserungen: Sowohl auf der ALS Functional Rating Scale verbesserten sich die Werte (von -1,56 vor der Therapie zu -0,28 danach), als auch für die FVC (von -3,5% zu -2,3%). In der Gruppe, die die Injektionen in den Muskel erhielt, gab es dagegen keine Verbesserungen. In der Phase-2a-Studie mit kombinierter Stammzellübertragung in Liquor und Muskel beobachteten die Forscher einen deutlicheren Effekt (von -1,4 zu -0,6 bei der ALS-Rating Scale und -2,6% zu -0,86% beim FVC).

 
In-vitro, in Zellkulturen, gab es Effekte, aber die lassen sich nicht auf das Tier übertragen. Warum also auf den Menschen? Prof. Dr. Albert Ludolph
 

Meyer zufolge sollten die Ergebnisse jedoch nicht überbewertet werden: „Die Patientenanzahl ist zu gering, um eine valide Aussage über die Wirksamkeit machen zu können. Durch das Fehlen einer Kontrollgruppe sind die Ergebnisse mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten.“ Obwohl eine Untergruppe der Patienten über einen Zeitraum mehrerer Wochen eine Stabilisierung des ALS-Funktionswertes (ALS-SRF) zeigte, könnten diese Daten noch nicht als Durchbruch gewertet werden.

 
Leider haben wir in der Vergangenheit in anderen Studien ähnliche Daten gesehen, die sich dann in größeren Untersuchungsserien nicht bestätigen ließen. Prof. Dr. Peter Meyer
 

Ludolph stellt die Daten deutlich in Frage: „Diese Studie bringt keine überzeugenden Ergebnisse. Die Patientenzahl ist so gering, dass die Daten keiner biostatistischen Überprüfung standhalten würden. Daher ist die Aussagekraft gering.“ Das grundsätzliche Problem dieses Ansatzes sei es, dass die Ergebnisse, die bislang von einem Effekt der Applikation von Wachstumsfaktoren über Stammzellen berichteten, nicht reproduzierbar waren. „In-vitro, in Zellkulturen, gab es Effekte, aber die lassen sich nicht auf das Tier übertragen. Warum also auf den Menschen? Wir haben in meiner Arbeitsgruppe mehrere solcher Studien durchgeführt und beim Tier keinen Effekt finden können“, erklärt Ludolph.

Meyer äußert ähnliche Bedenken: „Leider haben wir in der Vergangenheit in anderen Studien ähnliche Daten gesehen, die sich dann in größeren Untersuchungsserien nicht bestätigen ließen. Daher würde ich diese Studie in erster Linie als sehr interessanten Einstieg in eine größere Untersuchungsserie betrachten.“ Derzeit läuft eine doppelblinde, Placebo-kontrollierte, Phase-2-Studie an verschiedenen Zentren, um diese Methode weiter zu verfolgen.

 

REFERENZEN:

1. Petrou P, et al: JAMA Neurol (online) 11. Januar 2016

 

Kommentar

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