BfArM zum Drama um Arzneistudie in Frankreich: Derzeit keine Studien mit FAAH-Enzym in Deutschland

Jean-Bernard Gervais, Susanne Rytina

Interessenkonflikte

19. Januar 2016

Was das beispiellose Drama um die Arzneitests in Frankreich hierzulande für Konsequenzen hat, ist noch offen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist seit vergangenem Freitag im Austausch mit der französischen Behörde, sagt BfArM-Pressesprecher Maik Pommer auf Anfrage von Medscape Deutschland. „Wir nehmen das sehr ernst. Wir haben vergleichbare Sicherheitsmechanismen und trotzdem kam es in Frankreich zu einem solchen Zwischenfall. Jetzt muss die Frage untersucht werden: Was genau ist dort geschehen und was genau hat dazu geführt?“, betont Pommer.

In Deutschland werden, wie das BfArM heute mitteilt, keine Studien mit diesem Arzneimittel durchgeführt. Derzeit sei auch kein entsprechendes Arzneimittel zugelassen, wie das Bundesinstitut in einer Pressemitteilung klarstellt [1]. Es handelt es sich bei dem getesteten Produkt um einen Inhibitor des körpereigenen Enzyms Fettsäureamid-Hydrolase (FAAH). Das Enzym FAAH ist am Abbau der körpereigenen Endocannabinoide beteiligt. Einer Hemmung dieses Enzyms werden schmerzstillende Wirkungen zugeschrieben.

Das BfArM hatte bislang insgesamt 7 klinische Prüfungen mit anderen FAAH-Inhibitoren genehmigt. Diese klinischen Prüfungen seien bereits beendet worden, heißt es in der Mitteilung und: „Zu keiner dieser klinischen Prüfungen in Deutschland waren schwere Zwischenfälle bei Patienten oder gesunden Probanden berichtet worden.“

Die Chronologie des Medikamenten-Desasters in Frankreich

Bisher ist ein Proband bei dem Medikamententest der Phase-1-Studie gestorben. Bei 3 weiteren Probanden werden irreparable Hirn-Schädigungen befürchtet. Studienteilnehmer, die ein Placebo erhalten hatten, zeigen keinerlei Symptome. Die Testung fand in Rennes in dem zertifizierten Zentrum für klinische Studien Biotrial statt. Das Medikament ist von dem portugiesischem Labor Bial entwickelt worden.

Vergangene Woche waren 6 von 8 Versuchsteilnehmern in die Universitätsklinik in Rennes gebracht worden, die als gesunde Probanden in der Phase-1-Studie des Analgetikums teilgenommen hatten. Einer der Männer, bei dem nach Einlieferung der Hirntod festgestellt wurde, sei am Sonntag gestorben, wie die Universitätsklinik in Rennes Centre Hospitalier universitaire de Rennes (CHU) mitteilte.

Prof. Dr. Pierre-Gilles Edan, Neurologe an der Universitätsklinik Rennes, äußerte sich zum Gesundheitszustand der Test-Opfer. Die Patienten mit neurologischen Störungen seien in einem sehr ernsten Zustand, man befürchte irreparable Behinderungen. Laut Bildgebung mittels Magnetresonanztomografie handelt es sich um zerebrale, nekrotische und hämorrhagische Hirnläsionen, so Edan.

 
Zu keiner dieser klinischen Prüfungen in Deutschland waren schwere Zwischenfälle bei Patienten oder gesunden Probanden berichtet worden. BfArM
 

Ein solcher Vorfall sei noch nie in Frankreich vorgekommenen, hatte die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine bei einer Pressekonferenz am 15. Januar betont. Bei den freiwilligen Probanden handle es sich um Männer zwischen 28 und 49 Jahre.

Klinische Studie startete im Juli

Der Antrag zur klinischen Studie war durch Biotrial bei der ANSM am 30. April 2015 eingereicht worden. „Diese Versuchsstudie betrifft ein bestimmtes Molekül zur Behandlung von motorischen Störungen, neurodegenerative Störungen und Angststörungen und wirke auf das Endocannabinoid-System“, so Touraine.

Das Molekül sei zuerst in einer Einzeldosis verabreicht worden, dann in einer Mehrfach-Dosis, schließlich sei es regelmäßig im Rahmen von Mahlzeiten gegeben worden. Die Gruppe der betroffenen Personen hätte dieses Molekül ab dem 7. Januar in einer höheren Dosis eingenommen als andere Versuchsteilnehmer zuvor. 2 von den 8 Personen haben dabei ein Placebo erhalten, was erklären könnte, dass diese keinerlei Symptome zeigten.

Die ANSM hatte die Studie am 25. Juni genehmigt, sie startete am 8. Juli. Vorgesehen war, 128 Probanden einzuschließen. 90 Menschen haben bisher daran teilgenommen, die allerdings eine niedrigere Dosis bekommen hatten als die 6 Personen, die in der Klinik behandelt werden.

Am 10. Januar hatte sich einer der Probanden im Universitätsklinikum Rennes in ernstem Zustand vorgestellt. „Wir dachten zuerst, dass er einen Schlaganfall erlitten hat“, schilderte Edan. Biotrial hat am 11. Januar beschlossen, die Studie abzubrechen. Am 14. Januar wurde das Gesundheitsministerium über den Vorfall informiert.

In den nächsten Tagen wird es die Aufgabe der regionalen Gesundheitsbehörden sein, alle Teilnehmer der Studie zu kontaktieren. Ferner hat die ANSM beschlossen, eine „technische Überprüfung der klinischen Studie“ durchzuführen. Die französische Gesundheitsministerin hat ihrerseits angekündigt, die Generalinspektion für Soziales (l`Inspection générale des affaires sociale) einzuschalten, ein politisches Kontrollorgan in Frankreich, das die „Organisation, die Mittel und die Voraussetzungen“ für die Intervention der Institution bei der Realisierung der klinischen Studie prüfen soll. Die Pariser Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen wegen fahrlässiger Körperverletzung auf frischer Tat.

Bisher kein Todesfall dieser Art in Deutschland

 
Wir dachten zuerst, dass er einen Schlaganfall erlitten hat. Prof. Dr. Pierre-Gilles Edan
 

In Deutschland hat es laut dem BfArM-Sprecher Pommer noch keinen Fall gegeben, in dem ein gesunder Proband bei einer klinischen Studie gestorben ist. Das BfArM genehmige zwischen 700 und 1.000 Anträge zur Durchführung von klinischen Studien pro Jahr. Bei ungefähr der Hälfte der Studien fordere man Nachbesserungen ein, etwa in Bezug auf das Studiendesign oder der Dokumentation. Rund 95% der Anträge würden genehmigt, sagte Pommer. Die Beteiligten seien verpflichtet, Zwischenfälle zu melden: „Es besteht eine hohe Meldebereitschaft der verantwortlichen Unternehmen“, so Pommer.

Das Biotrial-Labor, das die Phase 1 des Versuchs durchgeführt hat, hätte eine gültige Zulassung und positive Ergebnisse gehabt, erläuterte Ministerin Touraine. Es wurde 1989 von den Pharmakologen Prof. Dr. Jean-Marc Gandon und Prof. Dr. Hervé Allain, beide Universität Rennes, gegründet. Biotrial führt parallel 20 bis 25 Studien jedes Jahr durch – bisher ohne Zwischenfälle.

Eine Mitteilung auf der Biotrial-Hompepage lautet: „Unsere Gedanken sind bei den Probanden und ihren Familien. Wir arbeiten Hand in Hand mit den Gesundheitsbehörden zusammen, um die Ursache dieses Unfalls zu verstehen.“

Frühere Zwischenfälle in England, Deutschland und Nigeria

Im Jahr 2006 ereignete sich ein ähnlicher Zwischenfall in London, als 6 gesunde Probanden, die an einer Phase-1-Studie teilgenommen hatten, ins Krankenhaus gebracht wurden, 2 davon waren in einem kritischem und 2 in einem ernsten Zustand. Sie hatten eine Prüfsubstanz erhalten, einen monoklonalen Anti-CD28 Antikörper, der als Medikament gegen Tumoren oder Immunsystemkrankheiten getestet wurde. Dieses Medikament war von der deutschen Biotech-Firma TeGenero entwickelt worden. Die Studie wurde von der hierauf spezialisierten Firma Parexel durchgeführt. Wie bei dem Vorfall in Rennes zeigten die 2 Probanden, die das Placebo erhalten hatten, keine Symptome.

Ein früherer Fall hatte sich in Nigeria ereignet, allerdings in einer weiter fortgeschrittenen Phase der Medikamententestung. 1996 führte ein Versuch, der in den Laboren von Pfizer durchgeführt worden war, zum Tod von 11 Kindern. Das Labor hatte ein neues Antibiotika namens Trovan in der Endphase der klinischen Studie getestet. Im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens einigte sich Pfizer mit der nigerianische Regierung. Pfizer musste eine Kompensation von 75 Millionen Euro (82 Millionen Dollar) bezahlen.

Klinische Studien in Frankreich

Laut des Reports von 2014 der französischen Arzneimittel-Kontrollbehörde ANSM sind insgesamt 1.795 klinische Studien in Frankreich genehmigt worden, davon 821 für Arzneien und 276 für medizinische Geräte. Ein Drittel der Antragssteller der klinischen Studien kamen aus Universitäten, 2 Drittel aus der Industrie. Auf europäischer Ebene ist die ANSM eingebunden in die behördliche Prüfung durch mehrere Mitgliedstaaten nach Einreichung eines einzelnen Antrags. Durch dieses Verfahren, bekannt als Freiwilliges Harmonisierungsverfahren (VHP), konnten 159 Anträge bearbeitet werden, einschließlich der 114 für Frankreich. 2014 führte die ANSM 32 Überprüfungen von klinischen Studien durch und sprach eine Abmahnung aus.

In den mehr als 10.000 klinischen Prüfungen, die in den letzten 11 Jahren vom BfArM genehmigt wurden, darunter mehr als 2.700 klinische Prüfungen mit mehr als 100.000 gesunden Freiwilligen, hat das BfArM nach eigenen Angaben keinen einzigen schwerwiegenden Zwischenfall dieser Art und Schwere beobachtet, wie er sich in Rennes ereignet habe. Seit Erhöhung der Sicherheitsanforderungen im Jahr 2007 seien in der EU mehr als 12.000 klinische Prüfungen der Phase 1 durchgeführt worden, ohne dass ein schwerwiegender Zwischenfall dieser Art berichtet worden sei.

Die unterschiedlichen Phasen bei der Medikamententestung

Die biomedizinische Forschung wird laut ANSM in verschiedene Phasen eingeteilt Grundlagenforschung, präklinische Forschung (auf der Basis von experimentellen Modellen oder Tierversuchen). Wenn die präklinische Forschung als schlüssig erachtet wird, werden klinische Studien mit Menschen durchgeführt.

Diese klinischen Studien umfassen 3 Studien-Phasen:
-Phase 1: Tests mit gesunden Probanden
-Phase 2: Tests mit Patienten, um die Wirksamkeit und die Verträglichkeit zu prüfen
-Phase 3: Tests innerhalb eines größeren Patientenkollektivs über einen längeren Zeitraum, bei der die Wirksamkeit und Verträglichkeit bewertet wird

Nach Ablauf dieser 3 Phasen kann das Labor sich um eine Marktzulassung bewerben.


Dieser Artikel wurde von Susanne Rytina aus http://www.medscape.com/viewarticle/857379 und http://francais.medscape.com/voirarticle/3602068 übersetzt und adaptiert.

 

REFERENZEN:

1. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Pressemitteilung, 19. Januar 2016

 

Kommentar

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