Das Pflegeberufsgesetz ist beschlossene Sache. „Wir werden in Zukunft mehr Pflegekräfte brauchen. Mit der neuen Pflegeausbildung machen wir unsere Pflegekräfte fit für die veränderten Anforderungen in der Pflege“, betont Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe in der Pressemitteilung des Ministeriums zur Verabschiedung des Gesetzes im Kabinett [1].
Die Kritik reißt indes nicht ab – etwa an der Generalisierung Pflegeausbildung. Befürchtet werden unter anderem millionenschweren Mehrkosten und der Wegfall von tausenden Ausbildungsplätzen im Bereich der Altenpflege.
Plegeberufe: Aus drei mach eins
In der Tat hat Deutschland einen enormen Bedarf an Pflegekräften: Heute schon sind viele Stellen in Heimen und ambulanten Hilfsdiensten nicht besetzt. Aufgrund der demographischen Entwicklung wird der Fachkräftemangel in der Pflege zunehmen. Mit dem Pflegeberufsgesetz will die Bundesregierung wirksam gegensteuern. Es fasst die bisherigen 3 Ausbildungen in der Altenpflege, der Krankenpflege sowie der Kinderkrankenpflege zum neuen einheitlichen Berufsbild „Pflegefachfrau“ beziehungsweise „Pflegefachmann“ zusammen. Damit wird der neue Pflegeberuf zum größten Ausbildungsberuf in Deutschland mit über 133.000 Auszubildenden in der Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege.
Die generalisierte Pflegeausbildung soll auf den Einsatz in allen Arbeitsfeldern der Pflege vorbereiten und den Wechsel zwischen den einzelnen Pflegebereichen erleichtern. Ein neues Finanzierungssystem verteilt die Last auf ausbildende und nicht ausbildende Einrichtungen und vermeidet so Wettbewerbsnachteile ausbildender Betriebe. Die Auszubildenden müssen kein Schulgeld bezahlen, erhalten Lohn und können im Anschluss an die Ausbildung ein wissenschaftliches Pflegestudium absolvieren.
Jede Menge offener Fragen
Als „unausgegoren“ bezeichnet die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) das neue Gesetz. „Mit dem Pflegeberufsgesetz drohen negative Folgen für die gesellschaftlich immer wichtigere Altenpflege, wenn nicht noch deutlich nachgebessert wird. Es ist falsch, einen unausgegorenen Entwurf mit derart weitreichenden Konsequenzen für die Pflege ohne jede Not durch das Gesetzgebungsverfahren zu peitschen“, so die BDA. Eine generalistische Pflegeausbildung garantiere noch lange keine höhere Attraktivität des Berufsbilds warnt die Bundesvereinigung.
Jede Menge ungeklärte Punkte bei den Ausbildungsinhalten und Praktikumseinsätzen kritisiert auch das Bündnis für Altenpflege in seiner Stellungnahme. Die Bundesregierung zeige mit dem Gesetz zwar, wo sie hinmöchte, habe aber den konkreten Weg weitgehend im Dunklen gelassen. „Die wichtigsten Fragen sind weiterhin offen, etwa wie viel Zeit die Auszubildenden künftig wirklich in den Betrieben der stationären und ambulanten Altenpflege verbringen sollen, um wichtige Praxiserfahrung im Umgang mit älteren Menschen zu sammeln“, sagt Bündnissprecher Peter Dürrmann.
Auch für Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa), sind wesentliche Risiken nicht ausgeräumt: „Etwa die von Experten befürchteten millionenschweren Mehrkosten oder der errechnete Wegfall von tausenden Ausbildungsplätzen im Bereich der Altenpflege, weil Betriebe durch die neue Struktur der Ausbildung überfordert wären.“
Thomas Knieling, Bundesgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Alten- und Behindertenhilfe kritisiert, dass die Bundesregierung auch praktische Fragen – etwa wie die tausenden von Auszubildenden künftig Praktika in Spezialbereichen wie der Kinderkrankenpflege sammeln sollen - nicht beantworten könne.
Der Deutsche Berufsverband für Altenpflege fürchtet neben der Verwässerung der klassischen Altenpflegeausbildung auch finanzielle Probleme. Neben der drohenden Abwanderung in die Krankenpflege werde es sich für Altenpflegeeinrichtungen künftig kaum noch lohnen, selbst auszubilden. Der Berufsverband moniert auch, dass sich die Macher der generalisierten Pflegeausbildung auf ein Gutachten stützen, das kaum Informationen über Strukturen und Inhalte der Altenpflegeausbildung nutzt.
In einer gemeinsamen Stellungnahme lehnen die Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DGGPP) und Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) den Gesetzentwurf ab und fürchten, dass die generalisierte Pflegeausbildung die Pflege von Demenzkranken gefährdet.
„Ein Pflegegeneralist, der wie bisher drei Jahre ausgebildet wird, sich allerdings in dieser Zeit Kompetenzen in allen drei bisher getrennten Ausbildungsberufen aneignen soll, kann zwangsläufig auch nicht annähernd die jetzt im einzelnen Berufsfeld geforderten Kenntnisse und Erfahrungen erwerben. Wir halten den durch das Gesetz eingeschlagenen Weg der expliziten Dedifferenzierung statt einer Weiterführung der Spezialisierung für substanziell falsch.“ Die Fachgesellschaften sehen im neuen Gesetz weder eine Steigerung der Attraktivität der Pflegeberufe, noch einen Weg zur Steigerung der Ausbildungszahlen.
Pflegerat: Richtige Weichenstellung
Von einer richtigen Weichenstellung spricht dagegen der Deutsche Pflegerat in seiner Pressemitteilung. „Die Entscheidung des Bundeskabinetts für eine generalistische Pflegeausbildung mit Schwerpunktbildung ist ein Meilenstein für die Weiterentwicklung der Pflegeberufe in Deutschland“, sagt Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerats. Der Pflegerat sieht im neuen Gesetz „eine der wichtigsten Antworten auf den demographischen und epidemiologischen Wandel“.
Als historische Chance stuft auch das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung (dip) das neue Pflegeberufsgesetz in seiner Stellungnahme ein. „Mit der Generalisierung sind nun auch der gesetzliche Einstieg in die grundständige Akademisierung und erstmals vorbehaltene Aufgaben für die Pflege vorgesehen. Das sind herausragende Schritte zur Modernisierung der Pflege, die seit Jahren von den Berufsgruppen eingefordert werden“, betont Prof. Dr. Frank Weidner, Direktor des dip. Weidner fügte hinzu, dass eine Reform, die wirklich etwas bewegen wolle, neben den Chancen immer auch offene Fragen mit sich bringe.
Es gibt noch offene Fragen, die sich auf die Entwicklung der Zahlen an Auszubildenden und Studierenden, auf die Umsetzung der praktischen Ausbildung oder auf den Übergang ins Beschäftigungssystem beziehen. Weidner empfiehlt deshalb, offene Fragen in eine umfassende, mindestens 5-jährige Evaluation aufzunehmen – der Referentenentwurf sieht dazu explizit Schritte zur Überprüfung vor.
Wer etwas verändern wolle, brauche einen Plan und eine Idee, wie man den Plan anpassen könne, wenn sich auf dem Weg neue Herausforderungen stellten, erklärt Weidner und fügt hinzu: „Wir nennen das in der Forschung den Zusammenhang von Konzept, Umsetzung und Evaluation.“ Fragen, die man heute noch nicht beantworten könne, gefährdeten nicht das gesamte Projekt, sondern könnten oftmals durch eine begleitende Evaluation beantwortet werden.
Das Gesetz bedarf noch der Zustimmung des Bundesrates. Der erste Ausbildungsjahrgang könnte dann 2018 starten. Pflegeschulen und Ausbildungsbetrieben bleibt aus Sicht der Bundesregierung damit genug Zeit, sich auf die neue Ausbildung einzustellen.
REFERENZEN:
1. Bundesministerium für Gesundheit: Pressemitteilung, 13. Januar 2015
Diesen Artikel so zitieren: Kabinett verabschiedet Pflegeberufsgesetz: Ist die generalisierte Ausbildung Lösung – oder vielmehr Problem? - Medscape - 19. Jan 2016.
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