Wenn Pfeffersprays ätzen und brennen: Tipps zur medizinischen Versorgung von Auge, Haut und Lunge

Simone Reisdorf

Interessenkonflikte

19. Januar 2016

Der Verkauf von Abwehrsprays boomt, vor allem nach den Übergriffen gegen Frauen in Köln und anderen Städten in der Silvesternacht ist die Nachfrage enorm gestiegen, zum Teil sind diese Selbstverteidigungswaffen in den Läden ausverkauft. Aber sie können nicht nur dem Angreifer gefährlich werden, ihr Einsatz gegen andere Menschen ist auch für den Anwender selbst riskant. Die Inhaltsstoffe haben gemeinsam, dass sie schwere Reizungen von Augen, Haut und Schleimhäuten verursachen. Dies soll die Angreifer ablenken und temporär kampfunfähig machen. Dauerhafte Schäden seien aber trotz extensiver Testung nicht beobachtet worden, so ein Hersteller gegenüber Medscape Deutschland.

Prof. Dr. Thomas Reinhard

Ärzte schätzen dies oftmals anders ein, vor allem, was 2-Chlorbenzylidenmalonsäuredinitril im so genannten „Tränengas“ angeht: „Der Wirkstoff ist unberechenbar“, betonten gegenüber Medscape Deutschland Prof. Dr. Thomas Reinhard, Geschäftsführender Ärztlicher Direktor der Universitätsaugenklinik Freiburg und Generalsekretär der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG), und PD Dr. Philip Maier, Spezialist für Hornhauterkrankungen an derselben Augenklinik.

Aber auch Oleoresin capsicum (im OC-Gas) ist nicht unbedenklich. Es ist in Deutschland überhaupt nicht zur Menschenabwehr zugelassen und erhält daher kein Prüfsiegel der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). Deshalb muss es als „nur zur Tierabwehr“ gekennzeichnet sein. Der Einsatz beider Arten von Abwehrspray gegen Menschen gilt als schwere Körperverletzung und wird nur in Ausnahmesituationen – zur Notwehr oder Nothilfe – toleriert. Dies muss im Zweifelsfall vom Anwender nachgewiesen werden.

Prof. Dr. Dennis Nowak

Capsaicinoide sind Hauptbestandteil von Pfeffersprays

„Bei Oleoresin capsicum handelt es sich um ein öliges Konzentrat aus Pflanzen der Gattung Capsicum, dazu gehören viele Arten von Paprika, Peperoni und Chili.“ Dies erklärten der Pneumologe, Allergologe und Arbeitsmediziner Prof. Dr. Dennis Nowak, Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München, und seine Mitarbeiterin, die Ärztin Dr. Caroline Chmelar, im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Der Auszug beinhaltet verschiedene fettlösliche Phenole, die als ‚Capsaicinoide‘ bezeichnet werden.“ Hauptbestandteile sind Capsaicin (das in niedrigerer Dosis zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt wird) sowie Dihydrocapsaicin: „Zusammen machen sie 80 bis 90 Prozent der wirksamen Inhaltsstoffe vieler Pfeffersprays aus“, so Nowak und Chmelar.

CS- oder Tränengas ist ebenfalls als Abwehrspray verfügbar und wird zudem in stärkerer Konzentration von der Polizei zur Bekämpfung von Unruhen eingesetzt. Es ist nach seinen Entdeckern Corson und Stoughton benannt, chemisch handelt es sich um 2-Chlorbenzylidenmalonsäuredinitril. Wegen seiner brennenden Wirkung wird es fälschlicherweise oftmals ebenfalls als „Pfefferspray“ bezeichnet.

Dr. Caroline Chmelar

In den Benelux-Ländern, Griechenland und einigen skandinavischen Ländern sind der Besitz und das Mitführen jeglicher Reizgassprays verboten. In Italien, Portugal und weiteren Staaten ist dies nur mit Auflagen und Einschränkungen erlaubt. Und in den USA kommt es auf den Bundesstaat an.

Wirkung und Nebenwirkung: Was kann passieren?

Es gibt eine Vielzahl an Produkten, die das Reizgas entweder im Strahl oder als Nebel abgeben. Allen ist gemeinsam, dass sie klein sind (sie sollen in eine Handtasche passen), manche sind als Gebrauchsgegenstände getarnt: „Pfefferspray ist in Rosa-Lippenstift-Optik im Handel erhältlich“, so Chmelar.

Werden solche Sprays jedoch unbedacht und hektisch aus der Tasche gezogen, kann der Schuss leicht nach hinten losgehen, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn dem Sprühnebel aus dem Wege zu gehen ist für die Anwenderin manchmal schwierig, und es sind auch Fälle bekannt, in denen der Angreifer sich in den Besitz des Sprays brachte und es dann seinerseits einsetzte.

Die Universität Freiburg warnt in einer Pressemitteilung, die Abwehrmittel nicht zu unterschätzen: „Pfeffersprays sollten nur im Notfall – keineswegs zweckentfremdet und leichtsinnig – verwendet werden, denn das Gas kann schwere Schleimhautreizungen auslösen.“

Gesundheitsschäden durch Abwehrsprays

Am Auge: Verätzungen mit Reizung von Bindehaut und Hornhaut

Trifft das Abwehrspray auf die Augen, ist laut Reinhard und Maier mit einer Verätzung zu rechnen, die zur Reizung von Bindehaut und Hornhaut mit starkem Brennen und Tränenfluss führt. „Ähnlich wie bei einer Verbrennung kann eine solche Verätzung zu einem Verlust der oberflächlichen Zellschichten am Auge führen, was meist starke Schmerzen verursacht“, erklärten sie gegenüber Medscape Deutschland.
 
An den Atemwegen: Schleimhautreizung und Bronchokonstriktion
 
„Beim Einatmen von Pfefferspray kann es zu einer Reizung der Schleimhäute kommen“, ergänzten Nowak und Chmelar. „Symptome sind Brennen, Husten, Würgereiz, Laryngospasmus, Dyspnoe, Bronchokonstriktion und ein thorakales Engegefühl.“ Dazu kommen ein Brennen der Nasenschleimhaut und Niesen.
 
Obwohl ein Unterschied in der Wirkung bei Rauchern vs. Nichtrauchern sowie Gesunden vs. Asthmatikern nicht nachgewiesen ist, weisen Beobachtungen auf eine stärkere Bronchokonstriktion bei Menschen mit bronchialer Hyperreagibilität hin. „In seltenen Fällen können ein Larynx- und Lungenödem sowie eine Pneumonitis entstehen“, so Nowak. „Zudem kann der Blutdruck ansteigen.“ In Verbindung mit OC wurden einzelne Todesfälle beobachtet.

An der Haut: im Extremfall Erythem mit Blasenbildung

An der Haut können Schmerzen, Brennen und/oder Juckreiz, Rötung und Ödeme auftreten. Insbesondere bei längerer Exposition, etwa durch Nichtentfernen kontaminierter Kleidung, kann es zu schweren Erythemen mit Blasenbildung kommen, so Chmelar.

 
Pfefferspray ist in Rosa-Lippenstift-Optik im Handel erhältlich. Dr. Caroline Chmelar
 

Wichtig ist in jedem Falle das sofortige Abspülen der Augen und betroffener Hautstellen mit reichlich klarem Wasser. Kontaktlinsen und benetzte Kleidung sollten möglichst abgelegt werden, und man sollte die Exposition weiterer Hautflächen durch das verunreinigte Spülwasser vermeiden. Reiben der befallenen Haut- und Organregion ist zu unterlassen, da es die Reizung noch verstärkt.

Mit dem Spülen sollte man nicht zu früh aufhören; einige Experten empfehlen es über mindestens 10 bis 15 Minuten fortzusetzen. So lange dauert auch der erste und stärkste Schmerz; insgesamt kann er aber 45 Minuten und länger anhalten und es können Spätfolgen auftreten. Deshalb ist ein Arztbesuch dringend anzuraten.

 
In seltenen Fällen können ein Larynx- und Lungenödem sowie eine Pneumonitis entstehen. Prof. Dr. Dennis Nowak
 

„Die Wirkstoffkonzentrationen von OC oder CS und die jeweiligen Zusatzstoffe variieren stark in den verschiedenen Produkten im In- und Ausland“, betonte Reinhard gegenüber Medscape Deutschland. „Das Ausmaß der Schädigung am Auge kann nur durch augenärztliche Untersuchung festgestellt werden.“

Wann zu welchem Arzt?

Zudem kann nur der Ophthalmologe die Abheilung der Hornhaut durch spezielle Maßnahmen unterstützen: „Je nach Ausmaß der Schädigung kommen Augentropfen oder ‑salben, Injektionen von Kortisonpräparaten unter die Bindehaut oder auch das Abdecken der Augenoberfläche mit menschlicher Eihaut, Amnion, in Frage, um Vernarbungen oder Verklebungen an der Augenoberfläche zu vermeiden“, so Maier. Sonst drohen im Extremfall ausgeprägte Benetzungsstörungen und eine deutliche Minderung des Sehvermögens.

 
Das Ausmaß der Schädigung am Auge kann nur durch augenärztliche Untersuchung festgestellt werden. Prof. Dr. Thomas Reinhard
 

Auch bei Atemnot sollte ein Arzt aufgesucht werden, er kann insbesondere Menschen mit pulmonalen Vorerkrankungen einen Bronchodilatator (ein Betamimetikum) verabreichen.

Nowak betont: „Die wichtigste Maßnahme wäre, die Exposition von vornherein zu vermeiden.“ Wer nun meint, er müsse mit dem Spray sicherheitshalber vorher üben, der sei gewarnt: Neben der eigenen Gesundheit riskiert er auch den Verbrauch des gesamten Sprayinhalts. Denn gerade aus Sicherheitsgründen dürfen die Abwehrsprays nur kleine Mengen enthalten; meist sind es 20 bis 40 ml, dann ist die Dose leer.

Kommentar

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