MEINUNG

Blockade des Lipidstoffwechsels: Ein neuer Wirkmechanismus für Medikamente gegen Multiple Sklerose?

Dr. Andrew N. Wilner

Interessenkonflikte

18. Januar 2016

Dr. John Dirk Nieland

Auf dem Kongress des Europäischen Komitees für die Behandlung und Erforschung der Multiplen Sklerose (ECTRIMS) 2015 in Barcelona, Spanien, sprach Medscape Korrespondent Dr. Andrew N. Wilner mit Dr. John Dirk Nieland. Dr. Nieland ist Associate Professor für Biomedizin an der Universität Aalborg, Dänemark, und forscht zu einem vielversprechenden Medikament gegen Multiple Sklerose (MS) mit einem interessanten Wirkmechanismus, der gerade im Tiermodell geprüft wird.

Dr. Wilner: Sie präsentieren in ein paar Tagen ein Poster zu einem neuen Medikament, das einen anderen Wirkmechanismus als alle anderen neuen MS-Medikamente hat, von denen wir bislang gehört haben. Können Sie uns ein wenig über den Wirkstoff erzählen [1]?

Dr. Nieland: Das Medikament, das wir testen, ist in den Fettstoffwechsel involviert. Wir haben festgestellt, dass bei MS-Patienten Gehirnbereiche mit Läsionen von Glucose- auf Lipidstoffwechsel umstellen. Normalerweise werden Lipide für den Aufbau von Myelinscheiden verwendet. Diese schützen Myelinproteine davor, vom Immunsystem erkannt zu werden. Wenn der Fettstoffwechsel hochreguliert wird, dann werden Lipide, die normalerweise für die Myelinscheiden zum Einsatz kommen, zur Erzeugung von Energie verwendet. Da die Halbwertszeit myelinassoziierter Lipide nur 3 Tage beträgt, hat dies zu Folge, dass das Myelinprotein langsam die umhüllenden Lipide verliert.

Das exponierte Myelinprotein wirkt dann immunogen. Als Folge des erhöhten Lipidstoffwechsels wird vermehrt Prostaglandin E2 erzeugt, das lokal das Immunsystem aktiviert und zur Entzündungsreaktion der MS beiträgt.

Wir testen nun die Blockade des Lipidmetabolismus in Tiermodellen der MS. Mit der Therapie wird begonnen, sobald die ersten Symptome der Erkrankung auftreten. Nach nur 2 Wochen mit einer einmal-täglichen Behandlung sehen wir, dass mehr als die Hälfte der Tiere völlig frei von Symptomen ist.

Eine weitere wichtige Entdeckung: Wir haben festgestellt, dass es in bestimmten Bevölkerungsgruppen Mutationen in dem Molekül gibt, das wir blockieren. Dabei handelt es sich um ein mitochondriales Protein namens Carnitin-Palmitoyltransferase 1 (CPT1). Insgesamt weisen 98% der Inuitbevölkerung in Nordkanada und Grönland Mutationen in mindestens einem Chromosom auf, und es gab nur einen gemeldeten Fall von MS bei einem Inuit. 50.000 Inuit leben in diesen Regionen, und die normale Häufigkeit der MS beträgt 1 zu 350 in diesen Regionen.

Es gibt außerdem eine andere Mutation in diesem CPT1-Gen, die bei Hutterern vorkommt, die vor allem in Westkanada leben. Diese Mutation tritt bei 30-60% dieser Personen auf und ist ebenfalls mit einem sehr seltenen Auftreten von MS verbunden – tatsächlich dreimal seltener als in der Gesamtbevölkerung. Somit unterstreicht dies die potentiell enorme Bedeutung dieses spezifischen Proteins in Bezug auf MS.

Dr. Wilner: Können Sie uns etwas mehr von dem Medikament selbst erzählen?

Dr. Nieland: Es heißt Etomoxir und es blockiert gezielt das CPT1-Molekül. CPT1 ist ein Molekül, das auf der mitochondrialen Membran exprimiert wird und in den Transport der Lipide über die Mitochondrienmembran involviert ist, wo sie über den Citratzyklus metabolisiert werden. In einer unser weiteren Studien an Ratten zu aggressiver MS begannen wir sehr spät, die Tiere izu behandeln und konnten 25% von ihnen zu retten. Nun, am ende der Studie, sind sie immer noch beschwerdefrei, was einen ziemlich dramatischen Effekt darstellt.

Dr. Wilner: Laut Ihrem Modell könnte die MS also die nachgeschaltete Folge eines Problems mit dem Lipidmetabolismus sein, das vermutlich genetischer Natur ist?

Dr. Nieland: Ja, es sieht so aus. In einigen Bevölkerungsgruppen, einschließlich weißen Patienten, ist der Fettstoffwechsel leichter zu induzieren, und es ist schwieriger, wieder zum Glukosestoffwechsel zurückzukehren. Wir haben dies noch nicht bewiesen, aber wir wissen von der Auswertung von Humandaten, dass die Mutation in einem Protein, das ein Schlüsselmolekül im Lipidstoffwechsel darstellt – nämlich CPT-1A, voraussichtlich Tiere vor der tierischen Form der MS schützen kann (experimentelle autoimmmune Enzephalomyelitis). Außerdem haben Studien, bei denen dieses Molekül spezifisch geblockt wird, gezeigt, dass wir den Krankheitsverlauf umkehren können.

Dr. Wilner: Was ist Ihr nächster Schritt?

Dr. Nieland: Unser nächster Schritt ist, die Finanzierung zu sichern, um in klinische Studien der Phase 2 gehen zu können.

Dr. Wilner: Wie groß ist die Summe, die Sie brauchen?

Dr. Nieland: Wir brauchen 20 Millionen Euro. Wir möchten das Medikament eigentlich bei sekundär progredienter MS testen, für die es aktuell keine Therapien gibt. Wir wollen es auch bei akuter Optikusneuritis testen. Wir hoffen, dass wir etwas bewegen können.

REFERENZEN:

1. 31st Congress of the European Committee for Treatment and Research in Multiple Sklerosis (ECTRIMS), 7.-10. Oktober 2015, Barcelona (Spanien)

2. Nieland JD: CPT1a mutation leads the way for new medication for the treatment of multiple sclerosis. Program and abstracts of the Congress of the European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS). Abstract P1497. 9. Oktober 2015, Barcelona (Spanien)

Kommentar

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