Diskussion um Cannabis: „Es wäre falsch, die Verfügbarkeit noch zu erhöhen“

Heike Dierbach

Interessenkonflikte

14. Januar 2016

Prof. Dr. Anil Batra

Soll man Cannabis zum nichtmedizinischen Gebrauch freigeben? Diese Frage wird in der Politik gerade wieder kontrovers diskutiert. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) will mit einem Positionspapier den wissenschaftlichen Hintergrund beleuchten. Medscape Deutschland sprach mit Prof. Dr. Anil Batra, stellvertretender Leiter des DGPPN-Referats für Abhängigkeitserkrankungen und Leiter der Sektion Suchtforschung und Suchtmedizin an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen, über Risikofaktoren, die Folgen einer leichten Verfügbarkeit und warum es eine Chance ist, wenn ein Konsument beim Dealen erwischt wird.

Medscape Deutschland: Warum sehen Sie als Fachgesellschaft gerade jetzt eine Notwendigkeit, dass sich die Wissenschaft in die öffentliche Debatte einmischt?

Prof. Dr. Batra: Die derzeitige Debatte hat Konsequenzen für die Einstellungen in der Gesellschaft und auch für die Beratung betroffener Personen. Unsere Aufgabe ist es, Risiken einer Freigabe im Vorwege abzuschätzen und aufzuzeigen, zum Beispiel aus epidemiologischen Daten und aus der Beobachtung am Patienten. Das trägt hoffentlich dazu bei, dass die Debatte weniger ideologisch geführt wird.

Medscape Deutschland: Cannabis ist derzeit der häufigste Grund für eine erstmalige Drogentherapie. Würde das nicht vermutlich zunehmen, wenn man den Stoff auch noch zu legalisiert?

Prof. Dr. Batra: Wir gehen tatsächlich davon aus, dass eine Legalisierung zu einem Anstieg des Konsums führen würde, wenngleich die Anzahl von Abhängigen vermutlich nicht im gleichen Maße steigen würde. Das zeigen auch Beobachtungen in anderen Ländern. Bisher bewirkt die Stigmatisierung von Cannabis eine gewisse Selektion: Es fangen eher Personen an, die bereits gewisse Risiken aufweisen.

Medscape Deutschland: In den jugendlichen Risikogruppen nimmt der Konsum bereits jetzt zu. Von den 18- bis 20-Jährigen raucht jeder Sechste im Laufe eines Jahres mindestens einen Joint. Das klingt nach Alltagsdroge.

Prof. Dr. Batra: Das Wort würde ich nicht verwenden, aber es ist eine Droge, die leichter verfügbar und schneller käuflich ist als andere illegale Substanzen. Auch die Diskussion um eine Freigabe trägt dazu bei. Langfristig beobachten wir aber immer wieder wellenförmige Zu- und Abnahmen des Konsums bei Jugendlichen.

Medscape Deutschland: Warum schaffen viele dieser Konsumenten dauerhaft einen maßvollen Umgang, andere aber nicht?

Prof. Dr. Batra: Die Droge an sich ist nur ein Bestandteil einer Abhängigkeit. Immerhin 10 Prozent, aber nicht jeder wird automatisch abhängig. Psychosoziale Rahmenbedingungen spielen ebenfalls eine Rolle, die Persönlichkeit, biographische Aspekte und genetische Risiken. Wenn da eine ungünstige Konstellation vorliegt, kann es zur Abhängigkeit kommen. Unser Anliegen als Fachgesellschaft ist es, hierfür zu sensibilisieren. Auch dafür, dass viele Risiken von Cannabis derzeit noch nicht bekannt sind.

Medscape Deutschland: Wer ist besonders gefährdet, abhängig zu werden?

Prof. Dr. Batra: Bekannte Risiken sind eine hohe Frequenz des Konsums, ein hoher Anteil THC*, kein schützendes Elternhaus, keine klaren Wertevorstellungen, viele Konflikte im Alltag, wenig soziale Kontakte oder nur solche, die an den Konsum gebunden sind. Betonen muss man aber auch generell das erhöhte Risiko für psychische Folgeerkrankungen bei Cannabiskonsum. Das betrifft besonders Jugendliche.

 
Bisher bewirkt die Stigmatisierung von Cannabis eine gewisse Selektion: Es fangen eher Personen an, die bereits gewisse Risiken aufweisen.
 

Medscape Deutschland: Könnten und sollten Ärzte, zum Beispiel Hausärzte, hier früher intervenieren?

Prof. Dr. Batra: Ärzte sollten bei einer Beratung daran denken und das Thema ansprechen. Es gibt eine Reihe von Symptomen, die auf einen Drogenkonsum hinweisen können: Häufiges Fehlen in der Schule, mangelnder Antrieb oder Stimmungsschwankungen. Wir haben auch medizinisch gute Möglichkeiten, einen Cannabiskonsum nachzuweisen. Wenn der Arzt sich die Beratung selbst nicht zutraut, sollte er den Patienten an Beratungsstellen weitervermitteln.

Medscape Deutschland: Es gibt auch Hinweise, dass Kiffen eine Psychose auslöst. Ist nicht allein dieses Risiko zu hoch, als dass man den Konsum freigeben sollte?

Prof. Dr. Batra: Bei gefährdeten Personen erhöht Cannabis das Risiko für einen Ausbruch der Psychose dramatisch. Ob das auch für andere Personen gilt, ist nicht ganz geklärt, auch wenn vieles dafür spricht. Auf jeden Fall ist eine Psychose eine ganz erhebliche Belastung, weil sie entscheidend in die Lebensgestaltung eingreift. Viele Betroffene können ihre Lebensziele nicht mehr verwirklichen.

Medscape Deutschland: Sie halten eine Angebotsreduzierung bei Cannabis für sinnvoll. Eine Freigabe erscheint da kontraproduktiv.

Prof. Dr. Batra: Es wäre sicher der falsche Schritt, die Verfügbarkeit noch zu erhöhen. Selbst wenn man versucht, Cannabis nur in geschützten Räumen abzugeben, wird sich das wahrscheinlich nicht durchhalten lassen. Die Wertigkeit von Cannabis in der öffentlichen Meinung würde sich verändern, und das würde dazu beitragen, dass neue Konsumgruppen hinzukommen.

 
Bei gefährdeten Personen erhöht Cannabis das Risiko für einen Ausbruch der Psychose dramatisch.
 

Medscape Deutschland: Sie sagen, wenn Konsumenten in Konflikt mit der Justiz geraten, kann das auch hilfreich sein. Inwiefern?

Prof. Dr. Batra: Wir haben immer wieder Patienten, die erstmals in unsere Beratung kommen, weil sie mit Cannabis am Steuer oder beim Dealen erwischt wurden. Oft schreckt erst das ihr Umfeld und die Eltern auf. Beim Betroffenen selbst kann im Verlauf der Beratung erstmalig eine Motivation entstehen, sich den eigenen Konsum mal genauer anzusehen, auch die negativen Folgen.

Medscape Deutschland: Dennoch fordern Sie auch eine Entkriminalisierung des Konsums. Warum?

Prof. Dr. Batra: Unser Ansatz ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Mit einer Kriminalisierung ist der Person wenig geholfen. Wenn jemand zum Beispiel wegen des Besitzes von Cannabis mit dem Gesetz in Konflikt gerät, kann dies seine Lebensumstände und die Chance, den Ausstieg zu schaffen, weiter verschlechtern. Hier ist ein differenziertes Vorgehen erforderlich. 

 

REFERENZEN:

1. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde: DGPPN-Positionspapier zur Legalisierungsdebatte des nichtmedizinischen Cannabiskonsums. 07. Dezember 2015.

 

Kommentar

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