Marburger Bund Mitglieder-Befragung: „Das Missverhältnis zwischen tatsächlich geleisteter und bevorzugter Wochenarbeitszeit könnte kaum größer sein“

Sabine Ohlenbusch

Interessenkonflikte

12. Januar 2016

Viele angestellte Ärzte im Krankenhaus sehen ihre Arbeitsbedingungen als Problem. Neben persönlichen Einschränkungen verweisen sie darauf, dass ihnen nicht genügend Zeit am Krankenbett zur Verfügung stehe. Dies geht aus der Mitgliederbefragung Marburger Bund (MB) Monitor 2015 hervor. Der MB-Vorsitzende Dr. Rudolf Henke spricht mit Medscape Deutschland über die Ursachen der wichtigsten Probleme.

Medscape Deutschland : Leiden Ärzte in den Krankenhäusern unter ihren Arbeitsbedingungen?

Dr. Rudolf Henke

Dr. Henke: In der beruflichen Realität der Krankenhausärzte sind hoher Zeitdruck und Arbeitsüberlastung ständige Begleiter. Dementsprechend sind die Ergebnisse der Mitgliederbefragung des Marburger Bundes ausgefallen. Mehr als die Hälfte der befragten Klinikärzte, genauer gesagt 59 Prozent, fühlt sich durch ihre Tätigkeit häufig psychisch belastet. Fast drei Viertel der Klinikärzte, 72 Prozent, haben das Gefühl, dass die Gestaltung ihrer Arbeitszeiten die eigene Gesundheit beeinträchtigt, z.B. in Form von Schlafstörungen und häufiger Müdigkeit. 77 Prozent aller Befragten nimmt die Arbeit so stark in Anspruch, dass dadurch das Privatleben bzw. Familienleben leidet. Die Folge ist, dass fast die Hälfte der befragten Ärzte erwägt, ihre jetzige Tätigkeit aufzugeben (46%). Dies sind alarmierende Zahlen.

Medscape Deutschland : Was ist das Hauptproblem?

Dr. Henke: Auf die Frage, wodurch die Ärztinnen und Ärzte sich in ihrer Arbeit belastet fühlen, haben uns die meisten der Teilnehmer geantwortet, der Zeitdruck im beruflichen Alltag, die Arbeitsverdichtung und der Personalmangel auf den Stationen machten ihnen zu schaffen. All dies geht auf einen erhöhten ökonomischen Druck in den Kliniken zurück. Die konkrete Frage, ob ihnen für die Behandlung ihrer Patienten ausreichend Zeit zur Verfügung steht, verneinen rund zwei Drittel. Häufig geht diese Zeit auch durch übermäßig viel Bürokratie verloren. Ein Drittel der Krankenhausärzte schätzt den täglichen Zeitaufwand für Verwaltungstätigkeiten, die über ärztliche Tätigkeiten (z.B. Arztbriefe schreiben) hinausgehen, auf mehr als zwei Stunden; 41 Prozent auf 1 bis 2 Stunden.

Medscape Deutschland : Wo muss man auf politischer Seite ansetzen, um Arbeitsüberlastung und Zeitdruck zu mildern?

Dr. Henke: Der ökonomische Druck in den Kliniken entsteht einerseits aus Fehlanreizen des DRG-Systems und andererseits aus einer seit Jahren bestehenden Unterfinanzierung. Für letztere sind vor allem die Bundesländer verantwortlich, die ihren Investitionsverpflichtungen nur sehr unzureichend nachkommen. Deshalb versuchen viele Krankenhausleitungen, fehlende Investitionsmittel zu kompensieren. Sie entnehmen den Behandlungserlösen Mittel zum Beispiel für dringende bauliche Maßnahmen. Diese Erlöse müssen aber den laufenden Betrieb finanzieren, also auch das Personal.

 
Mehr als die Hälfte der befragten Klinikärzte, fühlt sich durch ihre Tätigkeit häufig psychisch belastet.
 

Aus unserer Sicht liegt hier das Kernproblem. Die Betriebsmittel müssen zu 100 Prozent für die Patientenversorgung und die Bezahlung der Beschäftigten zur Verfügung stehen. Das ist derzeit nicht der Fall. Häufig wird zuerst am Personal gespart, wenn auf anderem Wege keine schwarze Null zu erreichen ist. Die Konsequenzen solcher „Umschichtungen“ lassen sich an den Ergebnissen des MB-Monitors 2015 ablesen: unterbesetzte Stationen, erhöhter Zeitdruck und starke Arbeitsverdichtung. Eine vernünftige Qualität medizinischer und pflegerischer Leistungen kann es daher nur mit einer vernünftigen Personalausstattung geben.

Medscape Deutschland : Gibt es regionale Unterschiede?

Dr. Henke: Regionale Unterschiede haben wir nicht gesondert überprüft. Es ist davon auszugehen, dass die Ergebnisse in den einzelnen Regionen nicht sehr stark differieren, weil Krankenhäuser bundesweit mit weitgehend gleichen Rahmenbedingungen konfrontiert sind. Die Unterfinanzierung ist ein bundesweites Problem, das zu großen Teilen auf die mangelhafte Investitionsfinanzierung der Bundesländer zurückgeht.

Medscape Deutschland : Gibt es Anforderungen, welche die Träger in Zukunft erfüllen sollten?

Dr. Henke: Die Kliniken können an diesen Stellen schon eine Menge selbst leisten, um die Belastungen zu senken: durch eine bessere Steuerung von Routineabläufen, die Einrichtung von Stationssekretariaten und die Einstellung von Dokumentationsassistenten, die Ärzten Arbeit abnehmen, welche nicht zu ihrer ärztlichen Tätigkeit gehört. Auch die Etablierung eines professionellen betrieblichen Gesundheitsmanagement kann dazu beitragen, dass Gesundheitsförderung und Prävention im Berufsalltag integriert werden. Einige wenige Kliniken bieten schon heute kostenfreie Sport- und Fitnesskurse für ihre Beschäftigten an.

Medscape Deutschland : Wie steht es um die Arbeitszeit, die Ärzte leisten?

 
Eine vernünftige Qualität medizinischer und pflegerischer Leistungen kann es nur mit einer vernünftigen Personalausstattung geben.
 

Dr. Henke: Nach wie vor liegt die tatsächliche Wochenarbeitszeit inklusive aller Dienste und Überstunden bei mehr als zwei Drittel der Befragten deutlich über 48 Stunden. Das ist die Höchstgrenze nach dem Arbeitszeitgesetz. Fast die Hälfte der Klinikärzte (46%) arbeitet 49 bis 59 Stunden und jeder Fünfte (21%) 60 bis 79 Stunden. Drei Prozent der Ärzte arbeiten sogar durchschnittlich mehr als 80 Stunden pro Woche.

Dabei wünschen sich die Ärztinnen und Ärzte ganz andere Arbeitszeiten: Etwa 90 Prozent der Befragten wünschen sich eine Wochenarbeitszeit unter 48 Stunden inkl. aller Dienste und Überstunden. Das Missverhältnis zwischen tatsächlich geleisteter und bevorzugter Wochenarbeitszeit könnte kaum größer sein.

Medscape Deutschland : Wie werten Sie die Fortschritte auf dem Gebiet der Arbeitszeiterfassung?

Dr. Henke: Die hohe Arbeitsbelastung wird sich insgesamt nur senken lassen, wenn Höchstarbeitszeiten beachtet werden und Verstöße entsprechend geahndet werden. In solchen Fällen sind auch die Betriebsräte gefordert, die Einhaltung von Obergrenzen zu überwachen. Hierzu ist es unabdingbar, die Arbeitszeit der Ärzte systematisch zu erfassen.

 
Fast die Hälfte der Klinikärzte (46%) arbeitet 49 bis 59 Stunden und jeder Fünfte (21%) 60 bis 79 Stunden.
 

Mittlerweile wird bei 44% der Befragten die Arbeitszeit elektronisch und bei 29% handschriftlich erfasst. Die tarifpolitischen Bemühungen des Marburger Bundes zeigen hier Wirkung. Trotzdem: bei 29% der Teilnehmer gibt es keine systematische Erfassung. Das bedeutet, dass jeder vierte Klinikarbeitgeber seiner gesetzlichen und tarifvertraglichen Verpflichtung zur objektiven Arbeitszeitdokumentation nicht nachkommt.

Dazu kommt, dass 28% angeben, ihre Überstunden würden weder durch Freizeit ausgeglichen noch bezahlt. Bei rund 170.000 Krankenhausärzten erhalten demzufolge etwa 47.000 Ärzte regelmäßig keine Entlohnung oder Freizeitausgleich für geleistete Überstunden. Ausgehend vom Mittelwert von 7,3 Überstunden pro Woche fallen so jährlich schätzungsweise 15,4 Millionen nicht vergütete Überstunden an.

 

REFERENZEN:

1. Marburger Bund: MB-Monitor 2015 – Zusammenfassung. 5. November 2015

 

Kommentar

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