Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in einer frühen Nutzenbewertung des PCSK9 (Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9)-Antikörpers Evolocumab (Handelsname: Repatha®) keinen Zusatznutzen bestätigt [1]. Die Begründung lautet, dass die dem IQWiG vorgelegten Studiendaten über nur 12 Wochen nicht geeignet seien, um einen Zusatznutzen für eine dauerhafte Behandlung abzuleiten, wie sie zur Senkung der LDL-Cholesterinwerte üblich ist.

Prof. Dr. Ulrich Laufs
„Die Stellungnahme des IQWiG beschränkt sich auf eine evidenziologisch-technische Diskussion der Beobachtungszeit verschiedener Studien. Sie vermeidet dabei aber eine Stellungnahme zu den wesentlichen wissenschaftlichen Fragen der neuen PCSK9-Inhibitoren“, bedauert Prof. Dr. Ulrich Laufs, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg. Er betont: „Dabei ist unstrittig, dass die neuen PCSK9-Inhibitoren Evolocumab, Alirocumab und Bococizumab das LDL-Cholesterin im Serum nach wenigen Tagen um 50 bis 60 Prozent senken und dass die LDL-Senkung dauerhaft anhält. Es handelt sich um einen Klasseneffekt, der unabhängig von der Begleittherapie ist.“
Ein-Jahresdaten der OSLER-Studie im NEJM publiziert
Seit Jahren ist bekannt, dass Personen mit genetisch niedrigen PCSK9-Konzentrationen sowohl niedrige LDL-Cholesterin-Spiegel als auch ein proportional reduziertes kardiovaskuläres Risiko aufweisen. Umgekehrt sind erhöhte PCSK9-Konzentrationen mit einem erhöhten Herzinfarktrisiko verbunden.
Die europäische Zulassungsagentur EMA (European Medical Agency) begründete dagegen ihre im Juli diesen Jahres erfolgte Zulassung von Evolocumab auf Basis des Studienprogramms PROFICIO, zu dem auch Langzeit-Daten gehören. Die Ergebnisse des ersten Jahres der Langzeitstudie OSLER, deren Endpunkte noch nicht erreicht wurden, wurden bereits im März 2015 im New England Journal of Medicine publiziert.
Evolocumab lässt auch Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse erwarten
Laut dieser Ergebnisse senkt die zusätzliche Gabe des monoklonalen humanen PCSK9-Antikörpers Evolocumab zu einer maximalen lipidsenkenden Therapie die kumulative Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse im ersten Jahr um 61% (Hazard Ratio: 0,47; 95%-Konfidenzintervall: 0,28-0,78; p = 0,003).
Allerdings waren die absoluten Zahlen klein: Von insgesamt 4.465 Patienten erlitten in diesem Zeitraum nur 2,18% in der Standardtherapie-Gruppe im Vergleich zu 0,95% in der Evolocumab-Gruppe ein solches Ereignis (koronar bedingter Tod, nicht tödlicher Myokardinfarkt oder tödlicher/ nicht tödlicher Schlaganfall sowie instabile Angina pectoris mit Krankenhausaufnahme). Weiterhin handelt es sich um eine unverblindete Nachbeobachtung von Patienten aus Phase-2- und Phase-3-Studien.
„Alle bislang vorliegenden Studien zeigen übereinstimmend eine sehr potente LDL-C-Senkung bei guter Verträglichkeit der PCSK9-Inhibitoren. Derzeit noch offene Fragen betreffen vor allem die Sicherheit der Langzeittherapie“, analysiert Laufs die Situation. „Bisher liegen nur Aussagen für eine Beobachtungszeit von 1 bis 2 Jahren vor, die Daten der großen Outcome-Studien werden für eine klinische Beurteilung notwendig sein. Inwieweit anti-drug antibodies für Wirksamkeit und Sicherheit einer langfristigen Therapie eine Rolle spielen, steht ebenso wie die kognitive Funktion der behandelten Patienten unter besonderer Beobachtung.“
Evolocumab für Hochrisiko-Patienten und bei familiärer Hypercholesterinämie
Die Wirkung von Evolocumab auf die LDL-Cholesterinwerte tritt sehr schnell ein: So wurde in verschiedenen Phase-2- und Phase-3-Studien nicht nur das LDL-Cholesterin um 50 bis 60% reduziert, die Wirkung setzte bereits nach 8 bis 10 Tagen ein und blieb über den Studienzeitraum von 12 Wochen erhalten. Dabei wurde Evolocumab alle 14 Tage subkutan
sowohl als Monotherapie,
als auch in verschiedenen Kombinationen;
bei Patienten, die Statine vertrugen oder nicht;
mit refraktären Verläufen von Hypercholesterinämie
oder gemischter Dyslipidämie
sowie familiärer Hypercholesterinämie appliziert.
„Vor dem Hintergrund der noch nicht abgeschlossenen Endpunktstudien muss sich aus ärztlicher Sicht die Patientenselektion auf Gruppen mit sehr hohem LDL-C beziehen, für die derzeit lediglich die Lipoprotein-Apherese zu Verfügung steht“, bewertet Laufs die derzeitige Situation. „Hierzu gehören insbesondere Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie sowie Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko, die trotz einer maximal verträglichen Statin-Dosis keine ausreichende LDL-C Senkung erreichen. Für diese Patienten sehe ich bereits vor dem Vorliegen der Endpunktstudien einen Bedarf für den Einsatz von PCSK9 Inhibitoren.“
Wie er weiter erläutert, lassen die bisher vorliegenden studienübergreifenden Ergebnisse die Experten auf einen potentiellen therapeutischen Benefit von Evolocumab und ebenso von anderen zugelassenen PCSK9-Antikörpern hoffen. Unter den Patienten erreichten viele mit diesen neuen Wirkstoffen erstmalig eine Senkung ihrer LDL-Cholesterinspiegels um über 50%. Weiterhin zeigte sich in allen relevanten Studien bisher auch eine sehr gute Verträglichkeit.
Kann das IQWiG die Entwicklung der PCSK9-Antikörper bremsen?
Das IQWiG tritt durch seine Entscheidung, Evolocumab in seiner frühen Bewertung keinen Zusatznutzen gegenüber zweckmäßigen Vergleichstherapien zu bestätigen, auf die Bremse der rasanten Entwicklung der PCSK9-Antikörper. „Im weiteren Verlauf des Prozesses werden wir die Möglichkeit nutzen, unsere Daten – vor allem hinsichtlich der Sicherheit von Evolocumab – noch einmal ausführlich zu erläutern“, kündigt eine Sprecherin des Unternehmens Amgen an.
Die kardiovaskulären Ereignisse der Outcome-Studie FOURIER, die bei 27.564 Patienten den Effekt von Evolocumab untersucht, werden bis Mitte 2016 erwartet. Der G-BA wird nach dem Anhörungsverfahren final allerdings bereits im März über den Zusatznutzen von Evolocumab entscheiden.
REFERENZEN:
© 2016 Medscape © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: IQWiG will dem PCSK9-Hemmer Evolocumab keinen Zusatznutzen bei der Senkung hoher LDL-Cholesterinspiegel bestätigen - Medscape - 4. Jan 2016.
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