Nachdem Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe im Dezember in dem Bericht Gesundheit in Deutschland angekündigt hat, am Robert Koch-Institut (RKI) eine Nationale Diabetes Surveillance einrichten zu wollen, begrüßen dies jetzt Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe ausdrücklich [1]. DDG und diabetesDE waren von Beginn an in den Aufbau involviert und sehen in der geplanten Diabetes-Surveillance ein wichtiges Instrument auf dem Weg zu einer Nationalen Diabetes Strategie, teilen sie mit.
Es geht letztlich darum, endlich in Deutschland ein klares Bild von der Versorgungsqualität in Sachen Diabetes zu schaffen. Basierend auf Verknüpfungen der Primärdaten des RKI-Gesundheitsmonitorings mit relevanten Sekundärdaten auf Bundes- und regionaler Ebene soll die Surveillance vor allem bessere Informationen liefern, um die bestehenden Datenlücken zu füllen.
Diabetes-Epidemie in Deutschland wird endlich erkannt
„Die Ankündigung zeigt, dass die Bedeutung der Diabetes-Epidemie in der Politik angekommen ist“, sagt Prof. Dr. Thomas Danne, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE. Prof. Dr. Jochen Seufert, Sprecher der Kommission Versorgungsforschung und Register der DDG, ergänzt: „Es ist wichtig, alle verfügbaren Datenquellen zu nutzen, um Erkrankungsverläufe und deren Behandlung lückenlos zu erfassen und auszuwerten. „So können nicht nur Versorgungsstrukturen optimiert, sondern auch effektive Präventionsstrategien entwickelt werden.“
Dr. Stefanie Gerlach, Leiterin der Gesundheitspolitik bei diabetesDE, spricht von einem „Meilenstein“, der zum einen endlich die bisher unzureichende Datenlage ergänzen soll. „Im Hinblick auf die Folgeerkrankungen sind wir derzeit auf Schätzungen angewiesen, wie viele Erblindungen, Amputationen oder Nierenersatztherapien aufgrund des Diabetes anfallen. Zum Schwangerschaftsdiabetes gibt es ernstzunehmende Hinweise, dass die aktuelle Situation deutlich unterschätzt wird“, erläutert Gerlach.
Zum anderen sollen Maßnahmen zur Verbesserung der Diabetes-Situation folgen. „Die sind aber vom Ministerium noch nicht formuliert worden und werden sich an der neuen Datenbasis der Surveillance orientieren, die den Handlungsbedarf konkretisieren wird“, erklärt sie gegenüber Medscape Deutschland.
Beide Organisationen sind aber noch nicht zufrieden. „Eine Surveillance ist noch kein versorgungsforschungsfähiges Register, es ist eher der ‚Spatz in der Hand‘ als die ‚Taube auf dem Dach‘, aber wir sehen darin dennoch einen wesentlichen Fortschritt und unterstützen das Bundesgesundheitsministerium bzw. das RKI nach Kräften“, so Gerlach. Die Diabetesorganisationen hatten bereits früher ein Basispapier für einen nationalen Diabetesplan erstellt. In Deutschland sind 6,7 Millionen Menschen an Diabetes mellitus erkrankt, 95 % davon an Typ-2-Diabetes. Laut DDG ist die Dunkelziffer hoch: 1 bis 2 Millionen Deutsche sind wahrscheinlich zusätzlich an Diabetes erkrankt, wissen aber nichts davon – Tendenz steigend.
Hinweise, dass Diabetes als Todesursache unterschätzt wird
Die Kommission Versorgungsforschung und Register, die sich aus 9 Mitgliedern beider Diabetesorganisationen und dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) zusammensetzt, wird in die Diabetes-Surveillance eingebunden. Im April 2015 fand die erste Diabetes-Register-Konferenz mit Vertretern des Bundesgesundheitsministeriums, des RKI und Experten zahlreicher Diabetesregister und Datensammlungen in Berlin statt. Eine zweite Konferenz richtete das RKI am 17. November 2015 in Berlin aus.
„Bei der ersten Registerkonferenz haben 15 ‚Datenhalter‘ ihre regionalen Registerdaten vorgestellt; diese sollen auch Eingang in die Surveillance nehmen – doch das sind überwiegend keine repräsentativen Daten für Deutschland“, erklärt Gerlach. „Diabetes als Todesursache wird unterschätzt, da meist nur Folgeerkrankungen dokumentiert werden. Wir wissen ebenfalls, dass große Datenmengen existieren, die aber derzeit nicht oder nicht angemessen ausgewertet werden“, fasst Gerlach zusammen.
Präventionsstrategie für die nichtübertragbaren Krankheiten ist überfällig
„Angesichts der Tatsache, dass 80 Prozent der vorzeitigen Todesfälle auf die nicht übertragbaren Krankheiten zurückzuführen sind, benötigen wir zusätzlich zur Diabetes-Strategie dringend eine Präventionsstrategie, die bei mehreren Erkrankungen gleichzeitig greift“, betont Danne. Viele nicht übertragbare chronische Krankheiten wie Krebs und Herzkreislauferkrankungen seien mit den gleichen Risikofaktoren wie Diabetes und Adipositas verbunden – ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht, Armut.
Mit einer Nationalen Diabetes Strategie und einer Präventionsstrategie käme Deutschland auch dem UN-Ziel ein Stück näher, die Sterblichkeit bei den nicht übertragbaren Krankheiten bis 2030 um ein Drittel zu senken. DDG und diabetesDE plädieren deshalb zusammen mit der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) dafür, 4 Forderungen umzusetzen:
• Täglich mindestens eine Stunde Bewegung in Schule und Kindergarten,
• Besteuerung adipogener Lebensmittel bei gleichzeitiger Entlastung gesunder Lebensmittel (Zucker-Fett-Steuer),
• Verbindliche Qualitätsstandards für die Kindergarten- und Schulverpflegung,
• Verbot der an Kinder und Jugendliche gerichteten Werbung für übergewichtsfördernde Lebensmittel.
Solche Maßnahmen würden heute auch von den Vereinten Nationen und der WHO gefordert, um die Epidemie der nicht übertragbaren Krankheiten aufzuhalten, betont Gerlach. Die DANK-Forderungen, so Gerlach, sollten das Erkrankungsrisiko für alle nicht übertragbaren Krankheiten langfristig senken.
„Leider sind sie im neuen Präventionsgesetz nicht berücksichtigt worden. Deshalb befürchten wir, dass das Präventionsgesetz in der derzeitigen Fassung nicht ausreichen wird, um die Epidemie der nichtübertragbaren Krankheiten aufhalten zu können“, erklärt Gerlach. DANK fordere einen Paradigmenwechsel hin zu verhältnispräventiven Maßnahmen, die eine gesundheitsförderliche Umwelt schaffen können. In einem solchen Umfeld falle es Menschen leichter, sich gesund zu verhalten.
REFERENZEN:
1. Stellungnahme DDG, 28. Dezember 2015
Diesen Artikel so zitieren: Diabetes-Surveillance: Ein wichtiger Schritt hin zu einer Nationalen Diabetes-Strategie – aber nur der erste - Medscape - 4. Jan 2016.
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