
Prof. Dr. Christian Trautwein
Eine Alkoholabhängigkeit erhöht auch das Risiko für Darmkrebs. Doch viele Betroffene bleiben unbehandelt und nehmen die nötigen Vorsorgeuntersuchungen nicht wahr. Die United European Gastroenterology und die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) haben nun einen Aufruf gestartet, um die Zahl der Darmkrebsfälle zu senken. Medscape Deutschland sprach mit Prof. Dr. Christian Trautwein, Mediensprecher der DGVS und Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Stoffwechselerkrankungen und Internistische Intensivmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen, über die Bedeutung von Leberwerten und Vorurteile gegen das Darmkrebsscreening.
Medscape Deutschland: 1,3 Millionen Deutsche gelten als alkoholabhängig, aber nur jeder zehnte erhält eine Therapie. Woran hakt es?
Prof. Dr. Trautwein: Wir haben die 1,3 Millionen ja nicht in einer Datei und könnten sagen, diese Patienten sind abhängig, sondern das ist ein Prozess. Oft fängt es mit einem täglichen Bier an und wird dann immer mehr. Bis derjenige das realisiert und es schafft, sich einem Arzt anzuvertrauen, dauert es meistens relativ lange. Und bis man einen Patienten dann soweit hat, wirklich eine Therapie zu beginnen, braucht es nochmal viele Gespräche und viel Zeit. Ein großer Teil der Betroffenen verharmlost ihren Konsum erstmal.
Medscape Deutschland: Dennoch scheint es auch bei Ärzten eine Scheu zu geben, das Thema anzusprechen. Was raten Sie den Kollegen?
Prof. Trautwein: Es würde sehr viel helfen, wenn wir die Leberwerte in den allgemeinen Gesundheits-Checkup integrieren. Daran erkennt man eigentlich einen Alkoholkonsum oft sehr gut – wobei es natürlich auch andere Ursachen für Auffälligkeiten geben kann. Aber der Arzt hat damit ein Faktum, an dem er ein Gespräch beginnen kann. Natürlich ist es nicht einfach, das Thema sensibel anzusprechen. Aber man kann das gut üben.
Medscape Deutschland: Bei starken Trinkern denken viele Ärzte und auch Laien durchaus an das Risiko für die Leber. Aber wie gefährlich ist zu viel Alkohol für den Darm?
Prof. Trautwein: Bereits ein Glas Wein am Tag erhöht statistisch das Risiko für Darmkrebs. Und je mehr man trinkt, desto höher wird es, das ist eine klare Dosis-Wirkungs-Beziehung. Bei mehr als vier Drinks pro Tag ist die Gefahr um 50 % erhöht. Warum das so ist, wissen wir noch nicht genau. Möglicherweise verändert der Alkohol die Mechanismen im Darm. Aus Tierexperimenten wissen wir, dass der Stoff das Epithel beschädigt und möglicherweise einen Einfluss auf die Darmflora hat.
Medscape Deutschland: Ein Glas Wein am Tag halten ja viele immer noch für gesund.
Prof. Trautwein: Die Grenze für ein erhöhtes Risiko liegt bei einer Flasche Wein pro Woche für die Frau und eineinhalb Flaschen für den Mann. Das macht für Frauen 100 Milliliter Wein am Tag. Unter einem Glas Wein versteht man im Volksmund jedoch in der Regel jedoch größere Mengen.
Medscape Deutschland: Ab welchem Alkoholkonsum sollte der Hausarzt einen Patienten in jedem Fall zur Darmkrebsvorsorge schicken?
Prof. Trautwein: Grundsätzlich wird ein Screening ab 55 Jahre für alle Versicherten bezahlt, bei Risikogruppen auch früher. Ich wäre dafür, den Zeitpunkt auf 50 Jahre zu verlegen, damit man eben auch Alkoholpatienten automatisch erfasst. Einem Alkoholkranken würde ich die Untersuchung eher früher empfehlen, je nach Menge und Dauer des Konsums. Das ist dann eine individuelle Entscheidung. Bisher spielt das Thema Alkohol in den Leitlinien aber keine Rolle. Deshalb haben unsere Informationspolitik verändert, damit die Aufmerksamkeit bei den niedergelassenen Kollegen und bei Betroffenen erhöht wird.
Medscape Deutschland: Die Vorsorge ist sehr effektiv, dennoch wird sie nur von einer Minderheit angenommen. Was schreckt die Patienten ab?
Prof. Trautwein: Viele denken immer noch, dass die Untersuchung schmerzhaft ist. Dabei versetzen wir die Patienten in einen Kurzschlaf, und sie spüren fast nichts. Viele sagen hinterher, das Schlimmste war die Vorbereitung, also die Darmentleerung. Aber auch da haben wir mittlerweile bessere Substanzen. Und es lohnt sich, denn der Arzt kann Krebs-Vorstufen gleich entfernen. Ich denke, wir müssten die Darmkrebsvorsorge noch stärker bewerben im Rahmen der allgemeinen Prophylaxe, zum Beispiel mit Bonusprogrammen der Krankenkassen.
Medscape Deutschland: Was kann man noch tun, um sein Darmkrebsrisiko zu senken?
Prof. Trautwein: Nicht Rauchen, kein Übergewicht, wenig rotes Fleisch und Wurst und, ganz wichtig: viel Bewegung. Das schützt erwiesenermaßen – incht nur vor Darmkrebs, sondern auch vor weiteren Krankheiten wie etwa Diabetes.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Darmkrebs: Früheres Screening hilft Alkoholabhängigen - Medscape - 28. Dez 2015.
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