Altern ohne Altersschwäche: Menschen bleiben heute länger gesund – vor allem im Kopf

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

23. Dezember 2015

Der Jahrtausende alte Wunsch, gesund zu altern, scheint sich mehr und mehr zu erfüllen: Denn von 1991 bis 2011 hat nicht nur die Lebenserwartung um durchschnittlich 4,5 Jahre für Männer und 3,6 Jahre für Frauen zugenommen, sondern auch die körperlich und geistig gesunde Lebensspanne. Das ergab eine englische Studie, die Veränderungen hinsichtlich Lebenserwartung und Gesundheit im Alter untersuchte [1].

Besonders erfreulich: 2011 lebten die Menschen länger ohne eine Demenz oder andere kognitive Einschränkungen. „Während der vergangenen zwei Jahrzehnte zeigten sich in England eine Kompression, das bedeutet: eine Reduktion kognitiver Einschränkungen, ein zunehmender Anteil an gesunder Lebenszeit und Veränderungen beim Auftreten von Behinderungen“, berichten die Autoren um Prof. Dr. Carol Jagger Institut für Alternsforschung an der Newcastle University.

Prof. Dr. Björn Schumacher

Das Altern lässt sich steuern

„Dass sich die gesunde Lebensspanne verlängert, ist eine interessante und erfreuliche Erkenntnis“, sagt Prof. Dr. Björn Schumacher, Leiter des Lehrstuhls für Genomstabilität in Alterung und Erkrankung am CECAD Exzellenzcluster für Alternsforschung der Universität zu Köln, im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Das ist das, was sich alle wünschen – nämlich nicht nur das Leben mit Jahren, sondern auch die Jahre mit Leben zu füllen.“

Eine mögliche Verlängerung der gesunden Lebensphase bedeute auch, dass sie durch Umwelteinflüsse veränderbar sei. „Das heißt: Durch den Lebenswandel kann man sein Altern verzögern“, erklärt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Alternsforschung (DGfA). Innerhalb der letzten 150 Jahre habe sich die Lebenserwartung der Menschen verdoppelt, „ohne, dass sich die genetischen Eigenschaften verändert haben. Obwohl Altern ein genetischer Prozess ist, bedeutet das, dass der Einfluss von Lebenswandel und Lebensumständen erheblich ist.“

Bisherige Erkenntnisse aus Zwillingsstudien beziffern den genetischen Einfluss aufs Altern mit 25%, den von Umweltfaktoren, inklusive der Behandlung von Krankheiten und dem Lebensstil, mit 75%.

 
Dass sich die gesunde Lebensspanne verlängert, ist eine interessante und erfreuliche Erkenntnis. Prof. Dr. Björn Schumacher
 

Besonders hervorzuheben sei der festgestellte Rückgang kognitiver Dysfunktionen, sagt Schumacher. „In zahlreichen bisherigen Studien wurde ein Anstieg dieser Erkrankungen festgestellt – daher bietet uns diese Studie einen Hoffnungsschimmer.“

In den beiden Cognitive Function and Ageing Studien von 1991 und 2011 haben Jagger und ihre Kollegen jeweils mehr als 7.500 Männer und Frauen, die über 65 Jahre alt waren, in 3 Zentren – Cambridgeshire, Newcastle und Nottingham – zu 3 Gesundheits-Parametern befragt:

  • Selbsteinschätzung der Gesundheit (hervorragend bis gut, mittelmäßig oder schlecht),

  • kognitive Einschränkungen (keine, leichte oder schwere), angezeigt durch den Mini-Mental State Examination (MMSE)-Wert,

  • Behinderungen beim Bewältigen von Alltagsaktivitäten (keine, leichte oder mäßige bis schwere).

 
Durch den Lebenswandel kann man sein Altern verzögern. Prof. Dr. Björn Schumacher
 

Länger fitter im Kopf sein – das wünschten sich schon die alten Griechen

Im Schnitt lebten die Frauen 2011 um 4,4 Jahre länger ohne kognitive Einschränkungen als 1991; bei den Männern waren es 4,2 Jahre. Gleichzeitig ging die Lebenszeit mit schweren und leichten kognitiven Einschränkungen zurück. Diese eindeutige Errungenschaft eines „längeren Lebens mit weniger Einschränkungen ist ein wichtiger Schritt in Richtung des Homerischen Ideals“ des Alterns ohne Altersschwäche, kommentiert Prof. Dr. Kenneth Rockwood von der Dalhouse University in Halifax, Kanada, in einem Editorial zu der Vergleichsstudie [2].

„Ob weitere Fortschritte möglich sind, wird viel diskutiert.“ Er bezeichnet die kognitiven Verbesserungen als „keinesfalls substanzlos“. Der festgestellte Rückgang kognitiver Einschränkungen sei viel größer als die Auswirkungen, die bisher durch die äußerst teure Erforschung von Demenz-Biomarkern und erhofften Therapien erzielt wurden. „Ob eine allgemeine Verbesserung der Gesundheit – das heißt, eine Minderung von Gesundheitsdefiziten und deren Auswirkungen – eine weitere Reduktion der kognitiven Einschränkungen bringt, wissen wir bisher nicht“, schreibt Rockwood.

Ihre eigene Gesundheit schätzten die Männer und Frauen 2011 als besser ein als die Teilnehmer 1991. So ergab sich eigenen Einschätzungen zufolge ein Zugewinn an 3,1 (Frauen) bzw. 3,8 (Männer) Jahren, die in hervorragender bis guter Gesundheit verbracht wurden. Viel geringer fiel der Zugewinn an Lebenszeit ohne körperliche Einschränkungen aus, insbesondere für Frauen, die innerhalb der 20 Jahre, die zwischen den beiden Studien lagen, in dieser Hinsicht nur 0,5 Jahre dazugewannen. Bei den Männern waren es immerhin 2,6 Jahre.

 
Weniger schwere Behinderungen nehmen zu, schwere dagegen ab. Prof. Dr. Carol Jagger und Kollegen
 

„Weniger schwere Behinderungen nehmen zu, schwere dagegen ab“, erklären Jagger und ihre Kollegen. „Die Gründe für diese Muster kennen wir nicht, könnten aber mit dem Übergewichtsproblem zusammenhängen.“

Dass die Lebenszeit mit Einschränkungen zwar insgesamt zunehme, schwere Einschränkungen im Alter jedoch abnehmen, „gebe Anlass zur Hoffnung“, da die meisten der hinzugewonnenen Jahre mit nur leichten Einschränkungen einhergehen, sagt Rockwood.

Übergewicht kann Altern beschleunigen

In der Tat könne die zunehmende Fettleibigkeit sowie deren mögliche Folgeerkrankungen wie Diabetes, Arthritis oder Bluthochdruck dem Trend hin zum gesünderen Altern entgegenwirken, gibt Schumacher zu bedenken. „Übergewicht und Adipositas stellen heutzutage ein erhebliches und ernst zu nehmendes Problem dar, das sich auf die körperliche und geistige Gesundheit und die Lebenserwartung auswirkt.“ Daher müsse die Prävention von Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen künftig eine noch größere Rolle spielen.

 
Durch Sport und gesunde Ernährung kann der Blutdruck und damit nach heutigen Erkenntnissen auch das Demenzrisiko gesenkt werden. Prof. Dr. Björn Schumacher
 

„Durch Sport und gesunde Ernährung kann der Blutdruck und damit nach heutigen Erkenntnissen auch das Demenzrisiko gesenkt werden. Dafür ist es übrigens nie zu spät“, fügt er an. Denn auch ältere Menschen über 70 können neuesten Studien zufolge ihre Gesundheit im Alter durch Sport und gesunde Ernährung noch positiv beeinflussen, sagt Schumacher.

„Um die immer größer werdende Zahl der älteren Menschen tragen zu können, braucht die Gesellschaft noch mehr präventive Maßnahmen, um Krankheiten zu verhindern.“ Dafür sei es ein besseres Verständnis der molekularen Vorgänge des Alterns unabdingbar. Hierzu werde jedoch bisher zu wenig geforscht. Das beinhalte auch „effektive Therapien, die beim Alternsprozess selbst ansetzen. Jede im Alter auftretende Krankheit einzeln zu behandeln ist dagegen nur begrenzt zukunftsfähig.“

Auch Jagger und ihre Kollegen bezeichnen das „Komprimieren der Morbidität auf eine kürzere Zeitspanne“ als „wichtiges Anliegen für die Regierung, die gesamte Gesellschaft sowie für jeden Einzelnen und die Familie“. In weiteren Studien wollen sie herausfinden, welche Krankheiten und Störungen für den Anstieg leichter Behinderungen im Alter verantwortlich sein könnten.

Über das „Geheimnis des menschlichen Alterns“ und neueste Erkenntnisse der noch jungen Alternsforschung hat Schumacher ein Buch veröffentlicht.

 

REFERENZEN:

1. Jagger C, et al: Lancet (online) 8. Dezember 2015

2. Rockwood K: Lancet (online) 8. Dezember 2015

Kommentar

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