Wirkweise des Hustenmittels Ambroxol aufgeklärt: Therapieoptionen auch für neurodegenerative Erkrankungen

Inge Brinkmann

Interessenkonflikte

22. Dezember 2015

Prof. Dr. Paul Dietl

Der Wirkstoff Ambroxol (z.B. Mucosolvan®), wird seit mehr als 3 Jahrzehnten bei Husten und festsitzendem Sekret in den Atemwegen eingesetzt. Doch warum er eigentlich den Husten so gut zu lösen vermag, konnte bislang niemand im Detail erklären. Erst jetzt gelang es einer deutschen Forschergruppe um Prof. Dr. Paul Dietl, Leiter des Instituts für Allgemeine Physiologie an der Universität Ulm, den molekularen Mechanismus aufzuklären, der für die Schleimlösung verantwortlich ist: Ambroxol, so beschreibt es Dietls Team im Fachjournal Cell Calcium, stimuliere mithilfe von Ca2+ die lysosomale Sekretion von Surfactant aus den Pneumozyten Typ 2 [1].

Ambroxol repräsentiert mit dieser sekretionsfördernden Wirkung eine völlig neue Arzneistoffspezies. Und bemerkenswert ist überdies: „Der Effekt auf die lysosomale Sekretion ist vermutlich nicht nur auf die Pneumozyten begrenzt“, erklärt Dietl gegenüber Medscape Deutschland. Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass Ambroxol etwa auch bei neurodegenerativen Erkrankungen, bei denen der Abtransport von Ablagerungen aus den Nervenzellen gestört ist, wirksam ist.

So gab es bereits erste Berichte über die Wirksamkeit von Ambroxol bei lysosomalen Speicherkrankheiten wie Morbus Gaucher. Und auch im Rahmen der Pathogenese der Parkinson-Krankheit wird die besondere Rolle dieser Zellorganellen mehr und mehr akzeptiert. Ambroxol gilt dort als ein potentieller therapeutischer Wirkstoff.

 
Der Effekt auf die lysosomale Sekretion ist vermutlich nicht nur auf die Pneumozyten begrenzt. Prof. Dr. Paul Dietl
 

Nicht die Synthese von Surfactant wird stimuliert, sondern die Sekretion

Die Aufmerksamkeit von Wissenschaftlern hatte sich also schon seit einiger Zeit auf die Lysosomen, die intrazellulären „Abfall“-Beseitiger, gerichtet. Im Prinzip dienen sie dazu, abgenutzte oder überflüssige Bestandteile des eigenen Zellhaushalts sowie endozytierte Moleküle zu „verdauen“. Bei der lysosomalen Sekretion verschmelzen die Lysosomen mit der Plasmamembran der Zelle und initiieren so die Ausschleusung (Exozytose) des Zellabfalls.

In den Lamellarkörperchen, den spezifischen Lysosomen der Pneumozyten Typ 2, werden allerdings keine Abfallprodukte, sondern Surfactantlipide bis zur Sekretion gespeichert. Surfactant kleidet als dünner Film die Alveolen der Lunge aus und setzt die Oberflächenspannung an der Luft-Wassergrenze der Alveoli herab. Es hält die kleinen Atemwege offen und schützt sie vor dem Verkleben.

Vorangegangene Studien deuteten darauf hin, dass Ambroxol in einer noch unbekannten Form die Synthese der oberflächenaktiven Substanz beeinflusst. Die neue Studie zeigt nun, dass eine gesteigerte Surfactantkonzentration in den Alveolen primär die Folge einer erhöhten Sekretion der Substanz ist. „Die Stimulation der Sekretion durch Ambroxol und den zugrundeliegenden Mechanismus konnten wir erstmals erfolgreich nachweisen“, fasst der Physiologe Dietl zusammen.

 
Die Stimulation der Sekretion (von Surfactant) durch Ambroxol und den zugrundeliegenden Mechanismus konnten wir erstmals erfolgreich nachweisen. Prof. Dr. Paul Dietl
 

Ambroxol bewirkt indirekt ein Verschmelzen der Lysosome mit der Plasmamembran

Unter anderem zeigten Dietl und seine Kollegen mittels Röntgenspektroskopie, dass sich der Wirkstoff in den Lysosomen der Lungenepithelzellen – sauren Ca2+-Speichern – tatsächlich anreichert. Diese Akkumulation beruht auf einem bekannten Effekt, dem „acid trapping“. Dabei reichern sich schwache Basen wie Ambroxol in sauren intrazellulären Kompartimenten wie den Lysosomen an.

Auch die Folge dieser Akkumulation konnten Dietl und seine Mitarbeiter dokumentieren. „Ambroxol führt zu einer signifikanten Neutralisation des lysosomalen pH-Werts“, heißt es in der Publikation. Mit der Folge, dass Ca2+, ein Botenstoff für die Exozytose, aus diesen Speichern freigesetzt wird. Die resultierende Erhöhung der Ca2+-Konzentration im Zytoplasma bewirkt wiederum, dass die Organellen mit der Plasmamembran verschmelzen: Die lysosomale Sekretion von Surfactant ist das Resultat.

Ein Mechanismus – Angriffspunkt bei mehreren Krankheiten

„Prinzipiell lässt sich dieser Wirkmechanismus auf alle Zellen mit sauren Ca2+-Speichern übertragen“, sagt Dietl. Aus diesem Grund scheint Ambroxol auch eine Rolle bei lysosomalen Speicher- und anderen neurodegenerativen Krankheiten zu spielen.

Aber auch weitere bekannte Effekte von Ambroxol, wie zum Beispiel die entzündungshemmende Wirkung, könnten nun erklärt werden, heißt es in einer Pressemitteilung der Universität Ulm. Surfactant binde nämlich schädigende Partikel wie Bakterien oder Viren und bereite sie so für den Abbau vor.

 

REFERENZEN:

1. Fois G, et al: Cell Calcium 2015;58(6):628-37

Kommentar

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