Orlando – Der BITE-Antikörper Blinatumomab ist bei erwachsenen Hochrisiko-Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie (ALL) wirksam und verträglich. Dies belegen Daten aus 3 Phase-2-Studien, die beim ASH-Kongress in Orlando vorgestellt worden sind [1]. Die unerwünschten Wirkungen von Blinatumomab sind nach Aussage von Dr. Nicola Gökbuget, Leiterin der Studienzentrale des Studienzentrums Hämatologie-Onkologie am Universitätsklinikum Frankfurt, zu managen: „Dies wird bei mehr Erfahrung mit der Substanz noch besser werden.“
Die ALL bei Erwachsenen hat eine schlechte Prognose. Bei Rückfall oder Rezidiv liegt das mediane Gesamtüberleben zwischen 3 und 5 Monaten. Außer Chemotherapie gibt es für Erwachsene mit rezidivierter und refraktärer ALL (r/r-ALL) derzeit keine breit akzeptierte Standardtherapie. Deshalb seien neue Therapieansätze dringend erforderlich, so Prof. Dr. Anjali S. Advani, Leiterin der Leukämiestation an der Cleveland Clinic, die Blinatumomab in einer speziellen Sitzung zu neu zugelassenen Arzneimitteln vorstellte.
Dauerinfusion erforderlich
Blinatumomab ist ein bispezifischer monoklonaler Antikörper (Bispecific T-Zell engager, BiTE), der spezifisch an CD19 bindet, welches auf der Oberfläche von Zellen exprimiert wird, die der B-Linie entstammen, und an CD3, welches auf der Oberfläche von T-Zellen exprimiert wird (wie Medscape Deutschland berichtete). Es aktiviert endogene T-Zellen durch Verbindung von CD3 im T-Zellrezeptor (TCR)-Komplex mit CD19 auf gutartigen und malignen B-Zellen.
In der EU ist Blinatumomab zur Behandlung von Erwachsenen mit Philadelphia-Chromosom-negativer, rezidivierter oder refraktärer B-Vorläufer-ALL zugelassen.
Ermutigende Resultate in der Phase 2
Wirksamkeit und Verträglichkeit wurden in einer von Prof. Dr. Max Topp, Universitätsklinikum Würzburg, geleiteten und in Lancet Oncology publizierten multizentrischen einarmigen Phase-2-Studie (211-Studie) an 189 Patienten mit Philadelphia-Chromosom-negativer rezidivierter oder refraktärer B-Vorläufer-ALL untersucht. Den primären Endpunkt, die Rate kompletter Remissionen bzw. kompletter Remissionen mit partieller hämatologischer Erholung (CR/CRh) innerhalb von 2 Zyklen einer Blinatumomab-Behandlung, erreichten 81/189 Patienten (42,9%), wobei die Mehrzahl (64 von 81) innerhalb eines Behandlungszyklus ansprach.
In einer präspezifizierten, explorativen Analyse erreichten 60 von 73 Patienten mit CR/CRh (82,2%) auch ein Ansprechen der minimalen Resterkrankung (MRD). Das mediane rezidivfreie Überleben lag bei 5,9 Monaten, das Gesamtüberleben bei 6,1 Monaten. „Das waren sehr ermutigende Resultate in einer stark vorbehandelten Patientengruppe“, so Advani.
Behandlung aufwendig und teuer
Advani ging auch auf praktische Aspekte der Anwendung von Blinatumomab ein. Ein einzelner Behandlungszyklus umfasst eine Dauerinfusion über 4 Wochen. Die Behandlungszyklen werden durch ein 2-wöchiges behandlungsfreies Intervall getrennt. „Die kontinuierliche Infusion ist wegen der kurzen Halbwertszeit von Blinatumomab und enttäuschender Wirkung mit Kurzzeit-i.v.-Gabe in frühen Studien erforderlich“, erläuterte Advani. Sie macht einen Austausch der Beutel mindestens alle 48 Stunden erforderlich. Im ersten Zyklus müssten die Patienten in den ersten 9 Tagen der Therapie, im zweiten Zyklus mindestens 2 Tage hospitalisiert werden.
Und sie wies auch auf die Kosten der Behandlung hin, die in den USA bei ca. 89.000 Dollar pro Monat liegen. Unter den unerwünschten Wirkungen hob sie das Zytokin-Freisetzungs-Syndrom und neurotoxische Effekte als besonders beachtenswert hervor.
Blinatumomab wird derzeit in einer Reihe weiterer Studien untersucht, so in der Phase-3-Studie TOWER bei Patienten mit r/r-ALL im Vergleich zu Standard-Chemotherapie und in der Phase-3-Studie E1910 in der Erstlinientherapie. Advani ist der Ansicht, dass die „Integration von Blinatumomab in die Behandlung von neu diagnostizierten Patienten deren Outcome verbessern kann“.
Wirksamkeit nach Transplantation
Prof. Dr. Anthony Stein, Gehr Leukemia Center, City of Hope, Duarte, USA, stellte beim ASH-Kongress eine exploratorische Analyse der 211-Studie vor, in der das Gesamtüberleben und die Häufigkeit von unerwünschten Wirkungen bei 64 Patienten untersucht wurden, die vor Aufnahme in die Studie nach einer Stammzelltransplantation ein Rezidiv erlitten oder darauf nicht angesprochen hatten.
Eine CR/CRh nach den ersten beiden Zyklen erreichten 45% der Patienten. Das mediane rezidivfreie Überleben lag bei 7,4 Monaten, das Gesamtüberleben bei 8,6 Monaten. „Die Ergebnisse waren damit konsistent mit denen der Gesamt-ITT-Population“, so Stein. Insgesamt starben 8 Patienten mit unkontrollierter Leukämie an unerwünschten Wirkungen, wobei ein Fall einer Candida-Infektion von den Untersuchern als therapieassoziiert eingeordnet wurde.
Unerwünschte Wirkungen vom Grad 3 und höher traten bei 88% der Patienten auf. Stein wies darauf hin, dass es sinnvoll sein könnte, bei dieser Population in künftigen Untersuchungen zusätzlich weitere Immuntherapien einzusetzen.
MRD-Ansprechen als Endpunkt
Über Langzeitergebnisse aus der BLAST-Studie (Studie 203) berichtete Dr. Nicola Gökbuget, Leiterin der Studienzentrale des Studienzentrums Hämatologie-Onkologie am Universitätsklinikum Frankfurt. „Eine persistierende minimale Resterkrankung nach Standard-Induktion und Konsolidierung oder eine erneute MRD nach vorheriger MRD-Negativität bedeuten ein hohes Rückfallrisiko“, erläuterte sie.
Die persistierende und erneut auftretende MRD sind Indikationen für eine allogene Transplantation, wobei die Rückfallrate hoch ist. Daher besteht ein hoher Bedarf an neuen Therapiemöglichkeiten wie Blinatumomab. 116 Patienten mit B-Zell-Präkursor-AML und MRD nach mindestens 3 Chemotherapie-Regimen waren mit Blinatumomab behandelt worden. Patienten mit einer MRD-Response nach einer Gabe von Blinatumomab zeigten ein längeres Gesamtüberleben und ein längeres rezidivfreies Überleben als Patienten ohne MRD-Ansprechen.
Gökbuget bescheinigte Blinatumomab eine sehr gute antileukämische Wirksamkeit bei dieser Hochrisikopopulation. Die unerwünschten Wirkungen der Substanz sind nach ihrer Ansicht zu managen, zudem werde man damit mit zunehmender Erfahrung immer besser umgehen können.
Studie an Patienten mit Philadelphia-Chromosom
ALCANTARA ist eine weitere einarmige Phase-2-Studie, die von Prof. Dr. Giovanni Martinelli, Institut für Hämatologie am S.Orsola-Malpighi-Universitätskrankenhaus in Bologna und seine Kollegen bei erwachsenen Patienten mit Philadelphia-Chromosom-positiver r/r-ALL durchgeführt wurde. Wie Martinelli erläuterte, haben zwar Tyrosinkinase-Inhibitoren wie Nilotinib, Dasatinib und Ponatinib das Therapieergebnis bei den Patienten verbessert. Aufgrund einer Resistenzentwicklung werden die Tyrosinkinase-Inhibitoren jedoch häufig unwirksam.
In ALCANTARA-Studie wurden 45 Patienten aufgenommen, von denen 44 resistent auf Tyrosinkinase-Inhibitoren der zweiten Generation waren. Der primäre Endpunkt CR/CRh wurde bei 36% der Patienten, ein komplettes MRD-Ansprechen bei 14/16 auswertbaren Patienten erreicht. „Das sehr tiefe Ansprechen bei 88 Prozent der Patienten ist vielversprechen für die nächsten Studien“, kommentierte der italienische Hämatoonkologe das Ergebnis. Das mediane Gesamtüberleben lag bei 7,1 Monaten, das rezidivfreie Überleben bei 6,7 Monaten.
REFERENZEN:
1. 57. ASH Annual Meeting, 5. bis 8. Dezember 2015, Orlando/USA
Diesen Artikel so zitieren: Blinatumomab gegen ALL bei Hochrisiko-Patienten: Therapie wirksam und verträglich, aber teuer und aufwändig - Medscape - 17. Dez 2015.
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