
Runder Tisch Geburtshilfe
Wie ist die Kaiserschnittrate in Deutschland zu senken? Antworten kamen letzte Woche aus Nordrhein-Westfalen – das Landesministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat den Abschlussbericht zu seinem „Runder Tisch Geburtshilfe“ vorgelegt [1]. Dr. Klaus-Dieter Jaspers, Chefarzt der Frauenklinik des Christophorus-Klinikums Coesfeld, war Mitglied des Gremiums und formuliert es gegenüber Medscape Deutschland so: „Zur Senkung der Kaiserschnittrate braucht es erstens Geduld, zweitens Expertise und drittens starke Hebammen.“
Dass er auch persönlich hinter einem solchen Konzept steht, hat er an der eigenen Klinik vorgemacht. Um die Sectiorate zu senken, sind laut Jaspers nämlich die großen Zentren in der Pflicht. Insbesondere Erstgebärende sollten so beraten und motiviert werden, dass sie sich prinzipiell eine vaginale Entbindung zutrauen – habe das einmal geklappt, klappe es meist auch bei den Folgeschwangerschaften.
Jaspers‘ Fazit: „Nur so ist dauerhaft die Gesamtzahl der Kaiserschnitte zu senken“ – und das nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Die von ihm geleitete Geburtshilfe des Christophorus-Klinikums Coesfeld, ein Perinatalzentrum Level 1 mit etwa 1.500 Geburten im Jahr, setzt dies seit 8 Jahren aktiv um. Dort lag die Kaiserschnittrate damals bei fast 40%. Jetzt liegt sie unter 20%.
Geduld für Aufklärungsgespräche und für Geburten
Etwa 4 bis 6 Wochen vor dem Entbindungstermin beraten erfahrene Frauenärzte jede Schwangere dort individuell und ausführlich, gegebenenfalls mehrmals über die Risiken einer vaginalen Geburt, aber auch die eines Kaiserschnittes. „Der Kaiserschnitt wird in der Öffentlichkeit häufig nicht mehr als ‚richtige‘ Operation wahrgenommen“, kritisiert Japsers. Diese Gespräche könnten das ändern. „Die Frauen wissen, dass es das oberste Ziel der Klinik ist, am Ende des Tages ein gesundes Kind, aber auch eine gesunde Mutter zu haben. Wenn eben möglich, soll gleichzeitig aber ein schönes Geburtserlebnis hinzukommen.“
Entsprechend geduldig werde jede Geburt begleitet. Unter der Anleitung und Begleitung einer Hebamme erlebe die Frau im Kreißsaal „ihre eigenen, zuvor nicht vermuteten Kräfte“. Die Gewissheit, dass bei Gefahr für Mutter oder Kind rund um die Uhr das gesamte Know-how eines Perinatalzentrums bereitstehe, bringe Ruhe in die Entbindungssituation.
„Wenn ein Kaiserschnitt im Rahmen der Beratung notwendig erscheint oder seitens der Patientin gewünscht wird, erfolgt die Terminfestlegung immer am oder in unmittelbarer Nähe des errechneten Geburtstermins, um frühgeburtliche Komplikationen beim Kind zu vermeiden“, ergänzt Jaspers. „Wenn es dann vorzeitig zu einem Geburtsbeginn kommt und eine vaginale Geburt möglich erscheint, entscheiden sich viele Frauen häufig doch noch für diesen Weg.“ Das große Team ermögliche es, dass jede Frau auch an Feiertagen oder nachts mit viel Empathie betreut werden könne.
Mit diesem Maßnahmenbündel gelang es 2014, die Kaiserschnittrate in Coesfeld bei einem hohen Anteil von Risikogeburten auf 19,3% zu senken. Mehrlinge und Steißlagen wurden in gut 60%, Frauen nach einem Kaiserschnitt in etwa der Hälfte der Fälle vaginal entbunden.
Diese Art des Klinikmanagements hat jedoch finanziell gesehen Nachteile. Bei gleich hoher Sectiorate wie im Landesdurchschnitt, rechnet Jaspers vor, würde die Frauenklinik etwa 500.000 Euro mehr Umsatz im Jahr machen. Durch die bessere Planbarkeit und geringere Dienstbelastung würden mit mehr Sectiones erhebliche Personalkosten eingespart. „Die Geschäftsführung musste sich darauf einlassen“, betont Jaspers, zeigt sich jedoch überzeugt: „Der Gewinn für Mutter und Kind durch eine natürliche Geburt ist unvergleichlich höher.“
Viele Ziele sind formuliert …
Damit es nicht bei diesem Leuchtturmbeispiel bleibt, haben die Mitglieder des Runden Tischs aus Landesregierung, Ärzteschaft, Hebammen und Krankenkassen sich unter anderem für das Bundesland auf folgende Ziele geeignet:
• Erhebung fundierter Daten über die Hebammenversorgung.
• Bezahlbare Haftpflichtversicherung für Hebammen – mithilfe der Bundesregierung.
• Niederschwellige Informationen über Geburtsmodi schon für Kinder, Jugendliche und junge Frauen, damit sich mehr Schwangere die vaginale Geburt zutrauen.
• Weiterentwicklung des Versorgungskonzeptes „Hebammenkreißsaal“.
• Entwicklung von Qualitätskriterien von allen an der Geburtshilfe beteiligten Berufsgruppen.
Zudem soll die DRG-Vergütung für vaginale Geburten kritisch geprüft werden. „Dies erscheint notwendig, da nach DRG-Vorgaben die vaginale Geburt – mit welchem Aufwand auch immer erreicht – im Vergleich zum Kaiserschnitt geringer vergütet wird“, merken die Verfasser des Abschlussberichts an. Die Vertreter der Ärztekammern in Westfalen-Lippe und Nordrhein sowie die Krankenhausgesellschaft NRW tragen diese Empfehlung jedoch nicht mit.
… aber die Umsetzung wird noch dauern

Barbara Blomeier
Damit ist klar: Bis zu messbaren Veränderungen als Konsequenz aus diesem Runden Tisch wird es noch dauern. „Den eigentlichen Auftrag, Konzepte zur Sicherung und zum Ausbau der wichtigen Funktion der Hebammen für die Geburtshilfe und die Begleitung junger Familien in Nordrhein-Westfalen zu erarbeiten, hat der Abschlussbericht nicht erfüllt“, bedauert Barbara Blomeier, 1. Vorsitzende des Landesverbandes der Hebammen in NRW.

Christoph Meinerz
„Sicherlich hatten wir uns ursprünglich konkrete gemeinsame Empfehlungen zur Senkung der Kaiserschnittrate und Stärkung der natürlichen Geburt erhofft“, räumt Christoph Meinerz, Pressesprecher des Landesgesundheitsministeriums NRW, ein. „Aber die Debatten am Runden Tisch haben die Vielschichtigkeit der Problematik verdeutlicht und auch gezeigt, wie wichtig es war, überhaupt in einen interdisziplinären Dialog einzusteigen.“ Immerhin wird derzeit geprüft, inwiefern das Konzept Hebammenkreißsaal unterstützt werden könne. Zudem ist eine Förderung von Kliniken im Gespräch, die trotz höherem Anteil von Risikogeburten Kaiserschnitte vermeiden.
REFERENZEN:
1. Der Runde Tisch Geburtshilfe: Abschlussbericht (online) 30. November 2015
Diesen Artikel so zitieren: Nordrhein-Westfalen will weniger Kaiserschnitte: Ein Chefarzt empfiehlt Geduld, Expertise – und starke Hebammen - Medscape - 14. Dez 2015.
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