Orlando – Die Monotherapie mit dem BCL2-Hemmer Venetoclax erreichte bei Ultra-Hochrisikopatienten mit rezidivierter und refraktärer chronischer lymphatischer Leukämie (r/r-CLL) und 17p-Deletion eine hohe Ansprechrate von 79,4%. Bei mehr als 20% der Responder konnte keine minimale residuelle Resterkrankung (MRD) mehr nachgewiesen werden.
Prof. Dr. Stephan Stilgenbauer, Klinik für Innere Medizin III im Universitätsklinikum Ulm, stellte diese viel versprechenden Daten der ersten Phase-2-Studie mit Venetoclax in der Late-Breaker-Sitzung beim ASH-Kongress in Orlando vor [1]. „Venetoclax könnte eine attraktive Behandlungsoption für CLL-Patienten mit 17p-Deletion in Monotherapie oder neuen Kombinationen darstellen“, so seine Schlussfolgerung.

Prof. Dr. Stephan Stilgenbauer
Denn: „Patienten mit 17p-CLL haben eine sehr schlechte Prognose und nur sehr begrenzte Behandlungsoptionen“, erläuterte Stilgenbauer. Das mediane progressionsfreie Überleben mit Frontline-Chemoimmunotherapie liege unter 12 Monaten.
Eine konstitutiv verstärkte Expression des antiapoptotisch wirkenden Proteins BCL2 macht CLL-Zellen Apoptose-resistent, was zur Akkumulation von langlebigen, klonalen Lymphozyten führt, die für die CLL charakteristisch sind. Venetoclax ist ein oral applizierbarer, selektiver BCL2-Inhibitor, der in den CLL-Zellen direkt und unabhängig von p53 eine Apoptose induziert. Er wird in Kooperation von Abbvie und Genentech klinisch entwickelt.
Erste Daten beim Menschen
Zum ASH-Kongress erschienen im New England Journal of Medicine online die Ergebnisse der ersten am Menschen durchgeführten Phase-1-Studie. Prof. Dr. Andrew W. Roberts, Royal Melbourne Hospital, Melbourne, Australien, und seine Kollegen hatten an 116 Patienten mit refraktärer oder rezidivierter CLL Sicherheit, Pharmakokinetik und maximal tolerierte Dosis von Venetoclax untersucht [2].
Die meisten Patienten waren mehrfach vorbehandelt und 89% wiesen schlechte prognostische oder genetische Parameter auf. 56 Patienten erhielten in der Dosiseskalationsphase steigende Dosierungen zwischen 150 bis 1.200 mg/Tag.
In der Expansionsphase wurden weitere 60 Patienten mit einer langsamen wöchentlichen Aufdosierung (Ramp-Up) bis zur Zieldosis von 400 mg behandelt. 92 von 116 Patienten (79%) sprachen auf Venetoclax an. In den Subgruppen der Patienten mit schlechter Prognose lagen die Ansprechraten zwischen 71 und 79%. Eine komplette Remission wurde bei 20% der Patienten erreicht. Das progressionsfreie Überleben nach 15 Monate lag in der 400-mg-Dosis-Gruppe bei 69%.
Hohe Ansprechraten in der ersten Phase-2-Studie
Stilgenbauer und Kollegen nahmen in die erste multizentrisch durchgeführte Phase-2-Studie 107 Patienten mit r/r-CLL und 17p-Deletion im medianen Alter von 67 Jahren auf. Sie hatten eine bis 10 Vortherapien (im Median 2) erhalten. 36% waren auf Bendamustin und 32% auf Fludarabin refraktär. 84% waren mit einem CD20-Antikörper vorbehandelt worden.
Wie Stilgenbauer erläuterte, ist das Risiko eines Tumor-Lyse-Syndroms (TLS) aufgrund des Wirkungsmechanismus von Venetoclax erhöht. Bei 42% der Patienten lag aufgrund großer Lymphknoten ein besonders hohes TLS-Risiko vor. „Eine schrittweise wöchentliche Aufdosierung über 5 Wochen bis zur Tagesdosis von 400 mg und Risiko-adaptierte Prophylaxemaßnahmen dienten zur Verringerung des TLS-Risikos“, erklärte der Ulmer Hämatoonkologe. Mit der Zieldosis von 400 mg wurden die Patienten bis zur Progression oder bis zum Auftreten unerwünschter Wirkungen behandelt.
Der primäre Endpunkt, die Gesamtansprechrate, wurde durch ein unabhängiges Komitee (IRC) sowie durch die Untersucher selbst beurteilt. Das IRC stellte eine Ansprechrate von 79,4%, die Untersucher von 73,8% fest. Eine vollständige Remission (CR) oder eine CR mit unvollständiger Erholung (CRi) wiesen 7,5% (IRC) bzw. 15,9% (Untersucher) der Patienten auf. Partiell sprachen 69,2% (IRC) bzw. 54,2% (Untersucher) der Patienten an.
Nur bei 4 Patienten normalisierten sich die Lymphozytenzahlen nicht auf einen Wert unter 4 x 109/l: „Ein dramatischer Effekt“, so Stilgenbauer, der rasch eintrat: „Im Median dauerte es bis zur Normalisierung 22 Tage.“ Bei 89 Patienten verkleinerten sich die Zielläsionen um mehr als 50%, dies dauerte im Median 2,7 Monate. Besonders bemerkenswert war nach Aussage von Stilgenbauer, dass bei mehr als 20% der Responder keine MRD im peripheren Blut mehr nachzuweisen war.
Bis zur CR/CRi dauerte es im Median 8,2 Monate. Über 12 Monate hielt das Ansprechen bei 84,7% aller Responder und bei 100% der Patienten mit CR/CRi an. Das progressionsfreie Überleben nach 12 Monaten wurde mit 72%, das Gesamtüberleben mit 86,7% errechnet.
Akzeptabele Toxizität
Unerwünschte Wirkungen vom Grad 3/4 traten bei 76% der Patienten auf. Am häufigsten war eine Neutropenie bei 40% der Patienten. „Eine Zahl, die bei Patienten in der Erstlinientherapie normal ist.“ Während der Aufdosierung kam es bei 5 Patienten zu einem mit Laborparametern nachweisbaren TLS, in keinem Fall kam es jedoch zu einem klinisch TLS.
„Mit Venetoclax-Monotherapie kann bei dieser Ultrahoch-Risikopopulation mit r/r-CLL und 17p-Deletion ein tiefes Ansprechen mit akzeptabler Toxizität erreicht werden“, so das Fazit von Stilgenbauer. Die Therapie mit gezielt wirkenden Substanzen habe enorme Fortschritte in der Hämatoonkologie ermöglicht und zu einem Paradigmenwechsel geführt.
REFERENZEN:
1. 7. Jahreskongress der American Society of Hematology (ASH), 5. bis 8. Dezember 2015, Orlando/USA
Diesen Artikel so zitieren: CLL: Bislang nicht gesehene Ansprechraten mit Venetoclax bei Ultra-Hochrisikopatienten - Medscape - 14. Dez 2015.
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