Studienakronyme sollen vor allem einprägsam sein, manchmal auch originell – und manchmal sind sie auch Ausdruck der Hoffnungen, die die Autoren mit der Studie verbunden haben. Letzteres war wohl der Fall als die PARADIGM-HF Studie bei Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz designt worden ist – und in diesem Fall haben sich die Hoffnungen wohl erfüllt. Tatsächlich kündigt sich mit der Zulassung des Wirkstoffes LCZ696 (Entresto®/Novartis) im November in Europa – und mit der Markteinführung zum Januar 2016 in Deutschland – ein Paradigmenwechsel in der Therapie von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und reduzierter Ejektionsfraktion an. Doch was bedeutet dies für den Praxisalltag?
Mit dem kombinierten Angiotensin-Rezeptor-/Neprilysin-Inhibitor (ARNI) LCZ696 ist nach 20 Jahren erstmals eine neue Wirkstoffgruppe bei dieser Indikation verfügbar. Wie berichtet, war in der PARADIGM-HF-Studie bei nahezu 8.500 Herzinsuffizienz-Patienten die Therapie mit dem ARNI derjenigen mit dem ACE-Hemmer Enalapril eindeutig überlegen: Sowohl die kardiovaskuläre Mortalität als auch die Hospitalisierungsrate wegen Herzinsuffizienz war jeweils relativ um etwa 20% geringer. Die Studie war wegen des hoch signifikanten Unterschieds vorzeitig beendet worden.
Muss der ARNI nun den ACE-Hemmer ablösen? Es gibt auch kritische Stimmen
Müsste dann nicht nach dem Motto „das Bessere ist der Feind des Guten“ ab Januar der ARNI das seit 25 Jahren etablierte Therapieprinzip der ACE-Hemmer bei systolischer Herzinsuffizienz ablösen?

Dr. John Mandrola
In den USA, wo LCZ696 bereits seit Juli 2015 verfügbar ist, mischten sich damals in die allseits geäußerte Begeisterung ob der PARADIGM-HF-Ergebnisse auch einige kritische abwartende Stimmen. „What now, ARNI?“ titelte damals Medscape.com. Und der Kardiologie-Blogger von Medscape.com, der Elektrophysiologe Dr. John Mandrola, mahnte in seinem Beitrag – nachdem er die erste Begeisterung über diese „eindeutig positive Studie“ sich hatte setzen lassen – an das Ganze doch mit etwas Vorsicht heranzugehen.
Was genau sind die Vorbehalte? Immerhin war in der PARADIGM-HF-Studie nicht nur der primäre Endpunkt aus kardiovaskulärer Mortalität und Herzinsuffizienz-Hospitalisierungen, sondern auch die Gesamtmortalität signifikant reduziert worden (17,0 vs 19,8%). „Der Vorteil von LCZ696 auf die kardiovaskuläre Mortalität ist im Vergleich zu Enalapril mindestens ebenso groß wie der von Enalapril im Vergleich zu Placebo“, hatte Studienleiter Prof. Dr. Milton Packer bei der Erstpräsentation der Studie während des ESC-Kongresses 2014 in Barcelona betont. Die Studienautoren hatten errechnet, dass nur 32 Patienten über den Studienzeitraum von 2,5 Jahren mit dem ARNI anstelle des ACE-Hemmers behandelt werden müssten, um einen kardiovaskulären Todesfall zu verhindern.

Prof. Dr. Michael Böhm
„Dass es einen 20-prozentigen Unterschied in der kardiovaskulären Todes- und Hospitalisierungsrate zum Standard der ACE-Hemmertherapie gibt, lässt sich nicht wegdiskutieren. Dies war ein überraschendes Resultat der PARADIGM-HF-Studie – und ist natürlich erfreulich“, konstatiert auch Prof. Dr. Michael Böhm, Homburg/Saar, Mitglied der Leitlinienkommission für die systolische Herzinsuffizienz der European Society of Cardiology (ESC), gegenüber Medscape Deutschland.
Sind die Studienergebnisse auf den „normalen“ Patienten im Praxisalltag übertragbar?
Doch ist ähnliches auch in der täglichen Praxis zu erwarten? Mandrola argumentiert, dass PARADIGM-HF eine Gruppe hoch-selektionierter, relativ junger Patienten (im Schnitt 63 Jahre) aufgenommen habe, 80% davon Männer, fast alle mit weißer Hautfarbe und nicht so ausgeprägter Symptomatik. „Wie sind die Ergebnisse auf die älteren Patienten in unserer Praxis, auf Frauen und auf die Patienten mit zahlreichen Komorbiditäten übertragbar?“, fragt er. Außerdem habe es in der Studie eine aktive Run-in-Phase gegeben, während der 12% der Patienten wieder ausschieden. „Draußen im richtigen Leben gibt es keine aktiven Run-in-Phasen.“
Böhm hält dagegen: „Es gibt Subanalysen, die zeigen, dass auch ältere Patienten profitieren. Die Wirksamkeit war über das gesamte Altersspektrum in der PARADIGM-Studie von 40 bis über 80 Jahre ähnlich.“

Prof. Dr. John Cleland
Prof. Dr. John Cleland, Herzinsuffizienz-Experte vom Imperial College London verteidigt gegenüber Medscape.com auch den Frauenanteil. „Das ist der Preis, den man zu zahlen hat, wenn man eine Studie bei Patienten mit niedriger Ejektionsfraktion macht.“ Immerhin, so ergänzt er, bedeuteten 20% in einer 8.000-Personen-Studie immer noch, dass rund 1.600 Frauen teilnahmen. „Das heißt, in PARADIGM wurden mehr Frauen randomisiert als viele andere ‚Meilenstein-Studien‘ überhaupt Teilnehmer hatten.“
Ein weiterer wichtiger Aspekt laut Mandrola: Unter dem ARNI gab es mehr Patienten mit niedrigem Blutdruck. „Jeder Arzt weiß, niedriger Blutdruck ist ein ziemliches Problem bei der Therapie von Patienten mit Herzinsuffizienz, besonders bei den älteren und denjenigen mit Komorbiditäten.“ Böhm sagt dazu: „Tatsächlich senkt LCZ696 den Blutdruck etwas stärker als ein ACE-Hemmer – und da stellt sich natürlich die Frage, ob diese Patienten auch profitieren, bzw. ob es Sicherheitsbedenken gibt.“
Er beruhigt jedoch: „In zwei neueren Analysen wurde der Effekt der Substanz auf Patienten mit niedrigen Ausgangs-Blutdruckwerten untersucht. Es ist in der Tat so, dass der Effekt bei allen Ausgangs-Blutdruckwerten erhalten bleibt und die Therapie mit LCZ696 auch bei Patienten, deren systolischer Blutdruck ausgangs unter 110 mmHg betrug, wirksam war.“
Post-hoc-Analyse: Milde Symptome heißt nicht geringes Risiko oder geringerer Benefit

Dr. Norbert Schön
Dr. Norbert Schön, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie aus Mühldorf am Inn, gehört zu den wenigen in Deutschland, die bereits Erfahrungen mit dem ARNI sammeln konnten. Er hatte 8 Patienten aus seiner Praxis in die PARADIGM-HF Studie eingeschlossen – 6 davon hatten, wie sich nach der Entblindung herausstellte, LCZ696 erhalten. Er berichtet: „Im Nachhinein … wir hätten diese sechs vielleicht am Blutdruck identifizieren können, denn der ging bei ihnen stärker runter – symptomatisch war dies aber kein Problem.“
Schließlich kommt noch eine im November im Journal of the American College of Cardiology (JACC) erschienene Analyse der PARADIGM-HF Studie – wahrscheinlich aufgrund solcher Bedenken wie der von Mandrola erstellt – zu dem Schluss, dass, wenn man die Studienteilnehmer entsprechend ihres kardiovaskulären Risikos (gemessen mit Hilfe des MAGGIC Scores) einteilt, viele trotz milder Herzinsuffizienz-Symptome ein hohes kardiovaskuläres Risiko hatten, und der ARNI über das gesamte Risikospektrum einen ähnlichen – wie die Autoren betonen „großen absoluten“ – Benefit im Vergleich zu Enalapril entfaltete.
Diesen Artikel so zitieren: Ab Januar verfügbar: ARNI als ACE-Hemmerersatz bei Herzinsuffizienz – was Experten zum Einsatz im Praxisalltag raten - Medscape - 11. Dez 2015.
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