Online-Junkies: Laut einer DAK-Studie leidet jeder 20. Jugendliche unter krankhaften Folgen der Internet-Nutzung

Christian Beneker

Interessenkonflikte

11. Dezember 2015

Nach einer Umfrage der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) lähmen und demotivieren das Internet und seine Spielangebote mehr und mehr Jugendliche – auch weil Eltern zu wenig eingreifen.

Rund 1.000 Elternpaare hat das Forsa-Institut für die repräsentative Untersuchung nach den Internetgewohnheiten ihrer 12- bis 17-jährigen Kinder gefragt. Es ist die erste Eltern-Studie, die neben der Dauer und der Art der Internetnutzung auch mögliche krankhafte Folgen für die Jungen und Mädchen untersucht.

Das Ergebnis: Bis zu 10 Stunden am Tag sitzt mancher Jugendlicher vor dem Bildschirm. Laut der Hälfte der befragten Eltern bleibe das Kind länger online als vereinbart, teilt die DAK mit. Etwa jedes 10. Kind nutze nach  Angaben der Eltern das Internet, um vor Problemen zu fliehen. Bei 11% der Befragten hat das Kind mehrfach erfolglose Versuche unternommen, seine Internetnutzung in den Griff zu bekommen. Bei 7% der Kinder gefährdet die Onlinewelt eine wichtige Beziehung oder eine Bildungschance.

„Die Daten deuten darauf hin, dass etwa fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland unter krankhaften Folgen ihrer Internetnutzung leiden“, sagt Prof. Dr. Rainer Thomasius, ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Jungen sind dabei doppelt so häufig internetsüchtig wie Mädchen. Jungen lieben Ballerspiele wie „world of warcraft“, Mädchen verheddern sich in den sozialen Netzen.

 
Die Daten deuten darauf hin, dass etwa fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland unter krankhaften Folgen ihrer Internetnutzung leiden. Prof. Dr. Rainer Thomasius
 

Suchtmechanismen ähnlich wie bei stoffgebundener Abhängigkeit

Die Folgen seien denen der stoffgebundenen Süchte vergleichbar, sagt Thomasius: Alltagspflichten, soziale Kontakte, Ernährung würden vernachlässigt, schulische und andere Ziele gingen verloren.

„Ein Stillstand in der psychosozialen Reifung ist die Folge. Wenn die Jugendlichen am Internetzugang oder an der Rückkehr zu ihrem Spiel gehindert werden, reagieren sie mit Unruhe, starker Wut und Widersetzen.“

Internetsucht weise körperlich die gleichen Zeichen wie andere Süchte auf, so Thomasius zu Medscape Deutschland, „das ist nachgewiesen“.Wie bei stoffgebundenen Süchten setzt das Suchtmittel immer wieder Dopamin im Gehirn frei und verändert so die Balance im Belohnungssystem. Die Folge: Die Neurorezeptoren werden in bestimmten Hirnrarealen immer mehr und verlangen nach immer neuem Dopamin. Der Konsument ist abhängig geworden.

Bei aller Ähnlichkeit von stoffgebundenen und nicht stoffgebundenen Süchten unterscheiden sie sich doch in einem wichtigen Punkt. „Die Internetsucht ist sehr gut behandelbar“, sagt Thomasius. Denn die zugrunde liegenden primären psychischen Grunderkrankungen bei Internetsüchtigen sind Angststörungen, Sozialphobie, Selbstunsicherheit. Bei stoffgebundenen Süchten dagegen liegen oft ADHS oder Dissozialität zugrunde. „Letztere Sucht spricht viel schlechter auf Psychotherapie an“, so Thomasius.

 
Die Internetsucht ist sehr gut behandelbar. Prof. Dr. Rainer Thomasius
 

Nach einem Jahr sehe man bei den stoffgebundenen Süchten Therapie-Erfolgsquoten an dauerhafter Abstinenz zwischen 30 und 40%. „Bei nicht stoffgebundenen Süchten dagegen liegen sie zwischen 70 und 80 Prozent.“ Leider gebe es noch keine bildgebenden Untersuchungen, die die biologischen Effekte 1, 2 oder 3 Jahre nach der Abstinenz vom Internet zeigen. „Da können wir nur vermuten.“

Oft fehlen Regeln und das Vorbild der Eltern

Eltern könnten ihre Kinder vor der Internetsucht bewahren, indem sie etwa klare Regeln zum maßvollen Umgang mit Laptop oder Smartphone vorgeben, jedoch liegt hier der Studie zufolge einiges im argen. „71 Prozent geben keine Regeln vor, wo das Internet genutzt werden darf“, sagt Thomasius, „51 Prozent geben keine Regeln über die Dauer der Internetnutzung und 30 Prozent keine Regeln über die Inhalte. Allerdings muss man einrechnen, dass Eltern auf den Smartphone-Gebrauch ihrer Kindern praktisch keinen Einfluss haben.“

Von den 50% der Eltern, die zeitliche Vorgaben machen, geraten ein Drittel mit ihren Sprösslingen in Konflikt über die Regeln. 22% der 12- bis 17-Jährigen fühlen sich ruhelos, launisch oder gereizt, wenn sie ihre Internetnutzung reduzieren sollen.

Entscheidend bei der Verhütung von Internetsucht sei nicht nur das rechtzeitige Eingreifen der Eltern, sondern auch ihr Vorbild. „Es ist sehr schwierig, das Thema der Internetsucht an Eltern heranzutragen, die selbst Stunden vor dem Computer verbringen“, sagt Thomasius. Er berichtet von Fällen, in denen das Familiengericht gegen den Willen der Eltern entscheidet, die jungen Patienten in die Thomasius‘ Klinik einzuweisen. „Allerdings sehen wir in unserer Klinik auch ein sehr selektiertes Klientel, während die Forsa-Umfrage repräsentativ ist.“

 
Es wird übersehen, dass die Kindheit gut ohne diese Geräte (Computer und Co) auskommt. Prof. Dr. Christoph Möller
 

Thomasius fordert deshalb so genannte „Punktnüchternheit“. Es gebe gesellschaftliche Situationen, in denen Alkoholkonsum verboten ist, zum Beispiel am Arbeitsplatz oder in der Schule oder beim Autofahren. „Und das sollte auf die Anwendung des Internets übertragen werden. Die Eltern müssen mit guten Beispiel voran gehen.“

Negativ wirkten sich aber nicht nur das schlechte Vorbild von manchen Eltern aus oder Geräte, die wie Smartphones  praktisch unkontrollierbar sind, sondern auch der politische Wille, „den PC schon im Kindergarten und der Krippe einzuführen“, kritisiert Prof. Dr. Christoph Möller, Chefarzt der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Hannoveraner Kinderkrankenhaus auf der Bult und Leiter der Therapiestation „Teen Spirit Island“ mit Behandlungs­plätzen für mediensüchtige Jugendliche. „Es wird übersehen, dass die Kindheit gut ohne diese Geräte auskommt.“

Wer heute Computertechnik für die Kleinsten propagiere, betreibe das Geschäft der einschlägigen Firmen. Die Medienkompetenz könne kein Weltinteresse ersetzen. „Der PC motiviert extrinsisch.  Aber intrinsische Motivation wird offline erlernt“, sagt Möller.

Die Verhütung von Internetsucht durch die Eltern ist deshalb geradezu bestürzend simpel: Medienfeie Zeiten und Orte einführen (Kinderzimmer ohne PC), Regeln einführen (zum Beispiel: nicht nachts spielen) und vor allem die Bereitschaft das Leben der Kinder zu teilen: Ausflüge, Fußball und gemeinsame Mahlzeiten.

 

Kommentar

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