Der Bund möchte mit einer Verschärfung des Asylrechts künftig Asylsuchende ohne Aussicht auf Bleiberecht schneller abschieben können – ein Vorhaben, das vor der Medizin nicht Halt macht. Doch der Referentenentwurf zum „Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren“, das im Schnellverfahren noch in diesem Jahr beschlossen werden sollte, geriet in die Kritik. Neben der darin verfassten Aussetzung des Familiennachzugs für 2 Jahre sind nämlich auch die medizinischen Kriterien umstritten, die dem Gesetz zufolge vor einer Abschiebung bewahren könnten.
Eigentlich sollte das neue Asylpaket baldmöglichst im Kabinett verabschiedet werden. Nun besteht aber laut stellvertretender Regierungssprecherin Christiane Wirtz noch „Beratungsbedarf“. In den letzten Tagen hatte es vor allem zwischen SPD und CDU Unstimmigkeiten gegeben. Die Sozialdemokraten fordern bessere medizinische Hilfe für traumatisierte, schwangere, minderjährige und behinderte Asylbewerber. Doch die Union lehnt dies zunächst ab, da es ihrer Ansicht nach dem Ziel hinderlich ist, die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen.
Streitpunkt: Posttraumatische Belastungsstörung
Stark diskutiert wird der Absatz im Referentenentwurf vom 19. November, der sich mit den gesundheitlichen Abschiebehindernissen beschäftigt. So heißt es im vorläufigen Gesetzestext: „Nach den Erkenntnissen der Praktiker werden insbesondere schwer diagnostizier- und überprüfbare Erkrankungen psychischer Art (z.B. Posttraumatische Belastungsstörungen oder PTBS) sehr häufig als Abschiebungshindernis (Vollzugshindernis) geltend gemacht, was in der Praxis zwangsläufig zu deutlichen zeitlichen Verzögerungen bei der Abschiebung führt.“

Prof. Dr. Andreas Heinz
„Ich bin kein Politiker, aber aus realpolitischer Sicht ist es nachvollziehbar, dass viele Menschen eine Obergrenze ziehen wollen. Einerseits ist es auch so, dass sich die Diagnose der PTBS stark ausgeweitet hat, auch in Deutschland. Die Schwelle, eine solche Diagnose zu stellen, ist also gesunken. Dennoch sollte es meiner Meinung nicht passieren, dass die PTBS nicht mehr als Abschiebehindernis gelten kann“, erklärt Prof. Dr. Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité in Berlin.
Der Referentenentwurf stellt klar, dass „lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden“, eine Abschiebung verhindern können. Zudem dürfe eine Abschiebung nicht dazu führen, dass einem kranken Ausreisepflichtigen mangels Therapiemöglichkeiten im Herkunftsland eine Gefahr für „Leib und Leben droht“. In Fällen von PTBS könne dagegen nicht eine schwerwiegende Erkrankung angenommen werden, sofern z.B. eine medikamentöse Behandlung möglich sei.
Heinz, der auch die Abteilung „Migration und Gesundheit“ am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung leitet, stellt klar: „Es gibt keine medikamentöse Behandlung gegen eine PTBS. Die Behandlung der Wahl ist die Psychotherapie. Mit Medikamenten kann höchstens eine Sedierung für den Rückführungstransport ins Herkunftsland gemeint sein. Aber eine Medikation, nur um eine Abschiebung zu ermöglichen, ist aus medizinischer Sicht nicht indiziert, das heißt nicht gerechtfertigt.“
Auch der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) Dr. Dietrich Munz entgegnet in einer Stellungnahme: „Flüchtlinge mit schweren Traumata dürfen nicht mit Tabletten ruhig gestellt werden, um sie abschieben zu können. Das wäre fachlich unverantwortlich und zutiefst inhuman.“
Munz kritisiert zudem, dass die PTBS nicht als lebensbedrohlich anerkannt werde, sei fachlich falsch. Flüchtlinge, die an dieser psychischen Störung erkrankten, seien oft suizidal. 40% von ihnen hätten bereits Pläne gehabt, sich das Leben zu nehmen oder hätten sogar schon versucht, sich zu töten. Heinz veranschaulicht dieses Risiko an einem Beispiel aus der Praxis: „Wir hatten bei uns den Fall eines kurdischen Patienten, der ein Vergewaltigungsopfer war. Er war schwerstbehindert und traumatisiert. Da er aus einem ‚sicheren’ Herkunftsland kam und er nicht individuell verfolgt wurde, bestand rechtlich kein Grund für Asyl. Er war jedoch stark suizidgefährdet. Als er erfuhr, dass er in sein Herkunftsland zurück sollte, in dem er diese Folterqualen erleben musste, versuchte er sich mehrfach umzubringen. Mit viel Mühe konnten wir tatsächlich seine Behandlung ermöglichen und ein Anwalt konnte in der Zeit eine Abschiebung verhindern. Wäre er abgeschoben worden, würde er vermutlich nicht mehr leben. Man kann sich fragen, ob solche Menschen mit diesem Gesetzestext noch geschützt werden.“
Misstrauen gegenüber ärztlichen Gutachten
Im vorläufige Gesetzestext wird die so genannte „Unterarbeitsgruppe Vollzugsdefizite der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Rückführung“ zitiert, der zufolge ärztliche Gutachten zum Beleg einer Reiseunfähigkeit der Asylbewerber einer Überprüfung häufig nicht standhielten. Heinz entgegnet: „Dass Gutachten gefälscht oder übertrieben werden, um Flüchtlinge vor einer Abschiebung zu retten, halte ich als Generalverdacht gegenüber Ärzten für falsch. Es ist immer auch eine Frage der Belastungsgrenze des jeweiligen Patienten. Wo zieht man da die Grenze, womit kommen die Patienten noch zurecht?“
Heinz verweist dabei auch auf die große Verantwortung der Ärzte, die solche Gutachten stellen müssen: „Der hippokratische Eid verpflichtet Ärzte eigentlich, allen Menschen zu helfen. Mit Gutachten selektieren Ärzte aber das Schicksal von Flüchtlingen und sie wissen auch, dass die Versorgung im Herkunftsland meist nicht mit hiesigen Verhältnisse vergleichbar ist.“
Weiterhin stellt das Gesetz fest, die medizinische Versorgung im Herkunftsland müsse nicht deutschen oder europäischen Standards entsprechen. „Dem Ausländer ist es insbesondere zumutbar, sich in einen bestimmten Teil des Zielstaats zu begeben, in dem eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet ist“, heißt es im Entwurf.
Erkrankungen, an denen ein Asylbewerber bereits bei der Einreise litt, stünden einer Abschiebung grundsätzlich nicht entgegen. „Mit dem Ausschluss von Erkrankungen, die bereits bei der Einreise bestanden, könnte der Gesetzgeber die PTBS als Abschiebehindernis aushebeln. Alles was im Herkunftsland und bei der Überfahrt über das Mittelmeer passiert, wäre damit ausgeschlossen. Ich schätze oder hoffe aber, dass zumindest die Suizidalität auch eine Rolle spielt und eine Abschiebung verhindern kann“, so Heinz.
Mit dem neuen Gesetzesentwurf sollen vor allem die Registrierungszentren umgesetzt werden, in denen Asylbewerber mit geringer oder keiner Bleibeperspektive einem beschleunigten Asylverfahren unterzogen werden sollen. Dazu zählen Asylbewerber, die falsche Angaben machten oder die Reise- oder Identitätsdokumente mutwillig vernichten oder beseitigt haben.
Ein weiterer umstrittener Punkt ist das Aussetzen des Familiennachzugs für 2 Jahre bei subsidiären Schutzberechtigten. Das sind Personen, die weder Flüchtlingsstatus noch Asylstatus erhalten, in deren Herkunftsland jedoch die Lage eine Rückkehr unmöglich macht. In einer Pressemitteilung der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl heißt es: „Eine Wartezeit von zwei Jahren hat indes keinen sachlichen Grund. Sie gefährdet vielmehr die im Herkunftsland verbliebenen Angehörigen, ebenfalls Opfer von Folter oder willkürlicher Gewalt zu werden.“
Diesen Artikel so zitieren: Gesund genug zum Abschieben? Das Asylrecht soll auch mit den Mitteln der Medizin verschärft werden - Medscape - 1. Dez 2015.
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