
Prof. Dr. Martin Hausberg
Saarbrücken – Nur wenige Tage nachdem die Ergebnisse der SPRINT-Studie vorgestellt worden sind – einer Studie, die zum ersten Mal einen klaren Prognosevorteil eines systolischen Blutdruckziels von unter 120 mmHg bei älteren Hochrisiko-Hypertonikern gezeigt hat – war diese Studie auch zentrales Thema bei der Jahrestagung der Hochdruckliga (DHL), die in Saarbrücken stattfand [1].
„Ich gehe davon aus, diese Studie wird maßgeblichen Einfluss auf die Leitlinien aller Fachgesellschaften nehmen“, sagte DHL-Vorsitzender Prof. Dr. Martin Hausberg, Städtisches Klinikum Karlsruhe, bei der Pressekonferenz anlässlich der Tagung. „Es handelt sich um eine gute Studie, die öffentlich finanziert war und die die wichtige Fragestellung nach dem optimalen systolischen Blutdruckziel gestellt hat“, so der Karlsruher Internist weiter. „Solche Studien gibt es nur ganz wenige.“
Die DHL spricht von einem Paradigmenwechsel
Doch was bedeuten die Ergebnisse von SPRINT (Systolic Blood Pressure Intervention Trial) für die Praxis? Die DHL spricht in einer aktuellen Stellungnahme von einem „Paradigmenwechsel“ als Folge der Studie. Hausberg selbst warnte jedoch davor, nun sofort, nachdem SPRINT und ihre Ergebnisse publiziert sind, zu versuchen, bei allen Patienten in der niedergelassenen Praxis einen solch niedrigen systolischen Blutdruck zu erreichen.
Dies obwohl – wie berichtet – der in der Studie erzielte Nutzen des niedrigeren Blutdrucks beträchtlich war. Bei systolischen Werten von im Schnitt 121 mmHg, im Vergleich zu 136 mmHg in der Kontrollgruppe, war der primäre kombinierte Endpunkt aus Herzinfarkt, akutem Koronarsyndrom, Schlaganfall, Herzinsuffizienz oder Tod aus kardiovaskulärer Ursache um relativ 25% niedriger (Ereignisrate 1,65% vs. 2,19% pro Jahr; p < 0,001). Das Sterberisiko insgesamt war um relativ 27% gesenkt. Studienteilnehmer waren Hypertoniker mit hohem kardiovaskulärem Risiko, ein hoher Anteil hatte bereits eine Nierenerkrankung, und viele waren schon über 75 Jahre alt.
Doch Hausberg verwies vor allem auf die von der Studie ausgeschlossenen Patientengruppen: Diabetiker, solche mit einem Schlaganfall in der Anamnese, Heimbewohner, Patienten mit orthostatischer Hypotonie oder solche mit schwerer Hypertonie und Blutdruckwerten über 180/110 mmHg. Die SPRINT-Ergebnisse seien damit auf viele Patientengruppen in der Praxis gar nicht übertragbar. „Das heißt nicht, dass ein systolischer Zielblutdruck von 120 mmHg für jeden geeignet ist, sondern nur, dass einige definierte Patientengruppen davon profitieren.“ Auch wenn es sich dann immer noch nach seinen Schätzungen um wahrscheinlich deutlich mehr als eine Million Patienten in Deutschland handelt, auf die die Einschlusskriterien von SPRINT zutreffen.
Für Diabetespatienten gibt es Studien mit anderem Ausgang
Ausdrücklich verwies Hausberg auf die ACCORD-Studie mit ganz ähnlichem Design, die bei Diabetespatienten stattgefunden hat. Hier habe sich kein signifikanter Vorteil der intensiven Blutdrucksenkung mit einem systolischen Blutdruckziel von 120 mmHg in dieser Patientengruppe auf die Gesamtrate der kardiovaskulären Ereignisse oder der Todesfälle gezeigt. Lediglich die Zahl nicht tödlicher Schlaganfälle habe abgenommen, doch sei dies zum Preis einer erhöhten Nebenwirkungsrate erkauft worden – und als Folge dieser Studie waren die Blutdruckziele für Diabetiker in den Leitlinien gelockert worden.
Prof. Dr. Burkhard Weiser, Vorstandsmitglied der DHL, pflichtete ihm bei: „Die Botschaft ist sicher nicht, dass wir jetzt alle Hypertoniker auf einen systolischen Blutdruck unter 120 mmHg einstellen – mit solchen Empfehlungen verlieren wir auch die Ärzte.“ Der Direktor des Instituts für Sportwissenschaft an der Universität Kiel ergänzte: „Es handelt sich immerhin nur um eine einzige Studie, die unsere bisherige Strategie herausfordert – es gibt auch Studien, die das Gegenteil zeigen. Was wir daraus machen, ist jetzt unsere Sache.“ Aber, so sagte er weiter: „Ich möchte daran erinnern, dass schon viel gewonnen wäre, wenn wir wenigstens bei allen Patienten das Ziel von unter 140 mmHg erreichen würden – damit könnten wir schon Hunderttausende von Schlaganfällen verhindern.“
Trotz allem zeigte sich Hausberg „tief beeindruckt“ von den SPRINT-Ergebnissen. Diese seien sicher von vielen so nicht erwartet worden. Allein schon, dass es gelungen sei, bei den über 4.000 Teilnehmern in der Intensiv-Therapiegruppe einen mittleren systolischen Blutdruck von 121 bis 122 mmHg zu erreichen, sei „eine großartige Leistung“ – die allerdings oft nur durch Kombination zahlreicher Antihypertensiva gelungen sei. Hausberg erinnerte daran, dass – „auch wenn die günstigen Wirkungen in der untersuchten Patientengruppe überwogen haben“ – dies doch mit Nebenwirkungen erkauft wurde, etwa vermehrtem Nierenversagen, vermehrten Elektrolytstörungen und Synkopen.
Intensive Blutdrucksenkung erfordert engmaschigere Überwachung – ist das umsetzbar?
Und dies sei unter Studienbedingungen gewesen, betonte er. Wolle man dies nun in die allgemeine Praxis übertragen, so seien dafür „mit Sicherheit engmaschigere Kontrollen notwendig als dies bislang üblich ist.“ Eine Implementierung der neuen Zielwerte setze damit unbedingt voraus, dass eine solche engmaschige Überwachung auch geleistet werden könne, so der Karlsruher Internist. In den derzeitigen Strukturen sei dies jedoch „schwer umsetzbar“.
„Unser primäres Ziel ist immer noch, dem Patienten vor allem nicht zu schaden! Die erforderliche engmaschige Kontrolle wird künftig eine große Herausforderung für uns alle sein – für uns Hypertensiologen, aber auch das Gesundheitssystem.“ Hausberg verwies in diesem Zusammenhang nochmals darauf, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die arterielle Hypertonie noch nicht – wie von der DHL gefordert – in seine Beratungen über Disease-Management-Programme (DMP) aufgenommen hat.
Derzeit, so meinte er, sei es auf jeden Fall noch nicht ratsam, die SPRINT-Ergebnisse in die Praxis umzusetzen. Er empfahl den Kollegen, zunächst die Therapieempfehlungen der Fachgesellschaften abzuwarten, die die Ergebnisse genauer unter die Lupe nehmen und wohl auch mit unterschiedlichen Empfehlungsgraden versehen werden. Bis Mitte nächsten Jahres, wenn die europäische Hochdruckgesellschaft ESH in Paris tagt, hofft er auf neue Leitlinien, die dann auch die SPRINT-Ergebnisse berücksichtigen. An diesen Vorgaben werde sich dann voraussichtlich auch die DHL in ihren Empfehlungen orientieren. Wenn diese vorliegen, dann könne mit der Umsetzung in die Praxis begonnen werden.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: SPRINT-Studie zur Blutdrucksenkung und ihre Folgen für die Praxis: „120 ist sicher kein Ziel für alle“ - Medscape - 26. Nov 2015.
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