Hausärzte, Internisten und weitere Facharztgruppen üben massive Kritik an der Bundesärztekammer (BÄK). Es geht um die neue Gebührenordnung GOÄ: Die Ärztevertreter bemängeln „fehlende Transparenz“ bei den Verhandlungen mit der Privaten Krankenversicherung (PKV) und fordern sogar einen außerordentlichen Ärztetag.
Dem BDI liegt inoffiziell ein Schreiben der BÄK an das Bundesgesundheitsministerium vor, das den Verband hellhörig werden ließ und eine Einführung von Budget-Obergrenzen auch bei Abrechnungen mit den privaten Versicherern vermuten lässt. Nach dem Protest will die BÄK jetzt die Berufsverbände und Fachgesellschaften morgen, am 24. November, in einer internen Veranstaltung informieren.
Einführung von Elementen aus der GKV?
Sauer sind die Berufsverbände vor allem über die offenbar geplante Einrichtung einer Gemeinsamen Kommission (GeKo), in der die PKV und Beihilfe die GOÄ weiterentwickeln sollen. Details hierzu habe man Anfang September inoffiziell erhalten. Diese Informationen stammen aus dem genannten Schreiben der BÄK. Es enthält bereits einen beigefügtem Paragrafenteil, wie der Geschäftsführer des Berufsverbandes Deutscher Internisten (BDI) Tilo Radau Medscape Deutschland mitteilte. „Was uns stutzig macht, ist, dass im Vertragsteil ganz viele Elemente kopiert werden, die wir aus der gesetzlichen Krankenversicherung kennen. Das riecht nach Budgetierung“, kritisierte er. Der BDI ist nach eigenen Angaben mit 23.000 Mitgliedern aus allen Versorgungsbereichen der größte Fachärzteverband in Deutschland.
„Seit drei Jahren verhandelt die BÄK mit den Privaten Krankenversicherern über die neue Gebührenordnung. Die Ärzteschaft ist bislang nicht detailliert informiert worden“, erklärt Radau. Man habe lange respektiert, dass sich die BÄK auf Stillschweigen während der Verhandlungen mit der PKV berufen habe, erläuterte er. Offensichtlich befänden sich aber die Verhandlungen jetzt in der Schlussphase, ohne dass die Berufsverbände mit ins Boot geholt worden seien. Dabei gehe es nun offensichtlich um einen geplanten Paradigmenwechsel in Richtung Gesetzlicher Krankenversicherung.
Die Befürchtungen resultieren aus dem, was man bisher schon inoffiziell aus dem Paragrafenteil schließen kann: „Die entscheidenden Elemente der bisherigen GOÄ, wie etwa die individuelle Rechnungsstellung durch flexible Multiplikatoren und die Flexibilität des Leistungskatalogs durch Analogziffern wird zwar nicht gänzlich beseitigt, aber eingeschränkt,“ so hatte das BDI-Präsidium bereits in einer Pressemitteilung seinen Unmut bekundet. Beabsichtigt sei eine Überprüfung und Begrenzung der Gesamtausgaben durch die PKV und Beihilfe innerhalb der GeKo. Allerdings: „Die Einnahmen und die Beiträge der PKV, die für die Gewinnsituation der Versicherungsunternehmen entscheidend sind, werden nicht reguliert“, so der BDI in seiner Pressemitteilung. Die PKV vertritt die Interessen von 42 Mitgliedsunternehmen, davon 24 Aktiengesellschaften.
Was die Ärzte in Zukunft befürchten: Dass die PKV in der GeKo eine Positivliste mitentwickelt, die vorsieht, wo die ärztlichen Gebühren gesteigert werden dürfen und wo nicht. Bisher können niedergelassene Ärzte in der Regel zwischen einem einfachen Satz oder in Sonderfällen einen 2,3-fachen Satz für ihre Leistungen angeben. Der 2,3fache Satz werde häufig im Hinblick auf den Ressourcenaufwand und die Schwere der Erkrankung angewandt, erläuterte Radau. Schließlich sei die GOÄ seit den 80ern nicht mehr grundlegend erneuert worden, obwohl die Kosten sich in den Praxen gesteigert hätten.
Offener Brief an die BÄK und die Landesärztekammern
Es gehe nicht nur ums Honorar, sondern auch um eine komplett neue Systematik, die geplant sei, sagen die Ärzte-Vertreter der Berufsverbände. „Eine solche Entscheidung sollte weder der Präsident der Bundesärztekammer oder sein Präsidium, noch die einzelnen Landesärztekammern ohne demokratische Legitimation der Ärzteschaft treffen“, hatte der BDI in einem offenen Brief an die BÄK und die Landesärztekammern bereits Anfang November kritisiert. Bereits beim Deutschen Ärztetag 2014 in Düsseldorf hatten sich verschiedene Berufsverbände gegen eine „EBM“-isierung der Gebührenordnung ausgesprochen, wie Medscape Deutschland berichtete.
Weitere Berufsverbände haben sich der Kritik des BDI angeschlossen. „Dieses Projekt ist zu wichtig, als dass die Ärzteschaft hier vor vollendete Tatsachen gestellt wird“, sagt der Sprecher des Deutschen Hausärzteverbandes Vincent Jörres gegenüber Medscape Deutschland. Ärgerlich finde man es, dass über das Einkommen der Ärzteschaft in Höhe von 12 Milliarden Euro im Geheimen verhandelt werde, ohne die Ärzteschaft einzubeziehen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum aus den Verhandlungen eine Black Box gemacht werde.
„Das Präsidium der BÄK sollte der Ärzteschaft das Vorhaben in seiner Gesamtheit vorstellen und nicht nur in Ausschnitten informieren“, hatte auch schon der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, erst kürzlich öffentlich kritisiert. „Es kann nicht sein, dass dieses Projekt unter Ausschluss der Öffentlichkeit umgesetzt wird, denn die GOÄ-Verhandlungen sind nicht die Privatsache einiger weniger Funktionäre“, bemängelte Weigeldt.
Keine Unterlagen für BÄK-Informationsveranstaltung – keine Diskussion
Nach diesem lautstarken Protest hat die BÄK für den morgigen Dienstag eine Informationsveranstaltung anberaumt und schreibt in der Einladung: „Mit der Übergabe eines gemeinsamen Konzeptes von Bundesärztekammer und Verband der Privaten Krankenversicherung zur Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) an das Bundesministerium für Gesundheit wurde ein wichtiges Etappenziel auf dem Weg zu einer neuen Gebührenordnung erreicht. Über die wesentlichen Fortschritte des Projektes wird die Bundesärztekammer die ärztlichen Berufsverbände und die medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften im Rahmen einer internen Informationsveranstaltung informieren.“
Stellung zur Kritik der Berufsverbände an ihrem Kommunikationsstil wollte die BÄK auf Anfrage von Medscape Deutschland nicht beziehen und bat um Geduld bis zur Infoveranstaltung.
Der Geduldsfaden scheint jedoch verschiedenen Vertretern von Berufsverbänden gerissen zu sein: Ob es morgen zu einer offenen Diskussion und Aussprache kommt, ist ungewiss. „Wir werden uns nicht an einer Diskussion beteiligen, solange wir die nötigen Unterlagen, die wir als Diskussionsgrundlage benötigen, nicht bekommen haben“, sagt Radau. Bis zum vergangenen Freitagnachmittag habe ihm nichts vorgelegen, obwohl man Unterlagen angefordert habe. Dem pflichtete auch der Hauptgeschäftsführer des Spitzenverbandes Fachärzte Deutschlands (SpiFa) Lars F. Lindemann bei: Nur auf der Basis von konkreten Unterlagen könne unter anderem auch ein Abgleich mit den Beschlüssen des deutschen Ärztetages erfolgen, betont er in einer Pressemitteilung des Verbandes.
Keine Legitimation der BÄK vom Ärztetag
Allerdings könne sich die BÄK selbst nach ihrer Infoveranstaltung am Dienstag nicht auf eine konsentierte Meinung der Ärzteschaft berufen, stellte Radau gegenüber Medscape Deutschland klar. „Wir haben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die BÄK in ihrer Verlautbarung in der Öffentlichkeit darauf achten soll, dass wir als Berufsverband unsere Zustimmung dazu nicht gegeben haben“, betont er. „Wir hören es uns an, was dort besprochen wird. Dann entscheiden wir, wie wir politisch vorgehen.“
Auch die Freie Ärzteschaft (FÄ) betont, dass es keine Legitimation vom Deutschen Ärztetag für das derzeitige Vorgehen der Bundesärztekammer gebe. „Wir verlangen eine demokratische Debatte über die GOÄ als wesentliches Element des freien Berufes“ so der FÄ-Vorsitzende Wieland Dietrich in einer Pressemitteilung,.
Der Groll über die Informationspolitik der BÄK schwelt schon seit längerem: 2013 habe die BÄK ohne Vorinformation die „Rahmenvereinbarung zur Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte zwischen BÄK und dem Verband der Privaten Krankenversicherung e.V.“ auf ihre Webseite gestellt, erinnert Radau. „Wir sind ganz zufällig darauf gestoßen.“
Da BÄK-Präsident Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery die GOÄ nun zur Chefsache erklärt hat, erwarte man von ihm, offen zu legen, was er konkret verhandelt habe, welche Kompromisse er mit der PKV geschlossen habe und warum dies so geschehen sei, fordern die Berufsverbände.
Diesen Artikel so zitieren: Neue GOÄ: Berufsverbände kritisieren BÄK wegen fehlender Transparenz und fordern Sonderärztetag - Medscape - 23. Nov 2015.
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