Fenetyllin (Captagon®), das Lieblingsamphetamin des Terrorismus? Der Name taucht jedenfalls (zu) oft auf. Es fand sich im Körper des Schützen, der für das Attentat von Sousse in Tunesien verantwortlich war, und auch der Urheber des Anschlags auf das Jüdische Museum in Brüssel hatte es genommen – Fenetyllin gilt wohl im Arsenal der Terroristen als der unverzichtbare Begleiter der Kalaschnikow. Noch weist nichts darauf hin, dass die Mörder von Paris unter seinem Einfluss standen. Zeugenaussagen, nach denen die Angreifer völlig kalt und unmenschlich – wie Maschinen – wirkten, legen dies jedoch nahe.
Im Gespräch mit Medscape France erinnert Prof. Dr. Amine Benyamina von der Abteilung Psychiatrie und Sucht am Universitätsklinikum Paris-Süd daran, dass Fenetyllin als Amphetamin zur selben Familie gehört wie Dexamphetamin (Maxiton®). Sie betont: „Diese Drogen sind seit Beginn der 1970er Jahre in Frankreich verboten, nachdem sie insbesondere unter den Studenten großen Schaden angerichtet hatten.“
Fenetyllin ist zwar in Deutschland laut Betäubungsmittelgesetz (Anlage III) ein verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel. Allerdings ist es in der Praxis nicht verfügbar, da kein zugelassenes Fertigpräparat existiert. Es setzt sich zusammen aus einem Amphetaminkern, um den verschiedene Radikale angeordnet sind. „Bis zu einem gewissen Grad kann man unter diesen Radikalen wählen, um dadurch letztlich einen eher anregenden oder eher beruhigenden Effekt zu generieren“, erklärt Benyamina.
Es handele sich um ein Molekül, das die Sinne anregt, die Müdigkeit vertreibt und Stress unterbindet, aber keinesfalls um einen Stoff, „den man nimmt, um loszuziehen und Krieg zu führen“, wie hie und da behauptet. Vielmehr seien ähnliche Substanzen auf so mancher Pariser Abendgesellschaft zu finden, so Benyamina. „Übrigens ist Fenetyllin nicht das einzige Molekül, dessen Anwendung im Zusammenhang mit Terrorakten in Frage kommt; genauso gut würden hier die Benzodiazepine passen.“
Fenetyllin sei jedenfalls nur noch die letzte Zutat zu den Terrorakten, fasst Benyamina zusammen. Das Hauptproblem und die Hauptaufgabe bleibe es, einen langen Atem zu haben beim Aushöhlen der Beziehungen zwischen den Rekrutierern und einer Jugend, die sich beweisen wolle und die einen offensichtlichen Hang zur Gefahr habe. Dazu kämen noch persönliche Umstände sowie eine gewisse ideologische Affinität. Denn auch in den großen Bevölkerungsgruppen, die mit dem Internet und mit selbsternannten Predigern in Berührung kämen, gebe es sicherlich nicht mehr als einige wenige „Kandidaten“.
Nichtsdestotrotz hat Fenetyllin laut Benyamina im Umfeld der Terroristen „ein Potenzial, das man nicht außer Acht lassen darf“. Über seine unmittelbaren biologisch-intrinsischen Effekte hinaus sei zu bedenken, dass sich dieser Drogenmissbrauch einreiht in die Geschichte der Sekte der Assassinen, die im Nahen und Mittleren Osten im Mittelalter über lange Zeit unter dem Einfluss von Haschisch zahlreiche Verbrechen begangen haben. „Und das ist nicht das einzige Beispiel“, so Benyamina.
Einige Jahrhunderte später sind es nun die synthetischen Drogen, die sich – insbesondere in den letzten Jahren – am weitesten verbreitet haben. Sie dienen auch der Finanzierung von Waffengeschäften und Kriegsmaterial; die gegenseitige Verflechtung von Drogen- und Waffenhandel ist wohlbekannt. Was zu dem Schluss führt, dass nun leider auch der radikale Archaismus von den Fortschritten in der Erforschung des Nervensystems profitiert.
Dieser Artikel wurde von Simone Reisdorf aus www.medscape.fr übersetzt und adaptiert.
Diesen Artikel so zitieren: Captagon macht noch keinen Terroristen – ist aber vielleicht „letzte Zutat zu Terrorakten“ - Medscape - 18. Nov 2015.
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