
Dr. John M. Mandrola
Fast nichts wird besser mit dem Alter. Ausnahmen bilden Wein, Familien-Hunde – und Ärzte.
Als ich hörte, dass Dr. Seth Bilazarian, Autor der Practitioner’s Corner von theheart.org bei Medscape, die klinische Praxis verlässt, war ich bestürzt, aber nicht überrascht. Seth hat deutlich über die zunehmende Belastung durch Papierkram, über die Farce der elektronischen Patientenakte und darüber geklagt, wie die Freude an der praktischen Medizin immer mehr ausgelöscht wird. Im Unisono des üblichen Gesundheitsjargons stachen Seths Aufrichtigkeit und seine deutlichen Worte hervor.
Es ist beunruhigend, wenn erfahrene Kliniker vorzeitig aus der Patientenversorgung ausscheiden. Das ist schlecht für die Patienten. Das ist schlecht für unsere Gesundheitssysteme. Und das ist schlecht für unseren Beruf.
Ich bin mir nicht sicher, ob viele Menschen den üblichen Fortschritt eines Arztes in seiner Karriere verstehen. Fortschreiten ist hier als Prozess zu verstehen – ein Verb, eine Handlung, die kontinuierlich und lebenslang erfolgt.
Für einen Sachbearbeiter oder Arbeitgeber sehen alle Ärzte gleich aus. Kaum hat ein junger Arzt sein Praktisches Jahr beendet, ist er schon approbiert und bereit für die richtige Arbeitswelt. Ein paar Module zu Compliance und zum Kodierungsschlüssel und er kann anfangen.
Nichts könnte der Wahrheit weniger entsprechen.
Jeder erfahrene Arzt weiß, dass es tausender Patienten-Begegnungen, der Trauer nach Fehlern und der jahrelangen Praxis bedarf, um die Weisheit eines Meister-Klinikers zu erlangen. Gutes Training ist essenziell, aber Gelerntes sammelt sich über den Zeitraum einer Karriere an, und medizinisches Wissen – sofern es genährt wird – kennt keine Asymptote.
Als ich vor fast 20 Jahren einer Praxis mit 20 Ärzten beitrat, gab es eine Handvoll solcher Meister. Diese kannten vielleicht keine logistische Regression, aber sie verstanden ihre Kunst. Sie waren der Typ Arzt, zu dem man gehen wollte. Einem von ihnen gaben wir sogar den Spitznamen „der General“.
Ein anderer war so stolz auf seine Fähigkeiten, dass er die Prüfung des American Board of Internal Medicine ein Jahr vor dem Beginn seiner Rente absolvierte. Ein anderer hatte den Ruf, gemein zu sein, weil er sich energisch für Diät und Sport einsetzte – in den 1990ern.
Ein vierter Kliniker bekam immer wieder Ärger, weil er ältere Patienten nicht bis in letzte Detail überwachte. Er täte nicht genug, wurde er kritisiert. Jetzt erkenne ich die Eleganz seines Ansatzes.
Diese Menschen machten ihren Selbstwert an der Patientenversorgung fest. Sie kümmerten sich. Ihnen waren Resultate wichtig, bevor Resultate ein eigenes Journal hatten.
Natürlich ist es für ältere Ärzte normal in Rente zu gehen. Andere sind dafür bestimmt, in die Administration, die Industrie oder die Forschung zu gehen. Das Problem ist, dass mehr und mehr erfahrene Kliniker einen neuen Kurs einschlagen – und dass es sich dabei nicht um die Patientenversorgung handelt.
In meinen Krankenhaus ist einer meiner respektiertesten Chirurgen – eine Frau, die bekannt für ihr Ethos gegenüber den Patienten, ihre Bereitschaft, die härtesten Fälle zu übernehmen und ihre Hartnäckigkeit ist – in die Administration gewechselt. Eine Meister-Chirurgin verdient also nun Geld damit, E-Mails zu versenden.
2 Jahre zuvor verließ mein Kollege, Freund und Master-Elektrophysiologe Dr. David Mann die klinische Praxis viel früher, als er hätte sollen. Seine Güte und Demut waren sagenumwoben. Er praktizierte Elektrophysiologie auf dem höchsten Level, aber der Nonsens hat ihm die Freude an der Arbeit verdorben. Ich freue mich, dass mein Freund seine Rente genießt, aber unsere Gesundheitsgemeinschaft ist nun ärmer.
Diesen Artikel so zitieren: „Ein Verlust für alle“: Wenn Ärzte die klinische Praxis verlassen - Medscape - 13. Nov 2015.
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