Weniger radikal zu operieren liegt beim Mammakarzinom im Trend. Nachdem in den letzten Jahren vor allem die Erhaltung der Brust im Vordergrund stand, kommt nun verstärkt die Entfernung der axillären Lymphknoten auf den Prüfstand. Mit der Aufnahme der ersten Patientin ist vor kurzem die INSEMA-Studie unter Leitung der Universitäts-Frauenklinik in Rostock angelaufen. Sie soll im Verlauf von 9 Jahren die Kriterien definieren, unter denen auf die Entfernung der Wächter-Lymphknoten bzw. eine komplette Axilladissektion verzichtet werden kann, ohne die onkologische Sicherheit zu beeinträchtigen [1].

Prof. Dr. Toralf Reimer
Deutsche Antwort auf vorausgegangene Studien
Eine radikale Ausräumung der Achselhöhle galt bislang als indiziert, wenn ein Tumorbefall des entnommenen Wächter-Lymphknotens histologisch nachgewiesen worden war. Im Zentrum der INSEMA-Studie stehen deshalb 2 Fragen. „Der erste Teil der Studie geht dem Verzicht auf die Sentinel-Lymphknoten-Biopsie (SLNB) nach. Hierzu bildet die NSABP B-04-Studie die Grundlage. Bei dieser Studie aus der Ära ohne Systemtherapie zeigte der Verzicht auf eine Axilladissektion bei cN0-Patientinnen keinen Einfluss auf das Gesamtüberleben nach 25 Jahre Nachbeobachtung“ erläutert Studienleiter Prof. Dr. Toralf Reimer gegenüber Medscape Deutschland die Sachlage.
Die Daten würden von weiteren 3 Studien aus der Vor-SLNB-Ära unterstützt. Diese hatten an kleineren Kollektiven mit meist älteren Patientinnen gezeigt, dass es keinen negativen Einfluss auf das Überleben hatte, sofern auf die Entfernung und Untersuchung der Lymphknoten in der Achselhöhle verzichtet wurde, führt der Leitende Oberarzt am Rostocker Brustzentrum weiter aus.
Beim zweiten Aspekt der Studie geht es um die Komplettierung der Axilla-Operation bei 1 oder 2 Makrometastasen im SLN. Hier liegen Daten aus der amerikanischen ACOSOG Z0011-Studie vor, durch die ein gewisses Umdenken eingesetzt hat. Sie konnte keinen therapeutischen Nutzen der Axilladissektion bei Patientinnen nachweisen, bei denen T1- und T2-Tumoren sowie 1 bis 2 positive Wächter-Lymphknoten diagnostiziert worden waren.
Die Gruppe mit alleiniger SLNB und die Gruppe mit kompletter Axilladissektion unterschieden sich nicht hinsichtlich der 5-Jahres-Überlebensrate [2]. „Die Studie hat jedoch zahlreiche Kritikpunkte, so dass gerade international mehrere Validierungsstudien angelaufen sind (INSEMA, SENOMAC, POSNOC)“, gibt Reimer zu Bedenken. Hier sei eventuell sogar mit einer gemeinsamen Endauswertung zu rechnen, da diese Studien relativ zeitnah starteten.
6.000 Frauen in vier Jahren lautet das Rekrutierungsziel
INSEMA steht für Intergroup-Sentinel-Mamma. An der randomisierten prospektiven Studie, die mit rund 4,6 Millionen Euro von der Deutschen Krebshilfe finanziert wird, sind circa 130 deutsche Studienzentren beteiligt. Aufgenommen werden Frauen ab einem Alter von 35 Jahren, bei denen ein Mammakarzinom bis maximal 5 cm Durchmesser festgestellt worden ist. Weitere Voraussetzungen sind ein klinisch unauffälliger Befund der axillären Lymphknoten sowie ein geplanter brusterhaltender Eingriff und postoperative Bestrahlung. „Aus eigener Erfahrung wissen wir“, so Reimer, „dass bei mindestens 70 Prozent aller Patientinnen mit einem unauffälligem Tastbefund in der Achselhöhle nach der Operation kein Befall der Wächter-Lymphknoten mit Tumorzellen nachgewiesen werden kann.“
Dem Studiendesign zufolge werden die Patientinnen zunächst dem Studienarm ohne Biopsie des Wächterlymphknotens (SLNB) bzw. dem Arm mit SLNB zugewiesen. Die SLNB gilt aktuell als Goldstandard, um bei klinisch unauffälliger Achselhöhle und frühem Mammakarzinom das axilläre Staging zu ermitteln. Patientinnen, bei denen nachweislich 1 bis 2 Wächter-Lymphknoten infiltriert sind, werden entweder im SLNB-Arm der Studie belassen oder dem Arm der Axilladissektion zugeführt, in den auch alle Patientinnen eingehen, bei denen mehr als 2 Wächter-Lymphknoten infiltriert sind.
Die Rekrutierungsphase ist auf 4 Jahre angesetzt. Insgesamt sollen so rund 6.000 Frauen, die mindestens 5 Jahre nachbeobachtet werden, zur Optimierung der operativen Brustkrebs-Therapie beitragen. Hinzu kommen noch 800 Patientinnen aus Österreich. „Im Hinblick auf die zweite Fragestellung der Axilladissektion reichen aufgrund des Studiendesigns die deutschen Patientinnen für die statistische Analyse allein nicht aus“, erläutert Reimer die Zusammenarbeit mit österreichischen Zentren.
Erfasst und ausgewertet werden die Daten in Zusammenarbeit mit der German Breast Group (GBG), einer erfahrenen, auf Brustkrebs-Studien spezialisierten Forschungsgruppe in Neu-Isenburg. Neben dem Gesamtüberleben als Endziel werden auch Faktoren wie Lebensqualität, chirurgische Komplikationen und die Bildung von Metastasen erfasst sowie die Strahlenbelastung ermittelt.
REFERENZEN:
1. Pressemitteilung der Universität Rostock vom 19.10.2015
2. Janni W, et al: Deutsches Ärzteblatt 2014;111(14): 244-249
Diesen Artikel so zitieren: INSEMA-Studie zur Mammakarzinom-OP: Bei welcher Frau lässt sich auf die Entfernung der Wächterlymphknoten verzichten? - Medscape - 6. Nov 2015.
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