MEINUNG

Neue Technik für Genom-Veränderungen: „Eine bedeutende Errungenschaft für die Wissenschaft“

Dr. Shari Langemak

Interessenkonflikte

5. November 2015

In diesem Artikel

Dr. Victor Dzau

Eine neue Technik zur spezifischen Veränderung einzelner Gene sorgt in der Wissenschaft derzeit für viele Diskussionen. Mit CRISPR-Cas9, so hofft man, könnten viele genetische Erkrankungen endlich geheilt werden. Doch die zunehmende Anwendung der Technik könnte auch weitreichende ethische Konsequenzen haben, insbesondere, wenn sie am Embryo erfolgt. Dr. Victor Dzau, Präsident der US-National Academy of Medicine (NAM), fordert deshalb, dass sich Forscher, Mediziner und Ethiker weltweit zusammensetzen, um über die Möglichkeiten und Grenzen von CRISPR-Cas9 zu diskutieren, wie er auf dem diesjährigen World Health Summit in Berlin berichtete. Im Interview mit Medscape Deutschland spricht er darüber, welches Potenzial er bereits jetzt in der Technik sieht und wie die NAM den internationalen Dialog vorantreiben möchte.

Medscape Deutschland: Mit CRISPR-Cas9 haben Forscher eine äußerst effektive Technik entwickelt, um das menschliche Genom zu verändern und so möglicherweise Krankheiten zu heilen. Wie unterscheidet sich diese Technik von bereits etablierten Methoden zur Genom-Modifikation?

Dr. Dzau: Die CRISPR-Cas9-Technik ist im Vergleich zu anderen Methoden der Genom-Modifikation oder -Rekombination sehr kostengünstig. CRISPR-Cas9 funktioniert fast wie ein Laser, der spezifische Gene entfernt und sogar ersetzen kann.

 
CRISPR-Cas9 funktioniert fast wie ein Laser, der spezifische Gene entfernt und sogar ersetzen kann. Dr. Victor Dzau
 

Medscape: Das klingt sehr vielversprechend. Kann die Technik bereits bei Menschen eingesetzt werden?

Dr. Dzau: Der klinische Aspekt ist noch nicht sehr gut entwickelt. Jedes Mal, wenn eine neue Technik angewendet wird, kann es zu unerwarteten Wirkungen kommen. Ist der Schnitt tatsächlich so präzise wie gewünscht? Oder verändert er auch andere DNA-Regionen? Gibt es irgendwelche Auswirkungen, die nicht mit dem Ziel-Gen zusammenhängen? Ist die Technik sicher? Natürlich sollte diese Methode nicht bei Menschen verwendet werden, bevor diese Fragen zufriedenstellend addressiert worden sind.

In früheren Studien zur retroviralen Gen-Therapie war es in einigen Fällen zu Krebs gekommen. Auch wenn es bereits genug Daten zur CRISPR-Cas9-Methode gibt, die hier ein minimales Risiko suggerieren, bedarf es vor dem klinischen Einsatz noch zusätzlicher umfassender Forschung um alle möglichen Risiken zu identifizieren. Ist die Nebenwirkung insgesamt selten, ist es z.B. möglich, , dass sie nicht auffällt, wenn die Technik bei nur 100 Patienten getestet wird. Erst wenn man die gleiche Methode bei 10.000 Patienten einsetzt, sieht man möglicherweise etwas.

 
Wichtig für die Anwendung dieser Technik bei der menschlichen Genom-Modifikation ist die Frage nach den Zielzellen. Dr. Victor Dzau
 

Medscape Deutschland: Aber selbst wenndie Sicherheit dieser Technik bestätigt ist - wissen wir überhaupt bereits genug über das menschliche Genom, um Krankheiten wie HIV und Sichelzell-Anämie so zu heilen?

Dr. Dzau: Ich glaube, dass wir bei manchen Krankheiten schon eine Menge über die molekularen und genetischen Mechanismen wissen. Wir kennen beispielsweise das Gen, das zu Sichelzellanämie führt, und wir kennen andere Krankheiten, die auf einzelnen Gen-Mutationen beruhen.

Bei HIV ist es ein wenig komplizierter, aber zumindest kennen wir CCR5 und CSCR4, die beiden Rezeptoren, die prinzipiell für den Eintritt des Virus in die T-Zellen verantwortlich sind. In vitro Studien haben gezeigt, dass die Veränderung des Genoms dieser beiden Rezeptoren mittels der CRISPR-Cas9-Technik die Zellen resistent gegenüber einer HIV-1-Infektion macht. Das deutet darauf hin, dass Genom-Modifikations-Technologien möglicherweise eine effektive Behandlungsmethode für HIV beim Menschen darstellen könnten.

Wichtig für die Anwendung dieser Technik bei der menschlichen Genom-Modifikation ist die Frage nach den Zielzellen: Sind es somatische oder Keimbahn-Zellen? Wenn wir ein Gen in einer Keimbahn-Zelle oder im menschlichen Embryo verändern, dann wird dieses Gen auf folgende Generationen übertragen. Dies wiederum wirft ethische Fragen auf. Ich denke, dass wir mit monogenen Erkrankungen beginnen sollten, die über Veränderungen in somatischen Zellen geheilt werden können. Aber auch hier müssen wir uns trotzdem vorher fragen: Ist die Technik sicher? Und ist sie besser als die derzeitigen Therapie-Optionen?

Kommentar

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