Cholesterinsenkung mit PCSK9-Inhibitoren: Bei welchen Patienten sie sich rechnet

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

5. November 2015

Prof. Dr. Ulrich Laufs

Die neue Substanzklasse der PCSK9-Inhibitoren glänzt mit LDL-Cholesterinreduktionen von mehr als 50%. „Die Patienten, die damit behandelt werden, müssen allerdings sorgfältig ausgewählt werden – auch weil die Substanzen noch sehr teuer sind“, sagt Prof. Dr. Ulrich Laufs, leitender Oberarzt der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum des Saarlandes, gegenüber Medscape Deutschland.

Prof. Dr. Nikolaus Marx

„Die Erstlinientherapie für die Senkung des LDL-Cholesterins bleiben auch weiterhin Statine und/oder der Cholesterinresorptionshemmer Ezetimib“, betont auch Prof. Dr. Nikolaus Marx, der an der Uniklinik der RWTH Aachen die Klinik für  Kardiologie, Pneumologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin leitet. Dennoch seien „die PCSK9-Inhibitoren ein neues Werkzeug, um das LDL-Cholesterin stringent zu senken. Sie eröffnen die Möglichkeit, in einen LDL-Cholesterin-Zielbereich zu kommen, den wir bei einem Teil der Patienten mit den anderen verfügbaren Substanzen nicht erreichen.“

Neuartiges Therapieprinzip: Wirksam und teuer

Die ersten beiden, seit kurzem zugelassenen Vertreter der neuen Substanzklasse sind Evolocumab (Repatha®, Amgen) und Alirocumab (Praluent®, Sanofi). Die vollhumanen monoklonalen Antikörper hemmen das Protein Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9). Dieses Protein ist ein wichtiger Regulator  des LDL-Cholesterinstoffwechsels, der die hepatische Degradation des LDL-Rezeptors beschleunigt und als Folge die Aufnahme des LDL-Cholesterins in die Leber vermindert. Die PCSK9-Antikörper binden im Plasma an PCSK9, reduzieren so seine Konzentration und erhöhen damit das intrahepatische Rezyklieren des LDL-Rezeptors.

In einer aktuellen Analyse des klinischen Nutzens der neuen Substanzen im New England Journal of Medicine verweist ein Autorenteam um Dr. Brendan M. Everett von der Harvard Medical School in Boston auf den enormen Effekt der neuen Substanzklasse [1]: Sie senken das LDL-Cholesterin (Monotherapie oder Kombinationstherapie mit Statinen) um 47 bis 56% (Evolocumab) bzw. 39 bis 62% (Alirocumab).

Evolocumab steht seit Mitte September für Patienten zur Verfügung. Der Herstellerabgabepreis für eine Injektion beträgt 289,20 Euro. Pro Patient und Jahr würde die Behandlung (zweiwöchentliche Gabe) damit knapp 8.000 Euro kosten. Alirocumab soll ab Mitte November zur Verfügung stehen, der Listenpreis war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels noch nicht bekannt.

 
PCSK9-Inhibitoren eröffnen die Möglichkeit, in einen LDL-Cholesterin-Zielbereich zu kommen, den wir bei einem Teil der Patienten mit den anderen verfügbaren Substanzen nicht erreichen. Prof. Dr. Nikolaus Marx
 

Empfohlen für drei sorgfältig ausgewählte Gruppen

Die Zulassung der neuen Medikamente beschränkt den Einsatz auf Patienten, die mit Statinen keine ausreichende Wirkung erzielen, Statine nicht vertragen oder aus irgendeinem Grund nicht einnehmen können. „PCSK9-Inhibitoren sind im Moment Reservemedikamente der Drittlinie für drei Patientengruppen“, bestätigt Laufs, der Mitglied in der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft ist.

Die erste Gruppe sind Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie. „Dabei handelt es sich um eine autosomal dominant vererbte Erkrankung, die man präzise diagnostizieren kann und die mit den bisher verfügbaren Medikamenten, also Statinen und Ezetimib, nicht ausreichend behandelt werden kann“, sagt Laufs. „Diese neuen Substanzen stellen auch eine Alternative für Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie dar, die eine teure Lipidapherese benötigen.“

Die zweite Gruppe von Patienten, die für eine Behandlung mit PCSK9-Inhibitoren in Frage kommen, sind diejenigen mit hohem kardiovaskulärem Risiko, die Statine nicht oder in einer nicht ausreichenden Dosierung vertragen. „Das sind Patienten, die schon Herzinfarkte und Schlaganfälle hatten und weiterhin hohe LDL-Cholesterinwerte aufweisen“, sagt Laufs. Eine sorgfältige Diagnose sei auch hier entscheidend, denn „viele Patienten, die eine Unverträglichkeit haben, können trotzdem mit einem Statin behandelt werden, z.B. in niedrigerer Dosierung“.

Die dritte Gruppe von Kandidaten für eine PCSK9-Inhibitoren-Therapie sind Patienten, die ein hohes kardiovaskuläres Risiko haben und die mit den bisherigen Medikamenten aus welchem Grund auch immer keine ausreichende LDL-Cholesterinsenkung erreichen. „Diese Gruppe überschneidet sich teilweise mit den ersten beiden Gruppen, etwa weil eine familiäre Komponente gegeben ist oder eine Unverträglichkeit vorliegt“, erklärt Laufs.

 
PCSK9-Inhibitoren sind im Moment Reservemedikamente der Drittlinie für drei Patientengruppen. Prof. Dr. Ulrich Laufs
 

Kardiovaskulärer Nutzen wird erwartet

„Wie viele Patienten letztlich PCSK9-Inhibitoren bekommen werden, lässt sich momentan noch nicht sagen, wird aber für das derzeit laufende AMNOG-Verfahren eine entscheidende Rolle spielen“, betont Laufs. Dies gilt ebenso für den Effekt der PCSK9-Inhibitoren auf harte Endpunkte wie Herzinfarkte. Schlaganfall und kardiovaskuläre Mortalität.

Beide Substanzen sind mit der Reduktion des LDL-Cholesterins als Surrogatendpunkt für den klinischen Nutzen zugelassen worden. Prospektive Daten zu harten kardiovaskulären Endpunkten gibt es bislang weder für Evolocumab noch für Alirucumab. Das ist erst einmal nichts Ungewöhnliches. Im aktuellen Bericht des New England Journal of Medicine berichten Mitglieder des Metabolic Drugs Advisory Committee der US-Arzneimittelbehörde FDA, dass die Reduktion des LDL-Cholesterins auch schon die Basis für die Zulassung des ersten Statins im Jahr 1987 gewesen sei, 7 Jahre bevor mit dem Scandinavian Simvastatin Survival Trial (4S Studie) erstmals eine Studie definitive Evidenz für einen klinischen Benefit geliefert hatte. Auch die Zulassungsstudien weiterer Statine verwendeten das LDL-Cholesterin als Surrogatendpunkt.

In Post-hoc-Analysen der klinischen Studien zu Evolocumab und Alirocumab fanden sich erste Hinweise auf einen kardiovaskulären Nutzen. Sowohl unter Evolocumab als auch unter Alirocumab kam es nach 12-18 Monaten zu einer relativen Reduktion kombinierter kardiovaskulärer Endpunkte um 50% im Vergleich zu Kontrollen.

Hinzu kommt: „Wir wissen, dass LDL-Cholesterin ein kausaler Faktor für Atherosklerose und kardiovaskuläre Ereignisse ist und dass die Senkung des LDL-Cholesterins die Rate an kardiovaskulären Ereignissen senkt“, sagt Marx.  Und es häufen sich die Hinweise, dass es für die Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse unerheblich ist, mit welchen Maßnahmen das LDL-Cholesterin gesenkt wird.

 
Man kann optimistisch sein, dass auch die beiden PCSK9-Hemmer die Rate an kardiovaskulären Ereignissen reduzieren werden. Prof. Dr. Nikolaus Marx
 

Dass Statine das kardiovaskuläre Risiko senken, ist bekannt. Für Ezetimib standen solche Daten lange nicht zur Verfügung, bis im Juni dieses Jahres die Ergebnisse der IMPROVE-IT-Studie im New England Journal of Medicine  erschienen sind: Im Vergleich zur Statin-Monotherapie (Ereignisrate 34,7%) reduzierte die Kombinationstherapie aus Statin und Ezetimib (Ereignisrate 32,7%) das absolute Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse um 2%.

Everett und die Koautoren meinen, dass „diese Ergebnisse als Evidenz dafür interpretiert werden könnten, dass eine Reduktion des LDL-Cholesterins das kardiovaskuläre Risiko unabhängig vom Wirkmechanismus des Medikaments senkt“.

„Sicherheit werden letztlich erst die prospektiven Endpunktstudien zu Evolocumab und Alirocumab liefern, die derzeit laufen“, betont Marx. Doch „basierend auf dem, kann man optimistisch sein, dass auch die beiden PCSK9-Hemmer die Rate an kardiovaskulären Ereignissen reduzieren werden“.

Und wie kosteneffizient der Einsatz der neuen Substanzen für das Gesundheitssystem sein wird, hängt dann von der absoluten Risikoreduktion ab. „Wie viele Ereignisse der Solidargemeinschaft erspart werden können, richtet sich nach dem globalen Risiko des Patienten, nach dem Ausgangs-LDL-Cholesterin und dem Ausmaß der Cholesterinsenkung“, erläutert Laufs. „Wenn die Endpunktstudien bestätigen, dass PCSK9-Hemmer einen Effekt auf kardiovaskuläre Ereignisse haben, wird es Patienten geben, bei denen ihr Einsatz kosteneffektiv für die Gemeinschaft ist und andere bei denen er das nicht ist. Die Kosteneffizienz die angesichts der hohen Kosten der Therapie von großer Bedeutung sein wird, wird also davon abhängen, dass wir die richtigen Patienten mit diesen Substanzen behandeln.“

 

REFERENZEN:

1. Everett BM, et al: NEJM 2015;373:1588-1591

Kommentar

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