Menschen, die die ApoE4-Genvariante tragen – und das sind immerhin 20% der Bevölkerung in Deutschland –, haben ein erhöhtes Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Doch dieses genetische Demenzrisiko lässt sich wahrscheinlich modifizieren – und zwar über Änderungen des Lebensstils, wie eine aktuelle Analyse von Wissenschaftlern des Netzwerks Alternsforschung (NAR) der Universität Heidelberg nahelegt, die auf Daten aus 2 unabhängigen epidemiologischen Studien basiert.
Die in Dementia and Geriatric Cognitive Disorders veröffentlichten Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass Menschen, die den genetischen Risikofaktor für Alzheimer ApoE4 tragen, ihr erhöhtes Risiko für kognitive Einschränkungen vor allem über die Senkung des Cholesterinspiegels – dessen Höhe ebenfalls von ApoE4 beeinflusst wird – senken können [1].
Die Empfehlungen: Nichtrauchen, Sport – und das Cholesterin senken
„Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass ein gesunder Lebensstil mit einem geringeren Risiko für kognitive Einschränkungen und Demenz einhergeht. Rauchen und mangelnde körperliche Bewegung sind bereits als Risikofaktoren für Demenz identifiziert worden. Nichtrauchen und regelmäßige körperliche Aktivität wären daher schon einmal eine wichtige Empfehlung zur Senkung des Demenzrisikos“, sagt Studienautorin Dr. Ute Mons im Gespräch mit Medscape Deutschland.
„Mit unserer aktuellen Studie fügen wir die Empfehlung hinzu, durch eine gesunde Lebens- und Ernährungsweise (regelmäßige körperliche Aktivität, vollwertige Kost mit reichlich Obst und Gemüse sowie wenig tierischen Fetten) einen hohen Cholesterinspiegel zu vermeiden, und somit neben der Herzgesundheit auch die Leistungsfähigkeit des Gehirns zu schützen“, so Mons, die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Abteilung Klinische Epidemiologie und Alternsforschung am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist.
ApoE steht für Apolipoprotein E, ein Eiweiß, das eine wichtige Rolle im Blutfett-Stoffwechsel spielt. Unter anderem transportiert es Cholesterin zu Nervenzellen, die dieses für den Signalaustausch benötigen. Vom ApoE-Gen gibt es 3 unterschiedliche Allele. Wer Träger des e4-Allels ist, also die ApoEe4-Genvariante trägt, hat ein erhöhtes Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Den Risikofaktor ApoEe4 trägt in Deutschland etwa jeder Fünfte in der Bevölkerung.
ApoE4-Allel: Risikofaktor für Alzheimer, aber auch erhöhtes Cholesterin
In der von Prof. Dr. Hermann Brenner geleiteten NAR-Studie untersuchten Mons und ihre Kollegin Dr. Laura Perna, inwieweit Träger des E4-Allels im Alter ein höheres Risiko für kognitive Einschränkungen haben im Vergleich zu Trägern der anderen Genvarianten. Die Wissenschaftlerinnen interessierten sich vor allem für das Zusammenspiel zwischen ApoE4 und Cholesterinspiegel.
Für ihre Analysen nutzten sie die beiden epidemiologischen DKFZ-Studien ESTHER (n = 1.434) und KAROLA (n = 366). In beiden Studien wurden bei älteren Teilnehmern (ESTHER ab 70 Jahre, KAROLA ab 50 Jahre) mit einem kognitiven Test Gedächtnisleistung und Konzentrationsfähigkeit geprüft und dann deren Blutproben und medizinische Daten ausgewertet.
„Das ApoE4-Allel ist dafür bekannt, dass es der stärkste bekannte genetische Risikofaktor für Alzheimer ist. Träger des ApoE4-Allels weisen aber auch ein erhöhtes Risiko für einen erhöhten Cholesterinspiegel auf. Die genauen pathophysiologischen Zusammenhänge, wie ApoE4 und Cholesterin das Alzheimer-Risiko erhöhen, sind bislang nicht vollständig geklärt. Vermutlich gibt es hier ein komplexes Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren”, erklärt Ute Mons.
Sind durch hohes Cholesterin vorgeschädigte Hirne besonders gefährdet?
Die Heidelberger Forscher stellten fest, dass der Zusammenhang zwischen dem ApoE4-Risikofaktor und kognitiven Einschränkungen – vor allem der Gedächtnisleistung – bei denjenigen Teilnehmern am stärksten war, die einen hohen Cholesterinspiegel aufwiesen und unter Herzerkrankungen litten. Mons skizziert den möglichen Zusammenhang so: „Ein erhöhter Cholesterinspiegel und Herz-Kreislauferkrankungen erhöhen das Risiko für kognitive Einschränkungen. Es ist denkbar, dass bei diesen Personen das Gehirn durch den hohen Cholesterinspiegel und durch Durchblutungsstörungen vorgeschädigt ist und diese daher besonders anfällig für die schädlichen Effekte von ApoE4 sind.“
Ein komplexes Wechselspiel zwischen den verschiedenen Faktoren sei demnach wahrscheinlich – eben weil die ApoE4-Genvariante nicht nur das Alzheimer-Risiko erhöhe, sondern auch mit einem erhöhten Arteriosklerose-Risiko assoziiert sei.
Demenzprävention mit Statinen? Bisher wenig ermutigende Daten
Auch wenn die Zusammenhänge noch nicht vollständig geklärt sind, betonen die Autoren die klinische Relevanz ihrer Ergebnisse. Denn erhöhte Cholesterinspiegel und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind potenziell vermeidbar.
Zwar wirkte sich laut der aktuellen Analyse ein hoher Cholesterinspiegel nur bei denjenigen Menschen schädlich auf die kognitive Leistungsfähigkeit aus, die den ApoE4-Risikofaktor trugen und bereits eine manifeste Herzerkrankung hatten. Trotzdem will Mons keine grundsätzliche Entwarnung für Nicht-Träger des Allels geben: „Da sind erst noch weitere Studien notwendig, um den Befund zu bestätigen. Die Empfehlung zu einem gesunden Lebens- und Ernährungsstil, um einen normalen Cholesterinspiegel zu erreichen und zu halten und somit insbesondere auch das Risiko für Herzkrankheiten zu senken, gilt unabhängig von genetischen Risikofaktoren“, betont sie.
Wäre das nicht auch eine Indikation, um medikamentös, etwa mit Statinen, das Cholesterin zu senken und so bei Trägern des Risiko-Allels eine Demenzprävention zu erreichen? Mons äußert sich dazu eher zurückhaltend: „Die Ergebnisse von großen randomisiert-kontrollierten Studien zum Nutzen von Statinen zur Senkung des Demenzrisikos in der Allgemeinbevölkerung sind bislang wenig ermutigend.“
Statine sollten daher weiterhin in erster Linie zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen eingesetzt werden, rät sie. „Inwieweit Statine möglicherweise speziell in der Gruppe der Träger des ApoE4-Risikofaktors das Alzheimer-Risiko senken könnten, sollte aber in Zukunft in klinischen Studien geprüft werden“, schlägt sie vor.
REFERENZEN:
1. Perna L, et al: Dement Geriatr Cogn Disord 2016;41:35-45
Diesen Artikel so zitieren: Genetisch erhöhtes Demenzrisiko: Lässt es sich über das Cholesterin beeinflussen? - Medscape - 3. Nov 2015.
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