Euphorie, Rückschläge, Zweifel, Anpassungen – so verlief die Entwicklung der modernen Koronarstents, bis sie ihren heutigen anerkannten Platz in der klinischen Praxis gefunden hatten. Ganz ähnlich verläuft derzeit die Entwicklung von bioresorbierbaren Gefäßstützen, den so genannten „Scaffolds“, auch abgekürzt BVS (Bioresorbable Vascular Scaffold) genannt.
Stents haben ein hervorragendes Sicherheitsprofil, aber …
Bioresorbierbare Stents könnten dabei helfen, die verbliebenen Nachteile von Metallstents zu überwinden. Denn ihre zentrale Eigenschaft ist es, dass sie nach Erfüllung ihrer Aufgabe innerhalb eines überschaubaren Zeitraums – etwa gut 2 Jahre – vom Körper vollständig verstoffwechselt und resorbiert werden. Dies soll es dem erkrankten Gefäß ermöglichen, seine natürliche anatomische Form zurück zu gewinnen und die physiologische Vasomotion im Scaffoldbereich wieder aufzunehmen.
Beides ist mit Stents auf Metallbasis nicht zu erreichen. Mehr noch, trotz ihres „hervorragenden Sicherheitsprofils“, wie Dr. Robert Byrne im Gespräch mit Medscape Deutschland sagte, werden bei den üblicherweise verwendeten Medikamenten-beschichteten Stents (DES – Drug Eluting Stent) Spätthrombosen beobachtet. „Die Stentthromboserate liegt dabei zwar unter einem Prozent, oft nur um 0,5 Prozent“, sagt Byrne – doch handle es sich um eine niedrige, aber stetige Rate, die möglicherweise ein Hinweis auf eine beschleunigte Atherosklerose im Stent im Langzeitverlauf darstelle.
Der Oberarzt vom Deutschen Herzzentrum in München ist Verfasser eines begleitenden Editorials im New England Journal of Medicine, in dem kürzlich die Daten aus der ABSORB-III-Studie veröffentlicht worden sind [1,2].
Eine Nicht-Unterlegenheit des BVS konnte gezeigt werden
In die ABSORB-III-Studie waren gut 2.000 Patienten mit nachgewiesener Myokardischämie aufgenommen worden. Die Patienten wurden randomisiert auf zwei Gruppen verteilt: Zwei Drittel wurden mit einem Absorb-Scaffold versorgt, ein Drittel wurde zum Vergleich mit einem Xience-Stent behandelt (beide Abott Vascular). Beide Gefäßstützen sind mit dem Zytostatikum Everolimus beschichtet. Ziel war es zu zeigen, dass der BVS im Vergleich zum Stent hinsichtlich des primären Endpunktes (Zielläsionversagen/Target Lesion Failure) nicht schlechter abschneidet.
Dies gelang auch hinsichtlich der – allerdings von Byrne als zu weit kritisierten – definierten Äquivalenzgrenze (4,5%): 7,8% der mit einem BVS behandelten Patienten und 6,1% der mit einem DES versorgten Patienten mussten wegen eines Zielläsionversagens erneut behandelt werden.
Auch für die einzelnen Endpunkte, die im primären Endpunkt subsummiert sind, konnte die Nicht-Unterlegenheit des BVS im Vergleich zum Stent statistisch signifikant bestätigt werden: kardiovaskulärer Tod (0,6% vs. 1,0%), Myokardinfarkt im Zielgefäß (6,0 vs. 4,6 %) und wiederholte Revaskularisation aufgrund einer relevanten Ischämie (3,0% vs. 2,5%). Auch die Thromboseraten in den jeweiligen Gefäßstützen unterschieden sich hinsichtlich der in der Studie definierten Grenzen nicht signifikant. Bei 1,5% der Patienten aus der BVS-Gruppen und bei 0,7% der Patienten aus der DES-Gruppe kam es zu einer Thrombose im Device.
Die Ergebnisse sollten mit Augenmaß interpretiert werden
Obwohl damit in ABSORB III die Nicht-Unterlegenheit des Absorb-Scaffolds im Vergleich zum DES Xience bei Patienten mit Myokardischämie nachgewiesen werden konnte, mahnt Byrne zur Zurückhaltung beim Einsatz von Scaffolds: die Ergebnisse müssten „vorsichtig interpretiert“ werden.
Die Gruppe, die die Studie durchgeführt hat, habe zwar viel Erfahrung mit klinischen Studien, zudem sei das Studiendesign in Kooperation mit der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA entwickelt worden. Aber ein Kritikpunkt sei sicherlich, „dass die Grenze für Nicht-Unterlegenheit relativ großzügig definiert wurde“. Diese erlaube einen „Unterschied zwischen zwei Stents, den die meisten Interventionalisten im Herzkatheterlabor nicht akzeptieren würden“, argumentiert Byrne.
Nicht statistisch signifikant, aber mehr Stentthrombosen beim Scaffold
Sorgen machen dem Münchener Kardiologen auch die Studien-Ergebnisse beim primären Endpunkt „Versagen der Zielläsion bzw. Target Lesion Failure“ (eine Kombination von kardialer Tod, Zielgefäß-Myokardinfarkt, Ischämie-induzierte Revaskularisation des Zielgefäßes nach einem Jahr): „Der Unterschied zwischen den beiden Stents in der As-treated-Analyse, was eigentlich für eine Studie zur Nicht-Unterlegenheit der Standard ist, ist mit sechs Prozent für den DES gegenüber acht Prozent für den Scaffold auffällig. Alle Komponenten dieses Endpunktes sind zugunsten des Metallstents. Da wird schon zusammen mit der relativ großzügig gewählten Nicht-Unterlegenheitsgrenze die klinische Relevanz in Frage gestellt“, gibt Byrne zu bedenken.
Darüber hinaus sei die Rate für Stentthrombosen beim Scaffold zweifach erhöht. Byrne: „Stentthrombosen sind für uns alle ein sehr wichtiger Endpunkt, weil sie fast immer mit einem Herzinfarkt assoziiert und mit einer gewissen Mortalität verbunden sind.“ Zwar seien die Werte statistisch nicht signifikant, aber es gäbe eine gewisse Übereinstimmung mit Registerstudien vor allem aus Deutschland und Italien. „Da sieht man insgesamt eine Rate von Stentthrombosen, die ein bisschen höher aussieht, als wir es in den vergangenen Jahren gewohnt waren. Insofern liegt die Messlatte für den Scaffold sehr hoch“, sagt Byrne.
REFERENZEN:
1. Byrne RA: NEJM (online) 12. Oktober 2015
2. Ellis SG, et al: NEJM (online) 12. Oktober 2015
Diesen Artikel so zitieren: ABSORB-III-Studie: Der bioresorbierbare Stent erweist sich als ebenbürtig, doch für den Routine-Einsatz ist es zu früh - Medscape - 2. Nov 2015.
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