Berlin – Nach Überzeugung von Osteologen wird sich die Osteoporose-Therapie in den nächsten Jahren deutlich wandeln. Neue osteoanabol wirkende Medikamente stehen vor der Zulassung, geprüft werden Kombinations- und Sequenztherapien. Sie würden eine auf die individuelle Situation der Patienten zugeschnittene Versorgung erlauben. Die Frage ist jedoch, wer diese komplexen Behandlungsstrategien umsetzen soll.

Prof. Dr. Andreas Kurth
In Deutschland leben etwa 6,3 Millionen Menschen mit Osteoporose, so Schätzungen des Dachverbandes Osteologie (DVO), einem Zusammenschluss von 19 deutschsprachigen Fachgesellschaften aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Für die Versorgung dieser größer werdenden Gruppe von Menschen hatte der Erste Vorsitzende des DVO, Prof. Dr. Andreas Kurth vom Themistocles Gluck Hospital in Ratingen, zunächst keine guten Nachrichten: „Trotz der Verfügbarkeit von Generika werden derzeit in Deutschland weniger Patienten behandelt als noch vor fünf Jahren“, sagte er beim Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) 2015 in Berlin [1].
Und weiter: „Wir hatten mal 1.600 ausgebildete Osteologen in Deutschland, aktuell sind es 1.000.“ Gebraucht würden 2.500. Nun wolle man im Verband gegensteuern, um es interessierten Ärzten leichter zu machen, sich auf Osteologie zu spezialisieren, erläuterte Kurth.
Bisphosphonate? Ja. Aber was kommt danach?
Hoffnungen setzen er und seine Kollegen auf neue Medikamente, die in den nächsten Jahren zugelassen werden könnten. Bislang aber gelten aus der bereits großen Palette von Substanzen mit verschiedenen Wirkmechanismen und Applikationsformen Bisphosphonate nach wie vor als Mittel der ersten Wahl, um das Frakturrisiko zu senken. Trotz der Diskussionen um Kiefernekrosen oder atypische Frakturen überwiege deren klinischer Nutzen die Risiken bei weitem, erklärte Dr. Hermann Schwarz, Orthopäde aus Freudenstadt.
Ein Problem der oralen Bisphosphonate: Halten Patienten die komplexen Einnahmevorschriften nicht ein, wird die sowieso schon schlechte Bioverfügbarkeit – die Resorptionsquote liegt zwischen 0,5 und 2% – noch schlechter: Dann nämlich werde gar nichts resorbiert, so Schwarz.
Eine der Alternativen ist der RANK-Ligand-Antikörper Denosumab. Dieser muss nur alle 6 Monate injiziert werden. Das ist ein Pluspunkt in puncto Therapieadhärenz. Ein zweiter Pluspunkt: Es besteht keine Kontraindikation bei Niereninsuffizienz, und die ist nicht selten unter Osteoporose-Patienten. Die Knochendichte nehme über bis zu 10 Jahre weiter zu, erklärte Schwarz. Inwiefern sich dies günstig auf das Frakturrisiko auswirke, sei aber noch nicht ganz klar.
Demnächst neu und noch nicht zugelassen ist Odanacatib, ein Inhibitor des von Osteoklasten sezernierten Cathepsin K. „Wenn die Studien gut ausgehen, wird es aller Voraussicht nach erste Wahl sein“, prognostizierte Schwarz. Die Substanz braucht nur einmal wöchentlich als Tablette eingenommen zu werden.
Angesichts der Vielzahl von zur Verfügung stehenden Substanzen kritisierte der Osteologe: „Außer einer einzigen Studie – Teriparatid versus Risedronat – haben wir keine Head-to-Head-Studien zur fraktursenkenden Wirkung!“ Gerade dies sei jedoch der entscheidende Zielparameter. Als Entscheidungskriterien für die Auswahl einer Substanz empfahl er, Unterschiede in der Zulassung zu beachten sowie Neben- und Zusatzwirkungen, Kosten und Einnahmemodalitäten zu berücksichtigen. Näheres finde man in der im vergangenen Jahr aktualisierten DVO-Leitlinie (wie Medscape Deutschland berichtete).
Die osteoanabole Behandlung wird bedeutender
Derweil kündigt sich ein deutlicher Wandel der Therapie bei manifester Osteoporose an: Die osteoanabole Behandlung werde an Bedeutung gewinnen, ist Kurth überzeugt. „Die Welt der Osteoporose-Therapie wird spannend werden.“
Derzeit ist die Behandlung mit Teriparatid, einem rekombinant hergestellten Fragment des Parathormons, laut Gemeinsamem Bundesausschuss (G-BA) an diverse Bedingungen geknüpft, unter anderem unzureichendes Ansprechen auf eine Vortherapie und mindestens 2 neue Frakturen in den vergangenen 18 Monaten.
„Eigentlich sind diese Vorgaben eine Einladung, genau jene Patienten, die es brauchen, auch osteoanabol zu therapieren“, meinte Kurth. Mit diesem Wirkprinzip formiere sich tatsächlich neuer Knochen. Es handle sich eben nicht um eine Hypermineralisierung, die den Knochendichteanstieg unter antiresorptiver Therapie erkläre.
Kurth erwartet von osteoanabolen Behandlungsprinzipien stärker ausgeprägte Risikoreduktionen für Frakturen und rascher einsetzende Effekte am Knochen, als das bislang aus der antiresorptiven Therapie bekannt war. Ein echter Knochenaufbau bedeute außerdem, dass selbst nach Ende der Behandlung der Effekt einige Zeit erhalten bleibe.
Individualisierte Kombinations- und Sequenztherapien sind im Kommen
Die Zukunft wird eine zunehmend individualisierte Therapie bringen, wobei zum Beispiel verschiedene Wirkprinzipien nicht nur einfach miteinander kombiniert, sondern Sequenztherapien auf eine Weise zusammengestellt werden, mit denen die osteoanabolen Effekte optimiert werden. Beispiele für solche Kombinationen sind Teriparatid plus einmal jährlich zu verabreichendes Zoledronat oder plus Denosumab.
In der CONFORS-Studie wurden nach einer Teriparatid-Monotherapie ab dem 9. Monat die Kombinationen mit Raloxifen und mit Alendronat geprüft. Warum ab dem 9. Monat? Zu diesem Zeitpunkt wird unter osteoanaboler Behandlung nicht nur viel Knochen aufgebaut, sondern auch die Resorptionsprozesse kommen parallel richtig in Gang, der Gesamteffekt der Behandlung auf den Knochen flacht daher ab. Wird zu diesem Zeitpunkt ein Antiresorptivum hinzugefügt, kann weiter rasch Knochen aufgebaut werden.
So war in CONFORS besonders bei Kombination mit Alendronat im Vergleich zur fortgesetzten Teriparatid-Monotherapie ein sich kontinuierlich fortsetzender deutlicher Knochendichteanstieg an der Wirbelsäule zu beobachten.
Osteoanabol kontra osteoresorptiv
„Derzeit werden fast nur noch osteoanabol wirkende Substanzen erforscht“, teilte Kurth mit. Mit dem Sclerostin-Antikörper Romosozumab sind nach seinen Angaben in Versuchen bei ovarektomierten Affen innerhalb von 52 Wochen Knochendichtezunahmen um 26% an der Wirbelsäule beobachtet worden und um 24% am Femur. Bei postmenopausalen Frauen bewirkte der einmal monatlich zu verabreichende Antikörper innerhalb eines Jahres einen Knochendichteanstieg um 11,3%.
Abaloparatid ist ein Analogon des PTH-related Proteins (PTHrP) und ein weiterer, neuer Weg, um Knochenwachstum zu stimulieren. In einer Phase-3-Studie (ACTIVE) bei 2.463 Patienten war damit eine 70%ige relative Risikoreduktion für osteoporotische Frakturen bei postmenopausalen Frauen gegenüber Placebo ermittelt worden und sogar im Vergleich zu Teriparatid immer noch eine 55%ige Risikoreduktion.
Bereits in den ersten 100 Tagen sei der Wirkungseintritt in Bezug auf die Ereignisrate sichtbar geworden, betonte Kurth. „Das sind die Dinge, die vor der Tür stehen und die unseren Patienten künftig deutlich besser werden helfen können.“
REFERENZEN:
1. Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU), 20. bis 23.10.2015, Berlin
Diesen Artikel so zitieren: Wandel in der Osteoporose-Therapie? Osteoanabole Wirkstoffe formieren neuen Knochen - Medscape - 2. Nov 2015.
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