Lissabon - Herzschrittmacher könnten eine bedeutsame Rolle bei der frühzeitigen Diagnose des Vorhofflimmerns spielen. Sie könnten so dafür sorgen, dass gefährdete Patienten rechtzeitig eine Antikoagulation erhalten – und so ihr Risiko für einen Schlaganfall verringern. Dies legt eine Studie nahe, die Dr. Nathan Denham vom Warrington Hospital in Liverpool auf dem Kongress Acute Cardiovascular Care 2015 in Lissabon vorgestellt hat [1].
„Das Risiko eines Schlaganfalls für Patienten mit Vorhofflimmern lässt sich mit Medikamenten wie Antikoagulanzien um rund zwei Drittel senken. Doch rund ein Drittel der Patienten hat keine Symptome, bemerkt das Vorhofflimmern deshalb nicht und ist daher einem erhöhten Schlaganfallrisiko ausgesetzt“, erklärt Denham das Potenzial seiner Studie.
Herzschrittmacher können asymptomatisches Vorhofflimmern detektieren, aber sie werden für diesen Zweck nicht routinemäßig kontrolliert. Sie können atriale Hochfrequenzepisoden aufspüren, die mit Vorhofflimmern korrelieren und auch das Risiko für einen Schlaganfall erhöhen.
Assoziation zwischen Schlaganfall und der Detektion von Vorhofflimmern
„Die Studie unterstützt Vorergebnisse der ASSERT-Studie, die eine Assoziation zwischen dem Auftreten eines Schlaganfalls und der Detektion von Vorhofflimmern bei Patienten mit Herzschrittmacher nachgewiesen hat. Die Studie unterstützt auch mein Ansinnen, diese Patientengruppe mittels Telemedizin nachzuversorgen“, erklärt Prof. Dr. Jörg Schwab, Kardiologe an der Beta Klinik Bonn.
In der ASSERT-Studie sind über 2.500 Schrittmacher-Patienten im Alter über 65 Jahre beobachtet und unter anderem auf stumme Vorhoftachykardien untersucht worden. Bereits wenige Minuten Vorhofflimmern innerhalb eines Beobachtungszeitraums von 3 Monaten waren mit einem 2,5-fach erhöhten Risiko für einen Schlaganfall assoziiert.
Telemedizin ermöglicht engmaschigere Schrittmacher-Kontrollen
Deham und seine Kollegen, die sich mit ihrer Studie noch im Stadium der Datenanalyse befinden, sprechen sich für eine solche engmaschige Kontrolle des Schrittmachers aus, die in Zukunft auch per Telemonitoring erfolgen könnte. Beim Telemonitoring werden Daten, z.B. über Impedanzen, Mode-Switch-Episoden oder Herzfrequenzen, zu definierten Zeitpunkten vom Schrittmacher an den behandelnden Arzt gesendet. Je nach Implantat und Technik, kann dies durch den Patienten initiiert oder automatisch erfolgen. Der Arzt kann so technische oder klinische Auffälligkeiten auch außerhalb von Schrittmacher-Kontrollen erkennen.
„Häufigere Schrittmacher-Kontrollen als einmal im halben Jahr sind meines Erachtens unrealistisch. Dazu reichen schlichtweg die Kapazitäten in den Praxen und den Krankenhäusern nicht aus. Die einzige echte Alternative stellt die Telemedizin dar“, erklärt Dr. Axel Müller, Oberarzt in der Klinik für Innere Medizin I am Klinikum Chemnitz. Müller ist außerdem Sprecher der AG33 Telemonitoring der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), die Regularien für die Umsetzung des Telemonitorings in der Kardiologie erarbeitet.
Das Telemonitoring sei mit erhöhtem Aufwand und Kosten verbunden, die bislang noch nicht im Abrechnungssystem abgebildet sind. „Außerdem ist die telemedizinische Infrastruktur noch sehr ausbaufähig. Derzeit macht das jeder Arzt oder jedes Krankenhaus für sich eigenständig. Eine einheitliche flächendeckende Lösung gibt es noch nicht“, so Müller.
Atriale Hochfrequenzepisoden als Marker für Vorhofflimmern
Die Studie von Denham untersuchte 223 Patienten mit Schrittmacher und ohne Vorhofflimmern in der Vorgeschichte. Es wurden die Daten der Schrittmacher-Kontrollen von Januar 2010 bis Mai 2015 gesammelt. Wurde Vorhofflimmern diagnostiziert, so wurde für diese Patienten das Schlaganfallrisiko mittels CHA2DS2-VASc-Score berechnet.
Der Score ermittelt das Schlaganfallrisiko anhand der Parameter C (Congestive heart failure), H (Hypertonie), A (Alter über 75), D (Diabetes), S (Schlaganfall/TIA in der Vorgeschichte), V (Vaskuläre Erkrankung in der Vorgeschichte), nochmals A (Alter über 65) und Geschlecht (Sc = Sex category). Die 2 hinter einem Risikofaktor bedeutet, dass dieser doppelt zählt. Den Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) entsprechend, sollten Patienten mit Vorhofflimmern ab einem Score von 2 Punkten Antikoagulanzien erhalten. Eine atriale Hochfrequenzepisode (AHF) von 30 Sekunden wurde als Schwellenwert für eine signifikante Herzrhythmusstörung angesetzt. „Besonders wertvoll wäre es zu wissen, ab welcher Dauer von Vorhofflimmern sich eigentlich das Schlaganfallrisiko signifikant erhöht“, erklärt Müller. Doch darüber herrscht bislang noch Unklarheit.
Im Beobachtungszeitraum zeigten 36 von 223 Patienten (16%) mindestens eine AHF-Episode, die vom Schrittmacher ermittelt wurde. 2 dieser Patienten waren aufgrund von akuten Symptomen des Vorhofflimmerns ins Krankenhaus gegangen. Bei 27 der 36 Patienten wurde das Vorhofflimmern bei einer Kontrolluntersuchung des Schrittmachers entdeckt. Bei 16 der 27 Fälle von Vorhofflimmern war es zu einem Mode Switch als Folge der AHF-Episode gekommen. Bei den restlichen 11 Patienten bestand das Vorhofflimmern während des Kontrolltermins.
Ein Drittel der 36 Patienten mit Vorhofflimmern hatte den Schrittmacher aufgrund eines Sick-Sinus-Syndroms, das mit Vorhofflimmern assoziiert ist, implantiert bekommen. Bei 2 Drittel war jedoch ein atrioventrikulärer Block die Ursache. Bis auf einen Patienten wies der CHA2DS2-VASc-Score bei allen auf die Notwendigkeit einer Antikoagulation hin.
Häufigere Schrittmacher-Kontrollen, um Schlaganfallrisiko zu minimieren
Die durchschnittliche Dauer von einer Kontrolle bis zur nächsten, bei der die Diagnose des Vorhofflimmers gestellt wurde, betrug 6 Monate. Ein Drittel wartete jedoch 12 Monate zwischen den Kontrollbesuchen. Denham zufolge sprechen die Ergebnisse der Studie dafür, häufigere Kontrollen durchzuführen, um das Schlaganfallrisiko dieser Patienten zu minimieren.
Schwab kommentiert: „Es stellt sich die Frage, welche Konsequenzen ergeben sich hieraus? Ich finde es eher wichtig zu sehen, welche Patienten wir denn nicht antikoagulieren müssen. Das Problem besteht weiterhin, dass wir zwar wissen, dass Patienten mit Schrittmacher und Vorhofflimmern häufiger einen Schlaganfall bekommen, jedoch steht eine prospektive, randomisierte Studie zur Wertigkeit der Antikoagulation aus.“
Noch besser als engmaschigere Kontrollen durchzuführen wäre es Denham zufolge auch, die Daten per Telemonitoring zu erheben. Schwab erklärt, wie es funktioniert: „Hier bestehen unterschiedliche Möglichkeiten. Typischerweise wird der Arzt jedoch erst dann informiert, wenn irgendwelche Auffälligkeiten eingetreten sind, z.B. Herzrhythmusstörungen. Funktioniert das Gerät entsprechend den Vorgaben, findet keine automatisierte Übertragung statt, so dass der Arzt sich erst in der Daten-Plattform einloggt, wenn er eine Nachricht via E-Mail oder Fax erhalten hat oder der Patient ihn bittet, die übertragenen Daten einzusehen.“
Schwab macht jedoch wie Müller darauf aufmerksam, dass die Nachsorge über das Telemonitoring bislang nicht bezahlt wird: „In Deutschland können aktuell telemedizinische Kontrollen aufgrund der Verweigerungshaltung der Kostenträger trotz Intervention von Seiten des BMG nicht abgerechnet werden.“
Damit Telemonitoring hierzulande angewendet werden kann, muss laut Schwab noch viel Aufbauarbeit geleistet werden. „Einen offiziellen Weg zur häufigeren Verwendung wird das wahrscheinlich 2016 zu verabschiedende E-Health-Gesetz ebnen, sofern das BMG die Kardiologie hier auch neben der Radiologie namentlich erwähnt.“
REFERENZEN:
1. Acute Cardiovascular Care, 17. Oktober 2015, Lissabon, Portugal
Diesen Artikel so zitieren: Schlaganfall: Herzschrittmacher könnten frühzeitig Vorhofflimmern als Risikofaktor detektieren - Medscape - 29. Okt 2015.
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