Generalisierte Pflegeausbildung bleibt in der Kritik – Gegner fürchten Nachteile für die Altenpflege

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

29. Oktober 2015

Sie ist noch nicht mal beschlossen – und ruft schon heftigen Widerstand hervor: Die Pflegeausbildungs-Reform, auf deren Eckpfeiler sich Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) verständigt haben.

Danach sollen Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege ab 2016 zu einem einheitlichen Pflegeberuf verschmelzen mit dem Abschluss „Pflegefachfrau/Pflegefachmann“. Geplant sind eine Harmonisierung der unterschiedlichen Ausbildungsvorschriften in den 16 Bundesländern, eine angeglichene Ausbildungsvergütung und generalisierte Ausbildungsinhalte.

 
In Deutschland würde dies die Versorgung alter Menschen auf eine reine Funktionspflege reduzieren …und die Qualität in allen Versorgungsbereichen gefährden. Peter Dürrmann
 

Gegen eine generalistische Pflegeausbildung stemmt sich das „Bündnis für Altenpflege“. Dort fürchtet man einen nachteiligen Effekt: „In Deutschland würde dies die Versorgung alter Menschen auf eine reine Funktionspflege reduzieren, oberflächliches Wissen erzeugen und die Qualität in allen Versorgungsbereichen gefährden“, so Bündnissprecher Peter Dürrmann in einer Stellungnahme. Der komplette Systemwechsel bei den Pflegeberufen sei inhaltlich und strukturell auf seine Auswirkungen und Risiken hin nicht überprüft worden, kritisiert Dürrmann.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DGGPP) fürchtet, dass eine generalisierte Pflegeausbildung den bestehenden großen Personalmangel bei den Heimen und ambulanten Diensten eher verschärfen wird. Erwin Rüddel, pflegepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, sieht das geplante Gesetz gar kurz vor dem Scheitern und empfahl vor wenigen Tagen in einer Stellungnahme auf seiner Seite, sich vorläufig von der Generalistik zu verabschieden und einen Neustart zu wagen.

Rüddel kritisiert vor allem, dass sich Länder und Bundesministerien noch nicht auf eine gemeinsame Linie einigen konnten. Auch kritisiert er, dass es nach bisherigem Verhandlungsstand keine konkreten Ausbildungsinhalte gibt, die sollen erst im Nachhinein per Erlass geregelt werden.

Prof. Dr. Frank Weidner

Reform der Pflegeausbildung ist überfällig

Als „überfällig“ bezeichnet dagegen Prof. Dr. Frank Weidner, Direktor und Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung, die geplante Reform. „Die Versorgungssituation schreit geradezu nach einer generalistischen Ausbildung“, betont Weidner im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Immer mehr Krankenpflege findet in Altenheimen statt, immer mehr Altenpflege wird für die Versorgung von Demenzerkrankten in den Krankenhäusern gebraucht.“ Weltweit sei eine gemeinsame Pflegeausbildung Standard, nur Deutschland nehme nach wie vor eine Sonderstellung ein.

Wie die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Hilde Mattheis auf ihrer Seite mitteilt, hält die SPD an der im Koalitionsvertrag vereinbarten Zusammenführung der bislang getrennten Berufsausbildungen für die Kranken- und die Altenpflege fest. „Ein modernisierter, generalistischer Pflegeberuf erweitert zudem die beruflichen Perspektiven der Pflegefachkräfte und verschafft dem Altenpflegeberuf endlich die überfällige EU-weite berufsrechtliche Anerkennung.“

Vor einem Scheitern der Reform warnt der Deutsche Pflegerat (DPR): „Sollte die im Koalitionsvertrag festgelegte Reform der Pflegeausbildung scheitern, wäre dies eine Blamage für die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag sowie ein Armutszeugnis zugleich“, erklärt Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerates in einer Pressemeldung. Anstatt sich für bessere Ausbildungsbedingungen und attraktivere Arbeitsbedingungen einzusetzen, würden die Befürchtungen der Auswirkungen einer gemeinsamen Pflegeausbildung von einigen Einrichtungs- und Schulträgern einseitig und sachlich falsch überbewertet, erklärt Westerfellhaus.

 
Die Versorgungssituation schreit geradezu nach einer generalistischen Ausbildung. Prof. Dr. Frank Weidner
 

Die DGGPP hatte vor kurzem rund 8.000 Altenpflegeschüler an Schulen befragt und berichtet dass 93% der Befragten angeben, sich ganz bewusst für die Arbeit mit den alten Menschen entschieden zu haben. „Eine Zahl, die wir in dieser Deutlichkeit nicht erwartet hatten“, so Prof. Dr. Hans Gutzmann, Präsident der DGGPP, in einer Stellungnahme.

Auf die Frage, ob die Schüler auch unter den Bedingungen der generalistischen Ausbildung mit großen praktischen und theoretischen Anteilen aus der Krankenpflege und Kinderkrankenpflege die Ausbildung machen würden, antwortete mehr als ein Drittel (37%) mit „Nein“. Allerdings unterstützen nicht wenige Altenpfleger und Schüler der Berliner Wannseeschule die geplante Reform, wie ein Blick auf die Seite des Deutschen Pflegerates zeigt.

Widerstand gegen die Generalisierung im historischen Kontext sehen

Die Widerstände gegen die Generalisierung der Pflege müsse man auch im historischen Kontext sehen, denn die Zusammenführung der Pflege wird seit 20 Jahren diskutiert und untersucht, erinnert Weidner. „2009 war alles bereit für eine Zusammenführung der Pflege, leider wurde das dann nicht umgesetzt“, erklärt Weidner.

 
Alle drei Berufe werden sich verändern, sie werden sich aufeinander zubewegen. Prof. Dr. Frank Weidner
 

Ein Vakuum entstand, zur Kompensation sei dann die Altenpflege aufgewertet worden, eine gründliche Reformierung blieb aus. „Die Verbesserungen führten zu einer Erhöhung der Ausbildungszahlen in der Altenpflege. Es liegt durchaus nahe, dass jetzt viele in der Altenpflege Tätige und auch arbeitgebernahe und weitere Verbände an der bestehenden Ausbildung festhalten wollen und sich gegen die überfällige und grundlegende Reform aussprechen“, erklärt Weidner. Dies gelte auch für die DGGPP, die sich in der Vergangenheit nicht zum Thema Pflegereform geäußert hatte.

Weidner betont, dass es seit 1995 über 40 Modellprojekte zur Pflegereform gegeben habe: „Kein einziges dieser Projekte deutet darauf hin, dass eine Zusammenlegung der Pflege, also eine gemeinsame Ausbildung nicht umsetzbar ist.“ Die Gemeinsamkeiten in der Krankenpflege, der Altenpflege und der Kinderkrankenpflege überwögen bei Weitem, so Weidner und nennt ein Beispiel: „Sowohl schwerst demenziell erkrankte Patienten als auch kleine Kinder können nicht oder kaum über Sprache kommunizieren, hier ist die basale Stimulation für beide – die Altenpflege und die Kinderkrankenpflege interessant und notwendig.“ Sicher aber sei: „Alle drei Berufe werden sich verändern, sie werden sich aufeinander zubewegen“, betont Weidner.

Die Vorschläge Erwin Rüddels, die Generalistik erst mal ruhen zu lassen und die Altenpflege so zu reformieren, dass bundesweit Einheitlichkeit herrsche, sieht Weidner kritisch: „Es ist eine erstaunliche Äußerung, deren Argumente ich nicht recht nachvollziehen kann. Denn faktisch hieße das: Alles wieder auf Null stellen. Der Vorschlag missachtet die komplette Empirie und die Diskussionen der letzten zwanzig Jahre“, so Weidner.

Er rechnet in den nächsten Wochen mit dem Referentenentwurf für das neue Pflegeberufsgesetz, der auf dem Arbeitspapier vom Mai basieren wird. Dass die Inhalte noch nicht festgelegt sind – wie von manchen Kritikern moniert – sei ein normaler Vorgang: „Zuerst wird das Gesetz beschlossen, dann folgt die Ausgestaltung der Inhalte in einer Prüfungsverordnung. Der Bund setzt immer den Rahmen, die Präzisierung liegt dann noch bei den Ländern.“

 

Kommentar

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