Zwei Monate ist es her, dass der renommierte wissenschaftliche Springer Verlag 64 wissenschaftliche Artikel zurückgezogen hat: Redakteure des Verlags hatten nachgewiesen, dass die jeweiligen Peer Reviews manipuliert waren. Dass das wissenschaftliche Publikationsverfahren gehackt worden sei, sei eine Sache, meint Dr. Charlotte J. Haug, Medizinerin an der Stanford University und Autorin, im New England Journal of Medicine [1]. Doch „das eigentliche Problem ist das perverse Anreizsystem des wissenschaftlichen Publizierens.“
Vor drei Jahren fing alles an
Das Zurückziehen zweifelhafter wissenschaftlicher Artikel ist keine Ausnahme mehr, es ist vielmehr ein Trend. Begonnen hatte alles mit dem Geständnis des südkoreanischen Wissenschaftlers Hyung-in Moon, Professor für medizinische Biotechnologie an der Dong-A University in Busan, Südkorea: Dieser hatte 2012 zugegeben, die Peer Reviews zu seinen veröffentlichten Arbeiten selbst organisiert zu haben. Seither wurden mehr als 250 bereits publizierte Arbeiten aufgrund gefälschter Peer Reviews wieder zurückgezogen.
Fälschungen sind denkbar einfach. Moon zum Beispiel hatte den Wissenschaftsverlagen einfach selbst eine Liste möglicher Gutachter seiner Manuskripte zukommen lassen – inklusive E-Mail-Adressen. Sowohl Namen als auch Mailadressen waren jedoch gefälscht, die Anfragen der Redakteure zu Peer Reviews gingen an ausgewählte Kollegen Moons oder an ihn selbst. Das hatte Konsequenzen nicht nur für Moon selbst, von dem 28 Artikel gelöscht wurden. Auch ein Redakteur nahm seinen Hut.
Die Sache hat System
Doch bei derlei „semiprofessionellen“ Täuschungen blieb es nicht. Autoren, die das Peer-Review-Verfahren in ihrem Sinne beeinflussen möchten, können sich mit ihrem Anliegen mittlerweile sogar an Agenturen wenden: Denn nicht wenige Agenturen beschränken sich nicht mehr darauf, Autoren beim Verfassen ihrer wissenschaftlichen Arbeiten zu helfen – sie bieten laut der Nichtregierungsorganisation COPE (Committee on Publication Ethics) darüber hinaus die Organisation positiver Reviews als neue Dienstleistung an. Auf der COPE-Homepage ist derzeit eine lebhafte Diskussion um das Thema im Gange.
COPE wurde 1997 von Herausgebern von medizinischen Zeitschriften in Großbritannien gegründet, inzwischen hat die Vereinigung über 9.000 Mitglieder weltweit. COPE unterstützt Herausgeber und Verlage in allen Aspekten der Publikationsethik – inklusive wie mit Wissenschafts- und Publikationsfehlverhalten umzugehen ist.
Betrügereien seitens der Autoren oder spezialisierter Agenturen funktionieren natürlich nur, wenn Redakteure die Autoren ermutigen, selbst Vorschläge von Experten für solche Reviews zu machen. „Obwohl viele Redakteure dieses Vorgehen missbilligen, wird es doch aus verschiedenen Gründen häufig angewendet“, beschreibt es Haug.
Zum einen sind die Forschungsgebiete oft derart spezialisiert, dass die Autoren noch am ehesten wissen, wer auf diesem Gebiet vergleichbare Kompetenzen besitzt. Zudem erleichtern eigene Vorschläge den Redakteuren nicht unwesentlich das Leben, denn die Suche nach geeigneten Peer Reviewern gestaltet sich entsprechend schwierig und ist zeitaufwändig – oft muss das Review in vergleichsweise kurzer Zeitspanne geschrieben werden.
Vorschlag des Autors für einen geeigneten Reviewer: Oft nicht mehr möglich
Ein weiterer Grund für die Akzeptanz dieses mehr als fragwürdigen Vorgehens ist, dass sowohl Wissenschaftsjournale als auch Verlage immer mehr auf internationalen Füßen stehen, so dass Redakteure bzw. die Redaktionsleitung oder Herausgeber kaum – wie früher üblich – sowohl das Forschungsfeld als auch die Akteure darin noch überblicken können. „Da scheint es eine gute Idee zu sein, den Autor um Vorschläge interessanter Reviewer zu bitten“, so Haug.
Nach den jüngsten Skandalen mit falschen Peer Reviewern haben nun aber viele Journale die Option, bei der Manuskript-Einreichung gleich einen Vorschlag für einen Reviewer zu machen, gelöscht. „Doch das könnte sich als nicht ausreichend erweisen“, glaubt die Medizinerin und Autorin. Denn Erfahrungen des ägyptischen Zeitschriftenverlags Hindawi zeigen: Das Redaktionsteam übernimmt im Zweifel diese Gewohnheit.
Hindawi ist ein Verlag vor allem für Open-Access-Zeitschriften, der rund 400 peer-reviewte Zeitschriften veröffentlicht. Dieser Verlag hatte trotz ausgeschalteter Vorschlags-Option Peer Reviews zu Artikeln, die zwischen 2013 und 2014 veröffentlicht worden waren, überprüft – mit frustrierendem Ergebnis: 37 Artikel waren aufgrund gefälschter Peer Reviews akzeptiert worden, mit Wissen von insgesamt 3 Redakteuren.
Was genau die Redakteure dazu veranlasste, dem betrügerischen System zuzuarbeiten, ist unklar. Ebenso bleibt die Frage offen, ob auch die Autoren bei dem Betrug ihre Finger im Spiel hatten.
Lessons learned?
Eines ist laut Haug aber in jedem Fall klar geworden: „Das elektronische System zur Annahme wissenschaftlicher Manuskripte ist keinen Deut besser geschützt vor Missbrauch und Hacking als andere Datensysteme auch.“ Moon etwa benutzte, wie viele andere Wissenschaftler auch, ein Feature namens ScholarOne, um seine gefälschten Mailadressen zu verbreiten. Jeder, der darüber eine Mail empfängt, erhält ungehindert Zugang zum System. „Die meisten anderen elektronischen Systeme zur Einreichung von Manuskripten haben ähnliche Schlupflöcher, die ganz einfach gehackt werden können.“
Aber die wichtigste Lektion, die aus diesen Betrugsskandalen gezogen werden kann, ist für Haug eine ganz andere: „Der enorme Druck zu publizieren, und zwar schnell zu publizieren – am besten in den besten aller Journale – zeigt Wirkung, sowohl auf die Autoren als auch auf die Redakteure.“ Dieser Druck bestehe zwar überall in der Forschung, besonders groß sei er jedoch in China bzw. in Asien. Von daher sei es wenig überraschend, dass die erfinderischsten Methoden, das Peer-Review-Verfahren zu manipulieren, aus China und anderen Staaten Südostasiens stammen.
„Es wäre allerdings ein Fehler, das als ein chinesisches oder ein asiatisches Problem zu betrachten.“ Das Problem sei vielmehr das perverse Anreizsystem im wissenschaftlichen Publikationssystem generell. „Solange Autoren den größten Anreiz für möglichst viele Publikationen und Redakteure den größten Anreiz für möglichst schnelles Publizieren erhalten, so lange werden neue Wege, mit den traditionellen Publikationsmodellen zu spielen, schneller erfunden als neue Kontrollmaßnahmen etabliert werden können.“
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Betrug bei Peer Reviews: „Das eigentliche Problem ist das perverse Anreizsystem des wissenschaftlichen Publizierens“ - Medscape - 26. Okt 2015.
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