Düsseldorf – Schlafstörungen treten häufig als Komorbidität neurologischer Erkrankungen wie Multipler Sklerose, Parkinson, Epilepsien, Gehirntumoren oder Schlaganfall auf, können aber auch idiopathisch sein. Möglichen genetischen Ursachen und daraus resultierenden Therapien widmeten sich Schlafmediziner auf dem 88. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Düsseldorf [1].
Die Internationale Klassifikation der Schlafstörungen (ICSD-2) weist über 90 verschiedene Formen und Ursachen von Schlaf-Wach-Störungen auf. Ein Schwerpunkt der aktuellen Forschung in den Zentren für Schlafmedizin gilt der genetischen Steuerung der „inneren Uhr“ des Menschen und damit zusammenhängenden Störungen. Eine solche stellt die idiopathische Hypersomnie dar, die durch exzessive Tagesschläfrigkeit gekennzeichnet ist.
„So genannte Uhren-Gene steuern die Transkription bestimmter Proteinmoleküle im Zwölf-Stunden-Rhythmus und haben einen Einfluss auf die Schlaf-Wach-Regulation“, erklärte Prof. Dr. Peter Young, Direktor der Klinik für Schlafmedizin und Neuromuskuläre Erkrankungen am Universitätsklinikum Münster. Sein Team dort hat bereits 2014 in einer Studie anhand verschiedener dieser CLOCK(Circadian locomotor output cycles kaput)-Gene in dermalen Fibroblasten gezeigt, dass die Expression der CLOCK-Gene BMAL1, PER1und PER2bei Menschen, die an idiopathischer Hypersomnie leiden, insgesamt geringer ist als bei gesunden Kontrollpersonen.
Schlafstörungen genetisch bedingt?
Auch bei Menschen, deren Schlafphasen „verschoben“ sind, können genetische Veränderungen vorliegen. Patienten etwa mit vorverlagertem Schlafphasensyndrom (Advanced Sleep Phase Syndrome/ASPS), das heißt: frühes Müdewerden und besonders zeitiges Erwachen, ohne wieder einschlafen zu können, zeigten in Studien der Gruppe der Uniklinik Münster eine Veränderung des PER2-Gens. „Durch eine genetische Veränderung kann sich also die Prävalenz des Schlafens ändern“, erläuterte Young auf dem Kongress.
„An dem Einfluss dieser Gene auf den zirkadianen Rhythmus gibt es nichts zu rütteln“, sagte der Schlafmediziner im Gespräch mit Medscape Deutschland. Die Frage sei nun, ob CLOCK-Gene bei Schlafstörungen, etwa Hypersomnien wie der Narkolepsie, der wohl bekanntesten Schlaf-Wach-Störung, differenziell reguliert seien, etwa durch unterschiedliches An- und Abschalten oder in Form von Polymorphismen. „Wir wollen zudem langfristig herausfinden, ob Hypersomnie durch die Regulation dieser Gene therapierbar ist.“
Die funktionellen Auswirkungen dieser Gene, räumte Young ein, seien aktuell noch wenig geklärt. Sein Team hat bei gesunden Probanden Hautstanzen entnommen und die Tätigkeit der Gensätze in diesen Bindegewebsproben im Labor untersucht. „Wir haben herausgefunden, dass die CLOCK-Gene aller Proben im selben Takt anfangen zu schwingen“ – das bedeutet, dass sie von sich aus einen Rhythmus von an- und abschalten entwickeln.
Weitere Erkenntnis: Die Gene der beiden unterschiedlichen Chronotypen – Frühaufsteher und Langschläfer – weisen unterschiedliche Single-Nukleotid-Polymorphismen (SNP) auf. „Das kann man noch nicht als Mutation bezeichnen, aber die Gene unterscheiden sich“, sagte Young.
Wenn ein Tag länger dauert als 24 Stunden
Jetzt untersucht sein Team an der Uniklinik Münster, ob das Gen bei Menschen, die unter Hypersomnien leiden, länger an- bzw. abgeschaltet ist als bei Gesunden.
„Über einen gentechnischen Trick haben wir es geschafft die Gene bzw. deren An- und Abschalten sichtbar machen“, so der Schlafmediziner: Der vor dem Gen befindliche Promoter entscheidet, ob das Gen an- oder abgeschaltet wird. Durch das Platzieren des Gens für ein fluoreszierenden Molekül (Luciferase) hinter die Promoter-Region eines CLOCK-Gens würde dann nicht das Genprodukt, sondern die Leuchtsubstanz produziert. „Somit können wir die Aktivität des Gens visualisieren“, erklärte Young.
Mittels dieser Technik beobachteten die Forscher in den Hautzell-Kulturen der gesunden Probanden, dass die Gene tatsächlich entsprechend dem zirkadianen Rhythmus an- und abgeschaltet werden. „Das zeigt: Diese Menschen haben einen eigenen Schlaf-Wach-Rhythmus – eine innere Uhr also, die bei Gesunden zwischen 24,3 und 24,6 Stunden beträgt.“ Die Vermutung: Bei Schlafsüchtigen ist dieser Rhythmus verlängert. „Das würde bedeuten, dass die Ursache für die idiopathische Hypersomnie in den CLOCK-Genen liegen kann.“
Über die Prävalenz dieser Schlafstörung, bei der die Patienten ein pathologisch gesteigertes Schlafbedürfnis am Tag haben, sei wenig bekannt, weil die Krankheit selten diagnostiziert werde, sagte Young. Die Dunkelziffer sei hoch, besonders im jungen Erwachsenenalter. „Oft vergehen vier bis fünf Jahre bis zur endgültigen Diagnose.“
Treffen die Hypothesen hinsichtlich der genetischen Ursachen zu, könnte die Krankheit künftig per individuelle Gen-Analyse erkannt werden. „Es besteht große Hoffnung, dass das in Zukunft mittels Hautstanze möglich sein wird. Das liegt aber noch in ferner Zukunft“, räumte Young ein. „Wir vermuten aufgrund der bisherigen Laborergebnisse zu den Unterschieden im zirkadianen Rhythmus, dass dieser bei Patienten mit Hypersomnie etwa 27 statt etwas mehr als 24 Stunden beträgt.“
Da Studien bei Mäusen außerdem gezeigt haben, dass CLOCK-Gene beeinflussbar sind, sollen diese seltenen Schlafstörungen, die den Alltag der Patienten sehr belasten, an diesen Genen ansetzen. „Aus einem besseren biologischen Verständnis von Hypersomnien können Therapien entwickelt werden, die die Schlafstörungen bekämpfen“ - das hieße also, Substanzen, die das An- und Ausschaltern der CLOCK-Gene beeinflussten, erklärte Young.
Narkolepsie: Unterdiagnostiziert, auch bei Kindern
Über die wohl häufigste Form der Hypersomnie, die Narkolepsie, die durch extreme Tagesschläfrigkeit, meist mit Kataplexien, gekennzeichnet ist, berichtete Prof. Dr. Geert Mayer von der Hephata-Klinik im hessischen Schwalmstadt.
Rund 40.000 Menschen leiden in Deutschland daran, schätzt die Deutsche Gesellschaft für Schlafmedizin (DGSM). „Jedoch werden vermutlich 80 bis 90 Prozent der Fälle nicht diagnostiziert“, gibt Mayer zu bedenken. Von der ersten Manifestation bis zur Diagnose vergingen im Schnitt 4 Jahre.
Häufiger seien Männer erkrankt. Auch schon bei Kindern und Jugendlichen träte die Krankheit, bei der keine schlafbezogenen Atemstörungen vorkommen, auf, obwohl sie selten im Kindes- oder Jugendalter diagnostiziert werde.
Die Krankheit müsste angesichts der niedrigen Remissionszahlen definitiv als chronisch betrachtet werden. „Von 1.000 Narkolepsie-Patienten in unserer Klinik erreichten bisher 2 eine Spontan-Remission“, bemerkte Mayer. Die Ursachen seien bisher wenig geklärt, jedoch wisse man, dass 90 bis 95% der Patienten bestimmte Allele der humanen Leukozyten-Antigens (HLA) tragen.
Narkolepsie-Patienten, warnte Mayer, wiesen eine „viel höhere Mortalitätsrate“ auf als Gesunde, auch aufgrund vermehrter Unfälle im Straßenverkehr, wie eine im Juni 2015 in PLOS ONE veröffentlichte französische Studie zeigt. Sie verglich die Autounfälle von Narkolepsie-Patienten und gesunden Kontrollpersonen über 5 Jahre: Patienten, deren Schlafstörung nicht behandelt worden war, hatten wesentlich mehr Verkehrsunfälle als gesunde Probanden und Narkolepsie-Patienten, die ihre Schlafstörung behandeln ließen.
REFERENZEN:
1. 88. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 23. bis 26. September 2015, Düsseldorf
Diesen Artikel so zitieren: Schlafsucht auf der Spur: Sind CLOCK-Gene für Hypersomnie verantwortlich? - Medscape - 15. Okt 2015.
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