Vorhofflimmern ist mit erhöhtem Demenzrisiko assoziiert: Hat die Therapie einen schützenden Effekt?

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

12. Oktober 2015

Eine neue Analyse der Rotterdam-Studie zeigt eine Assoziation zwischen Vorhofflimmern und einem erhöhten Risiko für Demenz. Wodurch diese Assoziation zustande kommt und ob es sich um eine kausale Beziehung handelt, ist derzeit noch unklar.

Ganz überraschend ist der Befund jedenfalls nicht: „Eine solche Assoziation zwischen Vorhofflimmern und Demenz wurde auch schon in anderen Studien gezeigt“, sagt Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Essen, im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Allerdings handelt es sich hierbei um eine prospektive populationsbezogene Untersuchung, während frühere Studien meist kleiner waren und auf Registerdaten basierten.“

Die Autoren um Dr. Reneede Bruijn von der Abteilung für Epidemiologie am Erasmus Medical Center in Rotterdam untersuchten den Zusammenhang zwischen Vorhofflimmern und Demenz bei Teilnehmern der Rotterdam-Studie [1]. Die Rotterdam-Studie startete im Juli 1989 und umfasste die Einwohner der Rotterdamer Wohngegend Ommoord, die mindestens 55 Jahre alt waren. Nach einer Eingangsuntersuchung fanden Kontrolluntersuchungen alle 3 bis 4 Jahre statt. Die Daten für die aktuelle Analyse wurden von September 2014 und April 2015 ausgewertet.

Das Risiko für Demenz war in dieser jüngeren Altersgruppe höher, wenn das Vorhofflimmern schon lange bestand. Dr. Renee de Bruijn und Ko-Autoren

Patienten mit Vorhofflimmern meist kränker

Zu Studienbeginn litten 318 (4,9%) der 6.514 Studienteilnehmer an Vorhofflimmern. Diese Personen waren älter, nahmen häufiger blutdrucksenkende Medikamente ein, hatten niedrigeres HDL-Cholesterin und häufiger Diabetes mellitus, Koronare Herzkrankheit und Herzinsuffizienz als die Teilnehmer ohne Vorhofflimmern.

994 (15,3%) der Studienteilnehmer erkrankten an Demenz. Nach Anpassung um Alter und Geschlecht hatten Studienteilnehmer mit zur Baseline bereits bestehendem Vorhofflimmern ein um 34% erhöhtes Risiko, an Demenz zu erkranken. Anpassungen um weitere Störfaktoren veränderten dieses Ergebnis nicht.

Von den 6.196 Studienteilnehmern, die zur Baseline noch frei von Vorhofflimmern waren, erkrankten 723 (11,7%) neu an Vorhofflimmern. 932 Personen (15,0%) entwickelten eine Demenz. Neu aufgetretenes Vorhofflimmern war mit einem um 23% höheren Demenzrisiko assoziiert. Der Ausschluss von Teilnehmern mit Schlaganfällen veränderte diese Ergebnisse nicht signifikant.

Im höheren Alter kommen so viele andere Risikofaktoren hinzu, dass die Wirkung eines einzelnen Risikofaktors kaum noch eine Rolle spielt. Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Stärkste Assoziation bei Jüngeren und langer Erkrankungsdauer

„Am stärksten war die Assoziation zwischen Vorhofflimmern und Demenz bei denjenigen ausgeprägt, die unter dem medianen Alter der Population (67 Jahre) lagen“, berichten die Autoren. „Außerdem war das Risiko für Demenz in dieser jüngeren Altersgruppe höher, wenn das Vorhofflimmern schon lange bestand.“ In der Gruppe mit der längsten Erkrankungsdauer (über 12 Jahre) lag die Hazard Ratio für Demenz bei 3,30. Bei älteren Teilnehmern wurde diese „Dosis-Wirkungs-Beziehung“ nicht beobachtet. Ob die Teilnehmer eine Alzheimer-Demenz oder eine andere Demenzform entwickelten, spielte für die Ergebnisse keine Rolle.

„Eine Demenz entwickelt sich allmählich über viele Jahre, deshalb muss die Herzrhythmusstörung wahrscheinlich schon in einem recht jungen Alter auftreten, um zur Entstehung der Demenz beizutragen“, vermuten die Autoren. Damit würde sich Vorhofflimmern nicht von anderen Demenz-Risikofaktoren unterschieden, wie z. B. Hypertonie oder hohes Cholesterin, deren Effekt ebenfalls stärker ist, wenn sie von einem früheren Alter an bestehen.

Das Phänomen, dass ein Risikofaktor ab einem bestimmten Alter scheinbar plötzlich an Bedeutung verliert, ist für Diener nicht verwunderlich: „Im höheren Alter kommen so viele andere Risikofaktoren hinzu, dass die Wirkung eines einzelnen Risikofaktors kaum noch eine Rolle spielt.“

Meistens haben Patienten mit Vorhofflimmern auch noch eine Herzinsuffizienz und viele vaskuläre Risikofaktoren – die gleichen Risikofaktoren, die auch die Entstehung einer Demenz begünstigen. Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Unerkannte Schlaganfälle als Erklärung für die Demenz?

Welche Mechanismen hinter der Assoziation zwischen Vorhofflimmern und Demenz stecken, kann bislang nur spekuliert werden. Möglicherweise sind es doch die Schlaganfälle? „Der Ausschluss von Schlaganfällen hat die Ergebnisse in unsere Analyse zwar nicht verändert, doch es ist möglich, dass Teilnehmer mit Vorhofflimmern mehr „stille‘ Schlaganfälle hatten“, schreiben die Autoren. „Solche asymptomatischen Schlaganfälle sind häufig Lakunen, von denen man weiß, dass sie mit einem erhöhten Demenzrisiko verknüpft sind.“

Klären ließe sich dies nur mit Bildgebungsstudien mit langen Follow-up-Zeiträumen. Doch: „In den großen Studien zur oralen Antikoagulation wurde zur Baseline kein MRT des Gehirns gemacht“, berichte Diener. „Wir wissen also nicht, wie die Gehirne zu Studienbeginn aussahen und ob die Teilnehmer im Laufe der Zeit wirklich mehr stille Infarkte hatten.“ Es gebe neue, gerade angelaufene Studien, die den Aspekt der Bildgebung enthielten, doch deren Ergebnisse seien erst in einigen Jahren zu erwarten.

Eine zweite mögliche Erklärung für die Assoziation zwischen Vorhofflimmern und Demenz sehen de Bruijn und ihre Kollegen in Veränderungen des Blutflusses, auf die das Gehirn sehr empfindlich reagiert. „Eine zerebrale Minderdurchblutung aufgrund des durch das Vorhofflimmern bedingten verringerten kardialen Ausstoßes könnte die Nervenzellen schädigen“, schreiben sie in ihrem Artikel in JAMA Neurology.

Allerdings lassen sich auch andere Erklärungen für den Zusammenhang finden: „Die wenigsten Patienten mit Vorhofflimmern sind ansonsten kerngesund. Meistens haben sie auch noch eine Herzinsuffizienz und viele vaskuläre Risikofaktoren – die gleichen Risikofaktoren, die auch die Entstehung einer Demenz begünstigen“, erklärte Diener.

Möglicherweise könnte das Demenzrisiko durch eine optimale Therapie des Vorhofflimmerns gesenkt werden. Dr. Renee de Bruijn und Ko-Autoren

Auch de Bruijn und ihre Kollegen ziehen diese Erklärung als Möglichkeit in Betracht, ergänzen aber, dass eine Anpassung um kardiovaskuläre Risikofaktoren die Ergebnisse nicht verändert habe. Und auch die Dosis-Wirkungs-Beziehung bei jüngeren Teilnehmern spreche eher für eine kausale Assoziation.

Demenz-Risikoreduktion durch Therapie des Vorhofflimmern?

Sollte sich Vorhofflimmern tatsächlich als kausaler Risikofaktor für Demenz bestätigen, könnte dies bedeutende Implikationen für die klinische Praxis haben, so die Autoren. „Herzrhythmusstörungen sind eine behandelbare Erkrankung, möglicherweise könnte also das Demenzrisiko durch eine optimale Therapie des Vorhofflimmerns gesenkt werden“, spekulieren sie.

Ob eine erfolgreiche Behandlung etwas an der Prognose der Patienten ändern würde, wisse man allerdings im Moment noch gar nicht, schränkte Diener ein. Die wichtigste Behandlungsoption zur Schlaganfallprävention sind Antikoagulanzien. Um diese korrigierten die Autoren zwar ihre Ergebnisse, doch „wir konnten nicht berücksichtigen, wie wirksam die Therapie war“, schreiben de Bruijns und ihre Kollegen. Das sei bei den oralen Antikoagulanzien mit ihrer engen therapeutischen Spannbreite von großer Bedeutung.

Hinzu kommt, dass den Studienautoren keine Informationen zu weiteren Therapien wie Antiarrhythmika, Kardioversion und Katheterablation zur Verfügung standen. Ob eine optimale Behandlung des Vorhofflimmerns den Ausbruch einer Demenz verzögern oder verhindern kann, könnten deshalb nur weitere Studien zeigen.

REFERENZEN:

1. de Bruijn R, et al. JAMA Neurol (online) 21. September 2015

Kommentar

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