
PD Dr. Barbara Ludwig
Zur Behandlung des Typ-1-Diabetes hatte man große Hoffnungen darauf gesetzt: Durch Inselzelltransplantationen könnte man die Erkrankung heilen, so dachte man. Doch die großen Erfolgsmeldungen blieben bislang aus. Zwar wurden die Techniken zur Gewinnung und Reinigung der Inselzellen verfeinert, ebenso die Applikationsmethoden, doch bleibt die Immunogenität der verabreichten Zellen und die dadurch notwendige lebenslange Immunsuppression ein großes Manko.

Prof. Dr. Robert Grützmann
In Einzelfällen können aber Patienten durchaus von den Fortschritten bei Inselzelltransplantationen profitieren, wie der in Deutschland einmalige Fall der zehnjährigen Leonie zeigt. Bei ihr konnte eine autologe Inselzelltransplantation, die aufgrund ihrer kranken Bauchspeicheldrüse gemacht wurde, die Lebensqualität bessern. Davon ist das behandelnde Team um die Inselzell- und Diabetes-Spezialistin PD Dr. Barbara Ludwig aus der Medizinischen Klinik und Poliklinik III und den Pankreas-Experten Prof. Dr. Robert Grützmann aus der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus in Dresden überzeugt.
Wie die Mediziner berichten, hat das Mädchen 13 Monate, nachdem es etwa 220.000 Inselzellen aus ihrem eigenen Pankreas in die Leber transplantiert bekam, einen stabilen Stoffwechsel, 10 Kilogramm zugenommen und fühlt sich allgemein sehr viel besser als zuvor [1]. Ihr Chirurg Grützmann betont im Gespräch mit Medscape Deutschland: „Leonie geht es jetzt super.“
Grützmann und seine Kollegen entschieden sich für eine Pankreatektomie, nachdem 26 Eingriffe dem Mädchen unzureichend geholfen hatten. Leonie litt seit 2006 unter rezidivierenden, extrem schmerzhaften Entzündungen der Bauchspeicheldrüse. Selbst die teilweise Entfernung des Organs brachte nur vorübergehend Linderung. In einem 27. Eingriff entfernte Grützmann das Pankreas, in dem ausgeprägte entzündliche Veränderungen nachweisbar waren.
Ludwig brachte das Pankreaspräparat in ein GMP-konformes Reinraumlabor und isolierte aus dem Organ mittels Enzymen die Inselzellen. Mithilfe eines Katheters konnten die Inseln über die Pfortader in einen von Leonies Leberlappen eingebracht werden. In der Leber nahmen sie ihre Arbeit auf. In einem Video sind alle Therapieschritte gut nachzuvollziehen.
Keine Therapie für viele – aber: Hoffnung auf neue Verfahren
„Man muss darauf hinweisen, dass so etwas sicher ein Einzelfall ist“, verdeutlicht Ludwig auf Rückfrage von Medscape Deutschland. „Die Entfernung des Pankreas macht Patienten zu Diabetikern, und wir können nicht garantieren, dass genug Inselzellen für eine Transplantation isoliert werden können." Dann müssen die Patienten mit Insulin behandelt werden, oder es kommt eine allogene Transplantation infrage – theoretisch.
Praktisch ist die Zahl an Spenderorganen auf einem historischen Tiefstand. In Dresden, dem zurzeit deutschlandweit einzigen Inseltransplantationszentrum, konnten auch darum seit Eröffnung 2008 bislang lediglich 25 dieser Transplantationen erfolgen, davon 15 autolog, 10 allogen. Leonie ist das erste und bislang einzige Kind unter den Patienten. Wie die meisten anderen, so ist auch sie insulinpflichtig – allerdings auf sehr niedrigem Niveau. Mit ihrer Insulinpumpe kommt sie gut zurecht.
Ludwig und Grützmann weisen darauf hin, dass es nicht das primäre Ziel der Inseltransplantationen sei, Patienten die Insulinzufuhr dauerhaft zu ersparen. Vielmehr geht es um die Stabilisierung des Zuckerstoffwechsels, um mehr Sicherheit z.B. für jene Typ-1-Diabetiker, die eine Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung haben. Rund jeder 20. Typ-1-Diabetiker könnte somit von Inselzelltransplantationen profitieren. Da bei allogenen Inseltransplantationen zurzeit lebenslang Immunsuppressiva genommen werden müssen, sind die damit verbundenen Risiken und Einschränkungen allerdings sehr genau mit denen des Diabetes abzuwägen.
Inseltransplantationen vor allem nach plötzlichem Funktionsverlust des Pankreas
Autologe Inselzelltransplantationen kommen laut Grützmann vor allem dann infrage, wenn das Pankreas jäh seine Funktion verliert, wie zum Beispiel nach einem Unfall. 2013 machte ein damals 43-Jähriger Schlagzeilen, dem nach einem Arbeitsunfall ebenfalls im Universitätsklinikum Dresden seine eigenen Inselzellen erfolgreich transplantiert werden konnten. „Auch diesem Patienten geht es heute sehr gut“, berichtet Grützmann.
Ludwig ergänzt: „Auch, wenn das Pankreas selbst nicht beeinträchtigt war, aber zum Beispiel bei einer Operation an einem anderen Organ in Mitleidenschaft gezogen wurde, ist eine Inseltransplantation möglich.“ Diese sei sogar besonders erfolgsversprechend, weil das Organ in solchen Fällen nicht vorgeschädigt war.
Leonie, sagt Grützmann, ist ein Sonderfall. Die Ursache für ihre immer wiederkehrenden Pankreatitiden blieb ungeklärt. Ihre Jugend trug vermutlich dazu bei, dass relativ viele ihrer Inselzellen gerettet werden konnten, gibt der Chirurg zu bedenken. Bei Erwachsenen mit chronischer Pankreatitis sei es leider anders: „Da finden wir oft Organe, die nach der langen Erkrankung ausgeprägt verkalkt und verändert sind.“ Für die autologe Inseltransplantation ist es dann zu spät.
Rechtliche Rahmenbedingungen müssten geändert werden
Die Inseltransplantation, zeigen Grützmann und Ludwig sich einig, könnte in Deutschland eigentlich mehr Patienten helfen, als dies bisher der Fall ist. Schuld sind neben dem absoluten Mangel an Organspendern gesetzliche Feinheiten: Das Pankreas ist laut Gesetz zunächst als ganzes Organ zur Transplantation zu vermitteln. Erst wenn sich kein geeigneter Empfänger findet, ist die Isolierung und Transplantation der Inselzellen zulässig. Die Inselzellen selbst gelten als Gewebspräparationen in Form eines Arzneimittels – mit allen damit verbundenen Auflagen. Somit müssen zahlreiche infrage kommende Bauchspeicheldrüsen verworfen werden.
„Überall in Europa tut sich viel mehr als hier“, kritisiert Ludwig, die mit Mitarbeitern der anderen Zentren Europas in Kontakt steht. Sie und ihre Kollegen engagieren sich gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Gewebetransplantation, um die Rahmenbedingungen hierzulande zu verändern. Dann wäre u.a. denkbar, dass ein Patient in Bayern pankreatektomiert wird, das Pankreaspräparat nach Dresden transportiert wird, dort Inselzellen isoliert werden, die zum Patienten zurückgebracht und ihm anschließend wieder zugeführt werden. Dies planen Ludwig und Grützmann jetzt auch umzusetzen, nachdem Grützmann am 1. Oktober 2015 auf den Lehrstuhl für Chirurgie des Universitätsklinikums Erlangen gewechselt ist.
Verwandte oder Schweine als Spender? Was die Zukunft bringt
Währenddessen suchen Wissenschaftler in aller Welt weitere Wege, schwerkranke Patienten zu therapieren. Vor 10 Jahren machte die erste erfolgreiche Lebendspende Schlagzeilen: Eine japanische Mutter hatte ihrer Tochter Teile ihrer Bauchspeicheldrüse zur Verfügung gestellt. Der Krankheitsverlauf der Tochter wich jedoch stark von demjenigen der meisten Diabetiker ab. Außerdem gilt: „Den Ansatz der Lebendspenden verfolgt man hier nicht weiter, weil das Verfahren für die Spender sehr gefährlich ist und es viele ethische Vorbehalte gibt“, so Ludwig.
Erfolgsversprechender sei eventuell die Xenotransplantation, also der Einsatz von tierischen Inselzellen. Ludwig erklärt: „Wir sind gerade in der letzten Phase der präklinischen Studien mit Schweine-Inselzellen.“ Binnen der nächsten 2 Jahre planen sie und ihr Team, ein klinisches Studienprotokoll einzureichen. Ethische Vorbehalte gebe es rund um den Globus kaum. Selbst muslimische oder jüdische Wissenschaftler befürworteten die Weiterentwicklung dieser Therapien – interessierte Patienten fänden sich zuhauf.
Auch mit Stammzellen werde inzwischen umfassend geforscht, betont Ludwig. Sowohl für diese als auch für menschliche oder tierische Inselzellen eignen sich zudem die Bio-Reaktoren, die ebenfalls in der Medizinischen Klinik und Poliklinik III am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden entwickelt wurden. Hierbei handelt es sich um Kapseln, die die Inselzellen umfangen – eine Art Pankreas-Ersatz also. Die Verkapselung erlaubt einerseits, dass Insulin abgegeben wird, verhindert aber andererseits, dass die Immunabwehr des Patienten die gespendeten Inselzellen zerstört. Immunsuppressiva, hoffen Ludwig, Grützmann und ihre Kollegen, werden damit langfristig verzichtbar.
REFERENZEN:
1. Pressemitteilung des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus, Dresden, 11. September 2015
Diesen Artikel so zitieren: Autologe Transplantation von Inselzellen: „Leonie geht es jetzt super“ - Medscape - 8. Okt 2015.
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