
Karola Mergenthal
Bozen – Die VERAH (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis) soll als qualifizierte Medizinische Fachangestellte (MFA) den Hausarzt vor allem entlasten – und das tut sie in vielen Fällen tatsächlich. Dies ist das erfreuliche Ergebnis einer Auswertung, die im Rahmen der Evaluation der Hausarzt-zentrierten Versorgung (HzV) in Baden-Württemberg erfolgt und beim 49. Kongress für Allgemein- und Familienmedizin in Bozen, Südtirol, vorgestellt worden ist.
In der von Karola Mergenthal, Institut für Allgemeinmedizin, Goethe-Universität Frankfurt/Main, präsentierten Befragung hatte ein Großteil der Hausärzte bestätigt, dass er eine Entlastung durch den VERAH-Einsatz empfände. „Viele hatten sich so viel Entlastung nicht vorgestellt“, berichtet Mergenthal im Gespräch mit Medscape Deutschland. Doch war ein interessantes zusätzliches Ergebnis, dass auch HzV-Teilnehmer ohne VERAH angaben, durch die HzV-Teilnahme mehr Zeit für „wichtige medizinische Tätigkeiten im Patientenkontakt“ zu haben, so die Gesundheitswissenschaftlerin.
Zahl der Hausbesuche für den Arzt verringerte sich durch die VERAH
Rund 7.000 VERAH gibt es derzeit bereits in der Bundesrepublik, etwa 2.300 allein im Rahmen der HzV in Baden-Württemberg. Wenn Ärzte eine VERAH beschäftigen, führt dies in vielen Praxen auch zu einer Aufgaben-Umverteilung zwischen Hausarzt und Assistenzpersonal. Wie diese Umverteilung dann aber ausgestaltet und gelebt wird, bleibt jeder Praxis selbst überlassen. Mergenthals Studienfrage war, ob dies auch tatsächlich mit einer zeitlichen und tätigkeitsbezogenen Entlastung für die Hausärzte verbunden ist. Sie hat dazu Befragungen unter allen Beteiligten – Patienten, VERAHs und Hausärzte – durchgeführt.
Bei der Ärztebefragung nahmen 44 Hausärzte mit VERAH und 30 Ärzte ohne VERAH teil. In allen Fällen handelte es sich um HzV-Praxen. Bei der Frage, in welchen Bereichen die Entlastung stattfand, fielen z.B. die Hausbesuche auf: 64% der Ärzte mit VERAH gaben an, dass sich die Zahl der Hausbesuche verringert habe, unter den HzV-Ärzten ohne VERAH hatte dies keiner angegeben. Auch beim Kontakt mit Pflegeeinrichtungen fühlten sich die Ärzte entlastet: Bei 56% hatte sich der Aufwand hier durch die VERAH verringert, bei den Ärzten ohne VERAH nur bei 4%.
Sogar 3 von 4 Ärzten sahen eine insgesamt verringerte Belastung bei der Patientenversorgung durch die VERAH. Bei den Hausärzten ohne VERAH hatte dagegen die Belastung insgesamt nur bei 2 Befragten (8%) im gleichen Zeitraum abgenommen. Ein erstaunliches Ergebnis war laut Mergenthal, dass in beiden Gruppen nahezu gleich viele – 43% der Hausärzte mit VERAH und 37% der Hausärzte ohne VERAH – bestätigten, nun mehr Zeit für wichtige medizinische Themen im Patientenkontakt zu haben. Mergenthal: „Es ist unklar, wie HzV-Teilnahme und die Abgabe von Tätigkeiten an VERAH hinsichtlich der Arztentlastung miteinander interagieren.“
Hohe Akzeptanz der VERAH-Hausbesuche bei den Patienten
Ein weiteres wichtiges Ergebnis ihrer Befragung sieht Mergenthal in den Antworten der Patienten: „Die Hausbesuche durch die VERAH stoßen bei den Patienten auf eine hohe Akzeptanz“, berichtete sie in Bozen. Insgesamt hat sie mehr als 4.300 Tätigkeitsprotokolle von Patientenkontakten ausgewertet, eine Patientenbefragung bei 1.299 HzV-Patienten durchgeführt und die Ärzte und VERAH interviewt. „Aufgrund der Rückmeldungen lässt sich schließen, dass die Patienten mit der VERAH auf einer anderen Ebene kommunizieren“, erläutert Mergenthal im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Die VERAH erfährt Dinge, die der Patient dem Arzt nicht erzählen würde.“
Allerdings, so schränkt sie auch ein, haben zwar rund 60% der an der HzV teilnehmenden Ärzte in Baden-Württemberg eine VERAH – aber nicht alle nutzen sie auch entsprechend. „Manche tun sich schwer damit, Kompetenz abzugeben.“
Bei der Delegation von Hausbesuchen tun sich noch viele Ärzte schwer
Dies bestätigt eine ebenfalls in Bozen als Poster vorgestellte sächsische Analyse. Sie zeigt, dass es gerade bei der Delegation von Hausbesuchen noch sehr viel Luft nach oben gibt. Eine Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Antje Bergmann vom Bereich Allgemeinmedizin der TU Dresden hat in einer Querschnittsstudie in Sachsen-Anhalt die Inhalte von 209 Hausbesuchen aus 21 Hausarztpraxen anhand eines strukturierten Fragebogens dokumentiert.
44% diese Hausbesuche waren – gemessen anhand des Anhangs 24 der Bundesmantelverträge – potenziell delegierbar. Die Hausärzte selbst schätzten dagegen nur knapp 17% dieser Hausbesuche als delegierbar ein. Tatsächlich delegiert wurden dann sogar nur 5,3%. Viele Ärzte glauben anscheinend nach wie vor, Hausbesuche könnten sie nur selbst durchführen – oder sie sehen keinen Mehrwert einer Delegation, folgern die Autoren der Analyse.
Sie betonen aber auch, dass gerade der Umstand, dass in den delegierenden Praxen signifikant mehr Hausbesuche (15 vs 10 pro Woche) gemacht wurden, auf eine Entlastung der Hausärzte besonders bei Routinebesuchen hinweise. Eine weitere Analyse der Besuchsprotokolle durch die gleiche Arbeitsgruppe, vorgestellt in einem weiteren Poster, zeigt übrigens, dass Routine-Hausbesuche (die auch von den Ärzten eher als delegierbar eingeschätzt werden) auch signifikant länger dauern als Besuche, die akut angefordert worden sind.
Vom Einsatz der VERAH profitieren alle Beteiligten
Gerade bei den Routine-Hausbesuchen sieht auch Mergenthal Potenzial, die VERAH sinnvoll einzusetzen. „Sie können neben Laboruntersuchungen und Blutentnahmen z.B. die Versorgung einer chronischen Wunde vornehmen, Alltagsaspekte abfragen oder auch mit den Patienten durch die Wohnung gehen, sie auf Stolperfallen aufmerksam machen, prüfen, ob geeignete Halterungen in Bad und Toilette vorhanden sind“, nennt sie einige Beispiele im Gespräch. Auch ein geriatrisches Assessment, das sehr zeitaufwändig sein kann, zählt sie als weitere mögliche Aufgabe für die VERAH auf.
Ihr eigenes Fazit aus ihrer Erhebung lautet, dass alle Beteiligten – Arzt, Assistentin und Patient – vom Einsatz der VERAH profitieren können: Der Hausarzt ist entlastet und gewinnt mehr Zeit für wichtige medizinische Themen; die MFA erlebt eine Kompetenzsteigerung und gewinnt mehr Sicherheit im Umgang mit Patienten, was laut Mergenthal in den Interviews von vielen als sehr positiv vermerkt wurde, und auch der Patient fühlt sich oft persönlicher betreut und erkennt Kompetenz und Leistung der VERAH an.
REFERENZEN:
1. 49. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, 17. bis 19. September 2015, Bozen, Italien
Diesen Artikel so zitieren: Einsatz von VERAH in der Hausarzt-zentrierten Versorgung: „Viele hatten sich so viel Entlastung nicht vorgestellt“ - Medscape - 7. Okt 2015.
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