Der diesjährige Nobelpreis für Medizin oder Physiologie steht ganz im Zeichen der Parasitenforschung: Eine Hälfte des Preises geht an die chinesische Wissenschaftlerin Youyou Tu für ihre Forschung über Malaria, die in der Entwicklung des Medikamentes Artemisinin mündete. Die andere Hälfte teilen sich der gebürtige Ire William C. Campell und der Japaner Satoshi Omura. Sie werden für ihre Arbeit zur Therapie von Fadenwurm-Infektionen geehrt. Der von ihnen entwickelte Wirkstoff Avermectin ist unter anderem gegen Flussblindheit (Onchozerkose) und Elefantiasis (Filariose) wirksam [1].
„Diese zwei Entdeckungen haben die Menschheit mit wirkungsvollen Mitteln gegen diese kraftzehrenden Krankheiten ausgestattet, an denen jährlich hunderte Millionen Menschen erkranken“, heißt es in der Mitteilung des Nobelpreiskomitees. „Die Konsequenzen für eine verbesserte Gesundheit und die Linderung von Leiden sind unermesslich.“
Parasiten bedrohen Milliarden von Menschen
Parasiten bedrohen besonders in der Dritten Welt die Gesundheit und das Leben der Menschen. So leben etwa 40% der Weltbevölkerung in Malaria-Endemiegebieten. Dazu gehören Afrika südlich der Sahara, Asien, Mittel- und Südamerika.
Malaria wird durch verschiedene Plasmodium-Arten verursacht, die von Anopheles-Mücken übertragen werden. Diese einzelligen Parasiten befallen die Erythrozyten. Die gefährlichste Form, die Malaria tropica, verläuft oft tödlich. Rund eine halbe Million Menschen sterben jedes Jahr an der Krankheit, vor allem Kinder. Malaria ist auch die wichtigste nach Deutschland importierte Tropenkrankheit mit ca. 500 gemeldeten Fällen jährlich.
Ebenfalls im tropischen Afrika und Asien tritt die Elefantiasis auf. Die Erkrankung wird durch verschiedene Arten von Filarien verursacht. Diese Fadenwürmer gelangen durch Mücken in ihren Wirt. Die Filarien befallen das Lymphsystem und blockieren den Lymphabfluss. Dadurch kommt es zu Schwellungen, insbesondere in den Beinen und in den Hoden.
Ebenfalls zu den Fadenwürmern gehört der Erreger der Flussblindheit, Onchocera volvulus. Er ist vor allem im tropischen Afrika verbreitet, besonders in Westafrika, tritt aber auch in Mittel- und Südamerika auf. Überträger sind Kriebelmücken. Wandern die Erreger in die Augen, kann dies zur Erblindung führen – dies ist jährlich bei etwa einer Million Menschen der Fall.
Wirksame Mittel aus der Natur
Gegen diese parasitären Gesundheitsgefahren haben die Nobelpreisträger potente Wirkstoffe gefunden.
In den späten 1960er Jahren waren die Malaria-Erreger gegen die traditionell verwendeten Medikamente Chloroquin und Chinin in vielen Gebieten resistent geworden, so dass sich die Krankheit wieder verstärkt ausbreiten konnte. Ein neuer Wirkstoff wurde dringend benötigt.
Die chinesische Forscherin Tu testete zahlreiche Pflanzenextrakte an mit Malaria infizierten Tieren. Dabei wurde sie auf Artemisia annua aufmerksam, eine Beifußart. In der antiken chinesischen Literatur fand sie ein Verfahren, mit dem es ihr gelang, den später Artemisinin genannten Wirkstoff zu isolieren. Dessen hohe Wirksamkeit gegen die Malaria-Erreger konnte sie bei Tieren und Menschen nachweisen.
Durch Artemisinin konnte die Sterblichkeitsrate durch Malaria um mehr als 20% gesenkt werden, bei Kindern sogar um mehr als 30%. Allerdings gibt es mittlerweile auch gegen Artemisinin schon Resistenzen.
Die Entdeckung einer neuen Klasse von Wirkstoffen gegen Fadenwürmer und weitere Parasiten basiert auf Untersuchungen des Mikrobiologen Omura. Er isolierte und kultivierte neue Arten von Streptomyces, eine Gattung bodenlebender Bakterien, die dafür bekannt sind, antibakterielle Substanzen zu produzieren. Rund 50 der vielversprechendsten Kulturen wählte er für die weitere Forschung aus.
Der Parasitologe Campbell untersuchte diese Kulturen weiter. Er konnte zeigen, dass eine davon eine Substanz produzierte, die effektiv gegen Parasiten bei Tieren wirkte. Aus der Substanz, Avermectin, wurde durch chemische Modifikation das noch effektiver wirksame Ivermectin. Dieses zeigte sich nicht nur bei parasitären Infektionen bei Tieren, sondern auch beim Menschen effektiv.
Durch Ivermectin konnte die Inzidenz von Flussblindheit und Elefantiasis radikal gesenkt werden. „Die Behandlung ist so erfolgreich, dass diese Krankheiten kurz vor der Ausrottung stehen“, heißt es in der Mitteilung des Nobelpreiskomitees. „Dies wäre eine große Leistung in der Medizingeschichte der Menschheit.“
REFERENZEN:
1. Pressemitteilung des Nobelpreiskomitees, 5. Oktober 2015
Diesen Artikel so zitieren: Flussblindheit und Elefantiasis bald ausgerottet, deutlich weniger Malaria-Tote – Medizin-Nobelpreis für Parasitenforscher - Medscape - 6. Okt 2015.
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