Experten wollen Paradigmenwechsel: COPD oder Asthma? Egal – „es wird behandelt, was da ist“

Manuela Arand

Interessenkonflikte

6. Oktober 2015

Amsterdam – Es klingt ein bisschen nach  Palastrevolution: Statt sich an der Differenzialdiagnose zwischen Asthma und  COPD abzuarbeiten, sollen Patienten mit obstruktiver Atemwegserkrankung künftig  detailliert auf behandelbare Krankheitsaspekte (Treatable Traits) untersucht  und diese dann gezielt therapiert werden.

Im Kern gehe es darum, die  Behandlungsergebnisse vor allem bei der COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung) zu verbessern, erklärte Prof. Dr. Alvar Agusti, Direktor der Thoraxklinik  am Universitätsklinikum Barcelona, beim Kongress der European Respiratory  Society [1]. Erster Schritt müsse sein, das Problem genau zu definieren, das man  angehen will: „Die COPD  ist eine sehr komplexe und heterogene Erkrankung mit unterschiedlichen  Symptombildern, Exazerbationsrisiken, Begleiterkankungen – wir sollten aufhören, alles über  einen Kamm zu scheren.“

Statt sich primär an der  individuellen Symptomatik zu orientieren, also am Phänotyp der Erkrankung,  sollte die Therapie künftig vor allem Biomarker-gesteuert erfolgen, so der  Pneumologe. Biomarker können Zellen oder Moleküle sein, aber auch  Krankheitsphänomene wie etwa häufige Exazerbationen. Agusti ist überzeugt, dass  Biomarker eine präzisere Therapiesteuerung erlauben werden als Symptome und  deshalb auch ein besseres Outcome bringen werden.

 
Die COPD ist eine sehr komplexe und heterogene Erkrankung … wir sollten aufhören, alles über einen Kamm zu scheren. Prof. Dr. Alvar Agusti
 

Pragmatische Strategie für Atemwegserkrankungen

Die aktuelle GOLD (Global  Initiative on Chronic-Obstructive Lung Disease) Klassifikation habe bereits den  richtigen Weg eingeschlagen, weil sie die Patienten nicht mehr allein anhand  der Lungenfunktion stratifiziert, sondern auch Symptome und Exazerbationsrisiko  einbeziehe, meinte Agusti.

Mit ihrer Vierfeldertafel in 3  Dimensionen ist sie zum einen aber relativ kompliziert und in der Praxis nicht  ganz einfach zu handhaben. Zum anderen reicht das Modell nicht aus, um die  Krankheit im Einzelfall wirklich exakt zu beschreiben, weil eben doch viele  Details keinen Platz darin finden.

Agusti hat deshalb zusammen  mit 11 weiteren renommierten Pneumologen, darunter aus Deutschland Prof. Dr. Claus Vogelmeier, Chef der Pneumologie am Universitätsklinikum  Marburg, einen Vorschlag erarbeitet, wie Atemwegserkrankungen künftig  angegangen werden könnten. Wohlgemerkt Atemwegserkrankungen: Das Konzept geht  über die COPD allein hinaus.

 
Die Präsenz eines Phänotyps schließt einen zweiten nicht aus. Prof. Dr. Alvar Agusti
 

Grundlage ist die Erkenntnis,  dass die theoretisch so wohlgeordnete Welt der Phänotypen sich zwar wunderbar  für Forschungszwecke eignet, mit der klinischen Realität aber wenig gemein hat.  Die Natur trennt schließlich nicht sauber in Klasse A bis D. „Die Präsenz eines Phänotyps  schließt einen zweiten nicht aus“, formulierte es Agusti. Ein und  derselbe Patient kann Charakteristika mehrerer Phänotypen in sich vereinen.

Die Gruppe schlägt deshalb ein  pragmatisches Vorgehen vor: Zunächst sollte aufgrund von Anamnese, klinischer  Untersuchung, Spirometrie, vielleicht noch Messung von NO im Exhalat und  Eosinophilenzahl im Blut, eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass der  Patient tatsächlich eine Atemwegserkrankung hat.

Behandeln, was der Patient an Traits bietet

Dann beginnt die Suche nach  den Treatable Traits, wobei bisher 3 Tabellen vorliegen zu pulmonalen,  extrapulmonalen und Lebensstil-Charakteristika – spätere Erweiterung unbedingt  erwünscht. Es geht also keineswegs darum, sich Diagnostik zu ersparen. Die  strategische Ausrichtung soll sich ändern.

 
Es soll behandelt werden, was da ist. Wir glauben, dass dieses Konzept die Patientenversorgung verbessern wird. Prof. Dr. Alvar Agusti
 

Bei den pulmonalen Traits wird  zum Beispiel die Atemflusslimitierung aufgeführt und in obstruktive Ursache  oder Elastizitätsverlust des Lungenparenchyms unterschieden. Im ersten Fall  gelten lang wirksame Bronchodilatatoren als Therapie der ersten Wahl, einzeln  oder als LAMA/LABA-Kombination. Im zweiten Fall gilt Rauchstopp als zentrale  Maßnahme. In der zweiten Linie stehen Ausgleich eines Alpha-1-Antitrypsin-Mangels,  Lungentransplantation oder Lungenvolumenreduktion.

Als extrapulmonale  Charakteristika werden beispielsweise Adipositas, Dekonditionierung, Kachexie  oder Herzkreislaufleiden aufgeführt – mit entsprechenden Therapiemaßnahmen.  Beim Lebensstil steht naturgemäß das Rauchen auf der Liste, aber auch  Exposition gegen Allergene und Luftverschmutzung, Therapieadhärenz und  Inhalationstechnik.

Diverse Treatable Traits  können und werden wahrscheinlich in ein und demselben Patienten koexistieren: „Es soll behandelt werden, was da  ist“, so Agusti. „Wir  glauben, dass dieses Konzept die Patientenversorgung verbessern wird.“

Zunächst ist das Ganze als  Anregung und Diskussionsgrundlage gedacht. Das entsprechende Papier ist bereits  zur Veröffentlichung eingereicht.

 

REFERENZEN:

1. Jahreskongress der European Respiratory Society  (ERS), 26. bis 30. September 2015, Amsterdam

Kommentar

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