Umstritten: Viele Kassen zahlen Homöopathie, weil die Nachfrage danach steigt

Christian Beneker

Interessenkonflikte

5. Oktober 2015

Die TK tut es, die BARMER GEK tut es, sogar die meisten KVen tun es. Zwei Drittel aller Krankenkassen in Deutschland haben mit dem Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) Selektivverträge zur homöopathischen Versorgung geschlossen. Auch 12 Kassenärztliche Vereinigungen sitzen mit im Boot und haben mit einer Reihe von Kassen entsprechende Vereinbarungen.

Mit insgesamt rund 1.350 Vertragsärzten nimmt damit rund 1% aller Vertragsärzte an den Verträgen teil, so die DZVhÄ. Die Kooperation hat viele Kritiker. Ihr Einwand: Mit den Honoraren für die homöopathische Behandlung werde der Regelversorgung Geld für nachweislich unwirksame medizinische Prozeduren entzogen.

Die Verträge bezahlen vor allem die Zeit

Die Verträge zwischen den Kassen und dem Verband umfassen vor allem die Zeit des Arztes“, wie Christoph Trapp, Sprecher der DZVhÄ, zu Medscape Deutschland sagt. Tatsächlich erhalten die teilnehmenden Ärzte für die einstündige Erstanamnese, die vor allem aus dem Patientengespräch besteht, 90 Euro. Für die nachfolgende Repertorisation erhält der Homöopath noch einmal 30 Euro. In der Repertorisation werden die individuellen Symptome nach ihrer Wichtigkeit geordnet, um so die passenden homöopathischen Mittel zu finden. Zwei Folgeanamnesen von je einer halben Stunde und zusätzliche Beratungen von je 10 Minuten werden danach sogar noch extra vergütet. Das sind Honorare, von denen ein schulmedizinisch arbeitender Hausarzt nur träumen kann.

Die homöopathische Medikation indessen muss der Patient in der Regel selbst zahlen, oder er erhält das Geld über die Satzungsleistungen seiner Kasse zurück – vorausgesetzt, er hat mit ihr einen entsprechenden Vertrag geschlossen.

 
Wie die Krankenkassen diese (homöopathischen) Leistungen propagieren, hat mit Versorgung von Patienten nichts zu tun. Dr. Andreas Gassen
 

Wirksamkeit der Homöopathie umstritten

Tatsächlich ist die Wirksamkeit homöopathischer Arznei umstritten. Nach Angaben des Institutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sei der wissenschaftliche Beweis für die Wirksamkeit homöopathischer Arzneien nie erbracht worden“, wie die Sprecherin des IQWiG, Dr. Anna-Sabine Ernst, zu Medscape Deutschland sagt.

Aus Sicht des DZVhÄ sieht die Sache natürlich anders aus. „Die Studien, die die Wirksamkeit homöopatischer Medizin bestätigen, werden nach wie vor nicht zur Kenntnis genommen“, sagt Trapp. Tatsächlich ist belegt, dass die Wirkung homöopathischer Arznei deutlich über der von Placebos liegt.“

Die KVen sind dafür und dagegen

Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) kritisierte in einem Fernsehbeitrag von „Report Mainz“ denn auch die Ausgaben für die Homöopathie heftig: „Wie die Krankenkassen diese (homöopathischen) Leistungen propagieren, hat mit Versorgung von Patienten nichts zu tun“, sagte Gassen. Die Finanzmittel, die in solche Leistungen fließen, fehlten in der haus- und fachärztlichen Versorgung. Das Angebot der Krankenkassen sei aus seiner Sicht „ein reiner Werbegag“. Im Beitrag wurde sogar gemutmaßt, dass die Kosten für homöopathische Behandlungen die Krankenkassenbeiträge nach oben treiben könnten. Den Beleg blieben die Autoren aber schuldig.

Wie dem auch sei: Die Länder-KVen folgen dem Urteil des KBV-Chefs jedenfalls nicht. Im Gegenteil – 12 Länder-KVen haben mit zahlreichen Krankenkassen Verträge zur homöopathischen Versorgung abgeschlossen. Diese Zahl gibt der DZVhÄ an. So hat etwa die KV Niedersachsen unter anderem mit der IKK classic und einer Reihe von Betriebskrankenkassen entsprechende Verträge, wie Detlef Haffke, Sprecher der KV Niedersachsen bestätigt.

 
Immer mehr Patienten fragen in den Praxen nach ergänzenden Alternativen zur klassischen Schulmedizin nach. Detlef Haffke
 

Also: Kritik hin oder her – die Länder-KVen reagieren schlicht auf den Markt. So erklärt Haffke: Immer mehr Patienten fragen in den Praxen nach ergänzenden Alternativen zur klassischen Schulmedizin nach. Die Qualifikation von Ärztinnen und Ärzte verbindet zunehmend die Schulmedizin mit der Naturheilkunde und mit Elementen der homöopatischen Behandlung. Die Nachfragesituation besteht also auf beiden Seiten. Daher hat sich die KVN entschlossen, die beiden Verträge mit der IKK classic und den BKKen abzuschließen.“

Zwar hat Gassen die homöopathische Medizin hart kritisiert, sieht aber keinen Anlass, bei den Länder-KVen wegen solcher Werbegags“ nachzufragen. Es gebe von Seiten der KBV derzeit keine Kontakte zum Thema mit den Länder-KVen, hieß es auf Nachfrage von Medscape Deutschland.

Auch die Kassen reagieren auf den Markt

Die Kassen stoßen ins gleiche Horn wie die KVen und orientieren sich an den Kunden. Wir erleben, dass unsere Versicherten alternative Behandlungsmethoden immer stärker nachfragen“, so Daniel Freudenreich, Sprecher der BARMER GEK auf Anfrage. Die Kasse habe bereits seit 2011 einen Vertrag nach §73c SGB V mit dem DZVhÄ. Natürlich wisse man um die wissenschaftliche Diskussion der Wirksamkeit von Homöopathie. Wir erleben aber immer wieder, dass Versicherte auch von ihren Heilerfolgen berichten.“ Die IKK classis teilt mit: Mit der Vertragsregelung kommen wir einem in der Versichertengemeinschaft breit vorhandenen Bedürfnis entgegen.“

Ebenso die Techniker Krankenkasse (TK) – sie will es aber offenbar genauer wissen. Auch die TK ist mit dem DZVhÄ vertraglich verbunden. Zwar erstatten wir keine Globuli. Aber auch wir zahlen zum Beispiel das homöopathische Anamnesegespräch“, so Hermann Bärenfänger, Pressereferent der TK in Hamburg. Wir wollen außerdem wissen, ob sich das homöopathische Setting bewährt.“ Derzeit evaluiere die Berliner Charité das Engagement der TK in der homöopathischen Medizin. Wir wollen sehen, ob sich sogar ein Einsparpotential ergibt", so Bärenfänger. „2016 erwarten wir die ersten Zahlen.“

 

Kommentar

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