
Dr. Milena Sant
Wien – Auch wenn sich die Überlebensraten bei Krebserkrankungen in Europa in den letzten Jahren insgesamt verbessert haben, gibt es beträchtliche Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern und Regionen – besonders für hämato-onkologische Erkrankungen.
Dies machen die aktuellen Analysen der EUROCARE-5-Studie deutlich, die Dr. Milena Sant, Fondazione IRCCS am nationalen Tumorzentrum in Mailand, auf der Presidential Session beim ECC Kongress in Wien präsentiert hat [1]. Vor allem in Osteuropa sind nach diesen Daten die Überlebensraten besonders niedrig – ein Trend, der auch schon in früheren EUROCARE Analysen zu sehen war.
EUROCARE 5 sammelt seit den späten 90er Jahren die Daten von Krebspatienten aus 30 europäischen Ländern. Die aktuelle Analyse umfasst 10 Millionen Patienten, die zwischen 1995 und 2007 diagnostiziert und bis mindestens 2008 weiter beobachtet worden sind. Die Analyse ist zeitgleich mit der Präsentation im European Journal of Cancer als Serie von 13 Artikeln, die verschiedene Aspekte auswerten, publiziert worden. EUROCARE wird durch die Partnerschaft zweier italienischer Forschungseinrichtungen und einem Netzwerk von über 100 Krebsregistern in Europa ermöglicht.
Höchster Anstieg in den Überlebensraten bei CML, Prostata- und Rektumkarzinom
Die Wahrscheinlichkeit eine Krebserkrankung mindestens 5 Jahre zu überleben, hat in den letzten Jahren quer über Europa für alle Tumorentitäten kontinuierlich zugenommen, berichtete Sant. „Die höchsten Anstiege im Fünfjahres-Überleben zwischen den Zeiträumen 1999 bis 2001 und 2005 bis 2007 haben wir bei der chronisch myeloischen Leukämie gesehen: Die Überlebensraten sind von 32 auf 54 Prozent gestiegen.“ Ebenfalls eine sehr positive Entwicklung gab es beim Prostatakarzinom mit einem Anstieg von 73 auf 82% und beim Rektumkarzinom von 52 auf 58% im 5-Jahres-Überleben.
Aber bei den hämato-onkologischen Krebserkrankungen wie der CML, den lymphatischen Leukämien, Non-Hodgkin-Lymphomen und dem multiplen Myelom – also Erkrankungen, bei denen sich in den letzten Jahren die Therapie deutlich weiter entwickelt hat – sind auch die Unterschiede zwischen den Ländern zum Teil groß.
CML: F ünf-Jahres-Überleben reicht je nach Region von 22 bis 72 Prozent
Exemplarisch für eine Erkrankung mit besonders hoher Schwankungsbreite in der Prognose zeigte Sant die Daten zur chronisch myeloischen Leukämie (CML): Hier überlebt über alle osteuropäischen Länder gesehen nur jeder dritte Patient mindestens 5 Jahre, am allerschlechtesten schneidet Lettland mit einem relativen 5-Jahresüberleben von 22,1% ab. In Zentraleuropa dagegen überleben im Schnitt 57,8% der CML-Patienten 5 Jahre. Absoluter Spitzenreiter ist Frankreich mit einer Rate von 71,7% – Deutschland liegt nach dieser Analyse mit rund 55% unter den zentral- und nordeuropäischen Staaten eher im unteren Mittelfeld, was die Prognose von CML-Patienten angeht.
Betrachtet man einige solide Tumoren, so überleben nach den EUROCARE-Daten im europäischen Schnitt
• beim Melanom 83% der Patienten 5 Jahre (74% in Ost- und in 88% Nordeuropa),
• beim Prostatakarzinom ebenfalls 83% (72% in Ost- und 88% in Zentraleuropa),
• beim Mammakarzinom 82% (74% in Ost- und 85% in Nordeuropa),
• beim Kolonkarzinom 57% (49% in Ost-, 61% Zentraleuropa) und
• beim Rektumkarzinom 56% (45% in Ost-; 60% in Zentraleuropa).
Nicht überraschend sind die Schwankungen bei Krebserkrankungen mit besonders guter oder besonders schlechter Prognose am geringsten. Die beste Prognose unter den hämato-onkologischen Erkrankungen – und die geringste Schwankungsbreite – hat das Hodgkin-Lymphom: Im Schnitt überleben 81% der Patienten 5 Jahre; in Osteuropa beträgt die Rate 74,3% in Nordeuropa ist sie mit 85% am höchsten. Eine nach wie vor schlechte Prognose (und geringe Schwankungen) über Gesamteuropa haben:
• Bronchialkarzinome mit 13% 5-Jahres-Überleben,
• Ovarialkarzinome mit 38%,
• Magenkarzinome mit 25%,
• Pankreaskarzinome mit 7%,
• Speiseröhrenkrebs mit 12% und
• Hirntumore mit 20%.
Korrelation der Krebs-Überlebensraten mit den Gesundheitsausgaben
Interessant ist, dass neben den osteuropäischen Ländern auch Dänemark und Großbritannien schlechter abschneiden als ihre Nachbarländer. Sant und ihre Kollegen haben die Überlebensraten mit dem Bruttoinlandsprodukt und den Gesundheitsausgaben der jeweiligen Länder korreliert und fanden dabei einen engen Zusammenhang: Je höher die Ausgaben umso besser die Prognose der Krebspatienten im jeweiligen Land. Auch hier machten Dänemark und Großbritannien allerdings eine laut Sant unerklärliche Ausnahme und schneiden schlechter ab als es ihren Gesundheitsausgaben entspricht.
Und die Konsequenz aus diesen Daten? Aufzudecken, in welchen Regionen die Prognose der Patienten besonders schlecht ist, ist laut Sant nur der erste Schritt. Der nächste müsse sein, die Defizite genauer zu analysieren und – wenn möglich – zu beseitigen.
Dies sei auch eine Frage des Geldes und einer ausreichenden Finanzierung der Gesundheitssysteme. Prof. Dr. Peter Naredi, wissenschaftlicher Kovorsitzender des ECC 2015, pflichtet ihr bei: „Was Dr. Sant und ihr Team auch deutlich aufzeigen ist, dass ein verbessertes Überleben ohne entsprechende Mittel für das Gesundheitssystem nicht möglich ist.“
Regionale Screening-Maßnahmen können die Ergebnisse beeinflussen

Prof. Dr. Martine Piccart
Allerdings warnte Prof. Dr. Martine Piccart, Präsidentin der European CanCer Organisation (ECCO), Freie Universität Brüssel, Belgien, bei einer Pressekonferenz auch vor einer Überinterpretation der Daten. „Ich halte diese großen Unterschiede zwischen den verschiedenen europäischen Ländern in Bezug auf die Chancen, eine Krebserkrankung fünf Jahre zu überleben, für besorgniserregend“, sagte sie. „Und ich möchte betonen, wie unglaublich wichtig diese Krebsregister sind – aber sie werden in vielen Ländern nicht angemessen finanziell unterstützt. So sind die gesammelten Daten auch oft nicht ausreichend zwischen den einzelnen Krebsregistern standardisiert.“
Dies erschwere es, den Ursachen für die Unterschiede im Detail nachzugehen. Zumindest, so betonte sie ebenso wie Sant bei der Pressekonferenz, seien auch Unterschiede in der Biologie der Erkrankung oder dem Vorgehen bei Screening und Diagnose zu berücksichtigen. Beim Mamma-, Prostata- oder Kolorektalkarzinom etwa können regional implementierte Screening-Maßnahmen dazu führen, dass dort deutlich mehr Karzinome in einem sehr frühen und gut behandelbaren Stadium entdeckt werden.
REFERENZEN:
1. The European Cancer Congress (ECC) 2015, 25. bis 29. September 2015, Wien
Diesen Artikel so zitieren: Ein gar nicht so kleiner Unterschied – EUROCARE zeigt beträchtliche Differenzen für die Länder Europas in den Krebs-Überlebensraten - Medscape - 29. Sep 2015.
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