Erfolgversprechende Strategie beim metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom: Vom Wirkstoff-Hersteller ausgebremst

Sonja Boehm

Interessenkonflikte

26. September 2015

Prof. Dr. Silke Gillessen

Wien – Für Männer mit einem metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom könnte eine „Switch-Maintenance“-Therapie mit einer Anti-Testosteronstrategie, die früher als bislang üblich einsetzt – nämlich nicht erst bei Progression nach Docetaxel, sondern als Erhaltungstherapie nach erfolgreicher Chemotherapie – möglicherweise von sehr deutlichem Vorteil sein. Das progressionsfreie Überleben konnte in einer placebo-kontrollierten doppelblinden Phase-3-Studie der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK) dadurch signifikant verlängert werden.

„Es ist die erste Präsentation einer Studie, die diesen Ansatz beim kastrationsresistenten Prostatakrebs untersucht“, betonte Prof. Dr. Silke Gillessen, Kantonsspital St. Gallen, die die Studie für die SAKK aktuell beim europäischen Krebskongress in Wien vorgestellt hat [1].

Orteronel wird nicht mehr weiter entwickelt

Allerdings: Klinische Konsequenzen wird dieses Ergebnis vorerst nicht haben – und auch der endgültige Nachweis des Nutzens dieses Vorgehens an größeren Patientenzahlen bleibt erst noch offen.  Denn der in der Studie eingesetzte Wirkstoff Orteronel, ein CYP-17-Hemmer, der ähnlich wie Abirateron wirkt, wird nicht mehr weiter entwickelt. Das Unternehmen Takeda hatte sich im Juni 2014 entschlossen, das Studienprogramm mit dem Hemmstoff des Enzyms 17,20-Lyase einzustellen. Denn in einer großen Phase-3-Studie hatte Orteronel (TAK-700) bei Männern mit kastrationsresistentem metastasiertem Prostatakarzinom ohne  Chemotherapie zwar das progressionsfreie Intervall verlängert – nicht aber den Endpunkt des Gesamtüberlebens, was mit ähnlichen Wirkstoffen wie Abirateron bereits gelungen war.

Trotzdem sei die Schweizer Studie von großer Bedeutung, betonte auch Prof. Dr. Christoph Zielinski, Mitglied des Executive Boards der European Society for Medical Oncology (ESMO) und lokaler Kongressvorsitzender, bei der ersten Pressekonferenz des Kongresses. Denn die untersuchte Fragestellung ist sehr relevant.

 
Es ist die erste Präsentation einer Studie, die diesen Ansatz beim kastrationsresistenten Prostatakrebs untersucht. Prof. Dr. Silke Gillessen
 

Das Problem sei, dass mit Docetaxel zwar die metastasierte Tumorerkrankung sehr häufig zunächst kontrolliert werden könne, diese dann aber nach dem Absetzen der Chemotherapie doch oft relativ schnell progredient sei, berichtete Gillessen. „Für das ähnlich wirkende Abirateron konnte gezeigt werden, dass es in der Situation von einer Progression nach Docetaxel wirksam ist und auch als Erstlinientherapie vor Docetaxel“, erläuterte sie. Mit den neuen hormonellen Therapien wie Abirateron aber auch Enzatulamid überlebten Männer, die nicht mehr auf die Standardhormontherapie ansprachen, länger.

Konzept der Erhaltungstherapie hat sich bei anderen Tumorerkrankungen bewährt

Die Hypothese der Schweizer Arbeitsgemeinschaft war nun, dass ein noch früherer Einsatz der Anti-Testosteronstrategie – noch vor der Progression – die Zeit der stabilen Krankheitssituation verlängern könnte. Denn bislang werden diese Wirkstoffe erst bei erneuter Progression eingesetzt. Ein solches Konzept der Erhaltungstherapie direkt nach Chemo hat sich aber bei anderen malignen Erkrankungen bereits bewährt. Orteronel erschien als geeigneter Kandidat, sagte Gillessen im Gespräch mit Medscape Deutschland, denn es sei einfach als Tablette einzunehmen und werde von den meisten Männern gut vertragen.

Kalkuliert hatten die Schweizer Wissenschaftler, dass sie für ihre randomisierte doppelblinde Multicenterstudie pro Studienarm 96 Studienteilnehmer benötigen. Die Männer mussten auf die Chemotherapie angesprochen haben und erhielten dann direkt im Anschluss entweder Orteronel oder Placebo (jeweils mit bestmöglicher Supportivtherapie). Nach Einschluss von nur 23 Patienten im Orteronel- und 24 im Vergleichsarm war dann jedoch Schluss – die Rekrutierung musste vorzeitig wegen des Entschlusses der Pharmafirma beendet werden.

Doch auch die Auswertung der nur 47 bis dahin rekrutierten Patienten ergab einen eindeutigen Vorteil der Erhaltungstherapie im primären Endpunkt „ereignis-freies Überleben“ (Event Free Survival, EFS). Als Ereignisse zählten dabei: Tod oder mindestens 2 Zeichen der Progression, z.B. radiologisch, klinisch oder auffälliger PSA-Wert. Gillessen: „Trotz der wenigen Patienten war der Unterschied so groß, dass er statistisch signifikant war.“

 
Trotz der wenigen Patienten war der Unterschied so groß, dass er statistisch signifikant war. Prof. Dr. Silke Gillessen
 

Die mediane Zeit bis zu einem dieser Ereignisse betrug nur 2,9 Monate in der Kontrollgruppe, aber 8,5 Monate unter der Orteronel-Behandlung (p = 0,001). Die Behandlung wurde nach Angaben der Onkologin dabei gut vertragen.

Dies bedeutet, dass damit zwar nun ein Erfolg versprechendes Konzept gefunden ist, mit dem sich die Behandlung von Männern mit kastrationsresistentem Prostatakarzinom eventuell deutlich verbessern ließe – doch derzeit kann dieses neue Konzept nicht weiter geprüft werden. „Wir sollten das Konzept der „Switch-Maintenance“-Therapie mit einem anderen Wirkstoff dieser Gruppe oder einer anderen wirksamen Therapie weiter verfolgen“, bekräftigte Gillessen. Weitere Studien seien notwendig, um herauszufinden, ob sich durch die Therapie auch eine Lebensverlängerung und/oder eine bessere Lebensqualität erreichen lassen.

Auf der Suche nach neuen Partnern

„Wir sind nun dabei neue Partner zu suchen“, berichtete sie. Der Hersteller des naheliegenden Wirkstoffes Abirateron hat aber bereits abgewunken. Dort hat man kein Interesse.

Zielinski bemängelte auf der Pressekonferenz „die schlecht entwickelte Landschaft der Studienunterstützung in Europa“, die darin resultiere, dass man hier für klinische Studien in der Regel auf die Kooperation mit der pharmazeutischen Industrie angewiesen sei und unabhängige Studien kaum möglich seien. Auch Prof. Dr. Dirk Schadendorf, Leiter des Hauttumorzentrums in Essen, kommentierte, dass solche Gegebenheiten oft „schwer zu akzeptieren“ seien. So sei oft schon allein der Zugang zu einer Prüfsubstanz für eine unabhängige Studie schwierig. Studiengruppen in den USA würden, etwa durch die NIH (National Institutes of Health), da oft deutlich besser unterstützt.

 

REFERENZEN:

1. The European Cancer Congress (ECC) 25. bis 29. September 2015, Wien

Kommentar

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