Urologen im Zwiespalt beim Aufklären: Was bedeutet die Assoziation zwischen Vasektomie und Prostatakrebs?

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

25. September 2015

Hamburg – Vor der Aufklärung von Männern, die eine Sterilisation wünschen, stehen Ärzte vor einem Dilemma. Denn die Frage „Erhöht eine Vasektomie nun das Prostatakrebs-Risiko oder nicht?“, können sie letztendlich nicht beantworten: „Die Studienlage ist widersprüchlich und es steht nicht zu erwarten, dass sich das bald ändert“, räumte Dr. Christian Leiber, Sektionsleiter der Andrologie am Universitätsklinikum Freiburg auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) in Hamburg ein [1].

Als er 1995 als Urologe angefangen habe zu arbeiten, gab es noch Aufklärungsbögen mit dem Hinweis, eine Sterilisation erhöhe das Krebsrisiko. In den Jahren um 2000 verschwand der Passus wieder, denn ein systematischer Review kam 1998 zu dem Schluss: Es gibt keine Assoziation. Die Guidelines on Prostate Cancer, aktualisiert im März 2015, halten fest: Kein Hinweise auf ein mögliches Risiko für die Entwicklung eines Prostatakarzinoms nach einer Vasoresektion“. Aber die aktuelle S-3 Leitlinie Prostatakarzinom vom Oktober 2014 klingt schon vorsichtiger: „Die Ergebnisse einer Metaanalyse zur Korrelation zwischen Vasektomie und Prostatakarzinom sind inkonsistent und nicht ausreichend, um eine hinreichend positive Korrelation festzustellen.“

„Ein Patient, der sich sterilisieren lassen möchte, bekommt diese neueste Fassung des Aufklärungsbogens zu lesen. Stellen Sie sich darauf ein: Steht da ein solcher Satz, wird jeder Patient das Thema ansprechen“, sagt Leiber voraus. Spricht aber ein Patient das Thema nicht selbst an ,,würde ich denjenigen nicht explizit darauf hinweisen. Man kann den Patienten auch beunruhigen und ich finde, die bisherige Datenlage rechtfertigt das nicht“, so die Strategieempfehlung des Urologen. Das beschreibt, in welchem Zwiespalt sich die Berater im Moment befinden.

 
Stellen Sie sich darauf ein: Steht da ein solcher Satz, wird jeder Patient das Thema (Krebs nach Vasektomie) ansprechen. Dr. Christian Leiber
 

Vasektomie und Prostatakrebs: Auf und Ab der Risikobewertung

Die Lage ist so verzwickt, weil gerade aktuelle Studien widersprüchliche Ergebnisse liefern: Im vergangenen Sommer hatte die Arbeit von Dr. Lorelei A. Mucci und ihrem Epidemiologen-Team von der Harvard Universität in Boston eine Assoziation zwischen Vasektomie und Prostatakrebs entdeckt, die gerade bei den High-grade-Karzinomen besonders deutlich ausfiel. Keinen Zusammenhang fand hingegen eine Metaanalyse von Andrologen und Urologen aus Guangzhou in China erst im Sommer diesen Jahres.

Auch eine Berücksichtigung des Zeitfaktors bringt keine Klarheit. So zeigen manche Studien eine erhöhte Inzidenz von Prostatakarzinomen (PCA) bei vasektomierten Patienten im Laufe von Jahrzehnten. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2002 etwa ermittelte auf Basis von 22 Studien eine Zunahme des PCA-Risikos um 7% nach 10 Jahren und um 23% nach 30 Jahren. Mehrere Nachfolgestudien haben das allerdings nicht bestätigen können. Die wahrscheinlichste Erklärung ist wohl ein Entdeckungsbias: Vasektomierte Männer gehen häufiger zum Urologen, der Krebs wird früher erkannt.

Die Ergebnisse er letztjährigen Studie aus Harvard zwingen jetzt aber, so Leiber, zu einer Änderung des Passus in den neuen Aufklärungsbögen zur Vasektomie. Die soll so aussehen: „Einige wissenschaftliche Untersuchungen deuten darauf hin, das nach Sterilisation möglicherweise ein geringgradig erhöhtes Risiko bestehen könnte, an Prostatakrebs zu erkranken. Eine sichere Aussage über die eventuelle Prostatakrebs-Disposition ist derzeit noch nicht möglich.“

 
Man kann den Patienten auch beunruhigen und ich finde, die bisherige Datenlage rechtfertigt das nicht. Dr. Christian Leiber
 

Ziemlich viel Wenn und Aber, jedoch: „Wir müssen uns darauf einstellen, diesen Punkt mit unseren Patienten wieder zu besprechen. Deshalb ist es wichtig, die entsprechende Literatur zu kennen und auch zu wissen, dass die Ergebnisse – aus meiner Sicht – eher höchst fraglich sind“, machte Leiber deutlich.

Erhöht die Vasektomie nur das Risiko für aggressive Krebsformen?

Das Team um Mucci hatte 49.405 US-Amerikaner über 24 Jahre (1986 bis 2010) hinweg untersucht. „Dieses Follow up ist sicherlich das längste, das bislang zu diesem Thema publiziert worden ist“, so Leiber. Daher auch das Gewicht der Arbeit für die Beratung. 25% des Patientenkollektivs – 12.351 Männer – waren sterilisiert. Während des Follow-ups wurden 6.023 Patienten mit PCA diagnostiziert, 811 Patienten starben daran. Im Ergebnis war die Wahrscheinlichkeit für vasektomierte Männer, ein PCA zu entwickeln, um 10% höher (RR: 1,10; 95%-Konfidenzintervall: 1,04–1,17). „Schaut man sich die Gesamtkohorte an, ist das relative Risiko minimal erhöht. Das wäre statistisch kaum signifikant, damit könnten wir leben“, so Leiber.

Interessanter fielen schon die Analysen der Subgruppen aus. „Die Subgruppen-Analysen werfen aber auch einige Fragen auf“, so Leiber. Während Männer nach Sterilisation nicht häufiger an einem Low-Grade-Tumor erkrankten, war das Risiko für High-Grade-Karzinome um 22% erhöht (RR:1,22; 95%-KI:1,03–1,45).  

Paradox findet Leiber das Ergebnis der Analyse einer weiteren Subgruppe, nämlich derjenigen, die sich nach Vasektomie regelmäßig ein PSA-Screening unterzogen: Für sie lag die Wahrscheinlichkeit, dass das Prostatakarzinom letal verlief, um 56% höher (RR: 1,56; 95%-KI: 1,03–2,36). „Im Umkehrschluss würde das bedeuten, dass wir den sterilisierten Männern sagen: Lass‘ bloß nicht Deinen PSA-Wert messen!“ Ein solches Ergebnis werfe schon die Frage auf, wie das wohl zustande kam, betonte Leiber. „Ich denke, da spielen – trotz der Bemühungen der Forscher, einige Faktoren heraus zu rechnen – noch einige andere Punkte eine Rolle.“

 
Deshalb ist es wichtig, die entsprechende Literatur zu kennen und auch zu wissen, dass die Ergebnisse eher höchst fraglich sind. Dr. Christian Leiber
 

Wo ist der kausale Zusammenhang?

„Für mich ist die Frage nach dem Zusammenhang der Dreh- und Angelpunkt der Studie“, so Leiber. Der Anteil, den der Nebenhoden an der Produktion des Gesamtejakulates habe, liege gerade mal bei 5%. Könne der alleinige Wegfall der 3 Substanzen L-Carnitin, Glycerophosphocholin und Alpha Glucosidase wirklich kanzerogen wirken? Leiber zweifelt „Ich halte das für ausgesprochen fraglich.“

Biopsien nach Vasektomie belegen allerdings, dass es zu einer interstitiellen Fibrose kommt. Die soll auch der Grund dafür sein, weshalb eine operative Revision der Vasektomie die Fertilität häufig nicht wieder herstellen kann. Ob die Fibrose oder Entzündungsparameter eine Karzinomentstehung begünstigen könnten, ist aber unklar. Ebenso ist umstritten, ob es über die Sterilisation hinaus zu hormonellen Veränderungen kommt, die negative Auswirkungen auf das Prostatagewebe haben könnten.

Einige Proteine sind nach Vasektomie immerhin hochreguliert, andere herunterreguliert und wieder andere gehen verloren. Eine Arbeit von 2011 konnte nachweisen, dass die Expression des Transformining growth factors beta (TGF B I und II) im Vergleich zu nicht sterilisierten Männern vermindert ist. Diese TGF-Beta-Downregulation könnte ein relevanter Schritt in der PCA-Entwicklung sein – darauf deutete die Arbeit von 2007 hin. Es gebe dazu allerdings keine Folgearbeiten, so Leiber. „Insofern ist das für mich ein eher schwacher Zusammenhang, der das Phänomen noch nicht richtig erklärt.“

 

REFERENZEN:

1. 67. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU), 23. bis .26. September 2015, Hamburg

Kommentar

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