Falscher Alarm: Erhöhte Troponin-Werte nach Extremsport können Infarkt vortäuschen

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

24. September 2015

Wenn Ärzte in der Notaufnahme erhöhte Troponin-I-Werte feststellen, deutet das nicht zwangsläufig auf ein kardiales Ereignis hin. Denn nach extremen Ausdauerleistungen wie einem Marathonlauf oder einem Triathlon können auch bei gesunden Menschen Biomarker wie Troponin, BNP oder D-Dimere zeitweise erhöht sein und einen Herzinfarkt oder eine Lungenembolie vortäuschen. Das bestätigen Forscher am Deutschen Zentrum für Herz-Kreislaufforschung (DZHK), die in einer Metaanalyse 45 Beobachtungsstudien zu Biomarkern nach Ausdauersport untersucht haben. Die Arbeit wurde im Journal of Clinical Chemistry publiziert [1].

Prof. Dr. Martin Halle

Das bestätigt auch die Erfahrung von Sportmedizinern. „Nach einem Marathon reagiert jeder Sportler mit erhöhten Troponin-Werten“, sagt Prof. Dr. Martin Halle, Ärztlicher Leiter am Zentrum für Prävention und Sportmedizin der TU München, im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Je länger die Belastung andauert, desto merklicher die Erhöhung.“ Und auch Studienautor Dr. Farbod Sedaghat-Hamedani vom Universitätsklinikum Heidelberg, erklärt: „Nach extremer sportlicher Betätigung sind bei den meisten Menschen die Herzinfarkt-Biomarker erhöht, ohne dass die Personen einen Infarkt haben.“

Für die Studie machten sich Sedaghat-Hamedani und sein Team zunutze, dass nach einem Marathon im Schnitt rund 25 von 1.000 Läufern medizinisch versorgt werden müssen, meist aufgrund von Flüssigkeitsmangel oder Überbelastung. Routinemäßig untersuchten die Ärzte bei den Sportlern auch Blutwerte, die auf einen Myokardinfarkt oder eine Lungenembolie hindeuten. Die Metaanalyse des DZHK, in der Studien zu Extremsport und kardialen Markern von 1997 bis 2014 untersucht wurden, ergab eine Erhöhung der kardialen Troponin T-Werte über den Cut-Off-Wert von 0,01 ng/ml bei 51% aller Sportler nach einem Extremsport-Event.

„Nur in sehr seltenen Fällen kommt es bei Extremsportlern tatsächlich zu einem Herzinfarkt“, sagt Sedaghat-Hamedani. Zudem zeigten die analysierten Studien auch statistisch signifikante Anstiege von BNP und NT-proBNP, beides Marker für akute und chronische Herzinsuffizienz, sowie einen Anstieg der D-Dimere, die auf eine Lungenembolie hinweisen können.

Nur physiologische oder doch pathologische Veränderungen?

Offen ist, wie Halle einräumte, warum mache Sportler mit extrem hohen Werten auf die Belastung reagieren. Das könne sowohl auf genetische Faktoren als auch auf den Trainingszustand oder andere Parameter zurückzuführen sein. „Wir wissen bisher nicht, ob diese Biomarker-Erhöhung nicht doch pathologische Ursachen hat“, gibt der Sportmediziner und Kardiologe zu bedenken.

 
Nach einem Marathon reagiert jeder Sportler mit erhöhten Troponin-Werten. Prof. Dr. Martin Halle
 

Kardiales Troponin I und Troponin T sind Eiweißstoffe, die normalerweise nur bei Schädigungen des Herzmuskels ins Blut freigesetzt werden. Hohe Blutkonzentrationen weisen daher auf einen Myokardinfarkt hin. Sedaghat-Hamedani und seine Kollegen vermuten, dass extreme sportliche Anstrengungen eine erhöhte Permeabilität der Kardiomyozyten zur Folge haben könnte, wodurch kardiales Troponin T und Troponin I freigesetzt werde. „Diese reversible Membran-Durchlässigkeit kann durch mechanischen Stress für die Kardiomyozyten, eine Überzahl freier Radikale, erhöhte Körpertemperatur oder anhaltende Übersäuerung verursacht werden“, schreiben sie.

Halles Team an der TU München hatte 2011 erhöhte kardiale Biomarker bei Marathonläufern festgestellt, die nach 72 Stunden wieder auf die normalen Werte abfielen. Diese Studie der TU München war ebenfalls Teil der Metaanalyse des DZHK, einem Zusammenschluss von 28 Einrichtungen an 7 Standorten. Jedoch, erklärt Halle, würde kaum jemand, der einen Patienten mit erhöhten Infarktmarkern behandelt, 3 Tage lang bis zum Abfall der Troponin-Werte warten, sondern auch Sportler mit thorakalen Beschwerden und erhöhten Biomarkern meist unverzüglicher einer Herzkatheter-Untersuchung unterziehen, um einen Infarkt auszuschließen.

Nicht zu früh invasive Koronarangigrafien vornehmen

Studienautor Dr. Benjamin Meder vom Universitätsklinikum Heidelberg mahnt jedoch zur Vorsicht vor vorschnellen Katheteruntersuchungen und empfiehlt seinen Kollegen in der Klinik bei erhöhten Infarktwerten oder Markern einer Lungenembolie immer eine extreme sportliche Anstrengung als Auslöser des Anstiegs in Betracht zu ziehen und erhöhte kardiale Marker akkurat zu interpretieren.

In einem Selbstversuch hat Meder gemeinsam mit 2 Kollegen am Heidelberg Heartbreak Triathlon teilgenommen und nach dem Rennen erhöhte Troponinwerte festgestellt. „Die Werte entsprechen dem, was wir in unserer Meta-Analyse gefunden haben“, berichtet der Sportler und Kardiologe. „Wäre ich nach dem Rennen mit Beschwerden in eine Notaufnahme gekommen, hätte man wohl einen Herzinfarkt vermutet.“    

 
Wir wissen bisher nicht, ob diese Biomarker-Erhöhung nicht doch pathologische Ursachen hat. Prof. Dr. Martin Halle
 

Das Autorenteam schlägt serielle Troponintests vor, um zwischen physiologischen und pathologischen Veränderungen zu unterscheiden. Künftig, so Sedaghat-Hamedani und seine Kollegen, können möglicherweise auch neue Biomarker wie microRNAs helfen, eine pathologische Verletzung des Myokards auszuschließen.

Man müsse, sagt Halle, für Ausdauersportler, die mit erhöhten Werten und Symptomatik in die Notaufnahme kämen, einen eigenen Algorithmus entwickeln, der jedoch für ältere und jüngere Sportler unterschiedlich ausfiele. „Kommt ein 65-Jähriger nach einem Marathonlauf mit thorakalen Beschwerden und erhöhten Troponin-Werten in die Notaufnahme, würde niemand auf einen zweiten Troponin-Wert warten“, sagt Halle. Bei einem 35-Jährigen dagegen, von dem etwa vorherige unauffällige EKG-Daten vorliegen, „lehnt man sich vielleicht eher zurück“.

Per se geht Halle jedoch eher von einer Veränderung des Herzens durch Extremsport aus, die zu Überbelastungen führen kann. „Ich glaube, dass sich diese Hypothese verfestigen wird“, sagt er. „Das würde die gesundheitsfördernde Bedeutung eines Marathonlaufs in ein anderes Licht rücken.“ Daher empfiehlt er seinen Patienten zur Reduzierung des Herz-Kreislauf-Risikos auch eher einen 10-Kilometer-Lauf.

 

REFERENZEN:

1. Sedaghat-Hamedani F, et al: Clin Chem (online) 3. August 2015

Kommentar

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