
Prof. Dr. Silvio Inzucchi
Stockholm – Mehrere Runden spontanen Applaus gab es auf dem EASD-Kongress in Stockholm für Prof. Dr. Silvio Inzucchi. Er war der Mann der Stunde, der die dort bejubelten Ergebnisse der EMPA-REG OUTCOME-Studie vorstellen durfte [1]. Der SGLT-2-Inhibitor Empaglifozin (Jardiance®, Boehringer Ingelheim/Eli Lilly), verhinderte einen von 3 kardiovaskulären Todesfällen bei diabetischen Hochrisikopatienten.
Dass die Studie, die zeitgleich im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, einschlug wie eine Bombe, hat mehrere Gründe. Es handelt sich um die erste kardiovaskuläre Sicherheitsstudie eines Natrium-Glukose-Kotransporter-2-Hemmers gemäß den neuen FDA-Anforderungen, und erstmals zeigte überhaupt ein Antidiabetikum in Sachen kardiovaskuläre Mortalität Überlegenheit. Denn das Outcome war nicht „nur“ ebenbürtig unter der Zusatztherapie mit Empagliflozin im Vergleich zu Placebo, sondern signifikant besser – wenn auch knapp.
„Das passiert zum ersten Mal in meinem Leben, dass eine Studie für ein Diabetesmittel ein besseres Outcome in einer kardiovaskulären Hochrisikogruppe belegt“, so Inzucchi, Chefarzt am Yale Diabetes Center in New Haven in Conneticut, USA, gegenüber Medscape Medical News . Damit nicht genug. Der Vorsprung zum Placebo zeigte sich auch sehr früh, bereits innerhalb von 3 Monaten. „Ich kenne keine andere Therapie, bei der das so ist“, sagte der Seniorautor der Studie.
Vor allem geben die Ergebnisse Stoff zum Nachdenken über neue Wirkprinzipien. Denn eigentlich verstehen die Forscher die Ergebnisse nicht, wie auch Inzucchi einräumt: Es sei vermutlich keine rein anti-atherosklerotische Wirkung. „Sonst hätte man auch einen Effekt bei den Herzinfarkten und beim Schlaganfall sehen müssen.“
„Es könnte sein, dass wir die letzten 50 Jahre bei der Diabetestherapie etwas falsch gemacht haben“, so die Selbstkritik des Diabetologen. Die bisherige Behandlung fokussierte auf den Glukosespiegel, ohne den Kalorienüberschuss zu kontrollieren. „Weil Empaglifozin für eine Glukoseexkretion sorgt, macht es genau das“, bietet Inzucchi als mögliche Erklärung an.
Primärer Endpunkt „3-Point-MACE“ um 14 Prozent signifikant reduziert
Er stellte die Ergebnisse in Detail vor: Der primäre Endpunkt aus kardiovaskulärer Mortalität sowie nicht-tödlichem Myokardinfarkt und Schlaganfall – „3-Point-MACE“ – war in der Intention-to-Treat-Population nach einer durchschnittlich dreijährigen Behandlung unter Empagliflozin in der Dosis von 10 mg oder 25 mg (zusammen) vs. Placebo um relative 14% reduziert (Hazard Ratio: 0,86). Das Konfidenzintervall, das mit einer Grenze von 95,02% definiert war, reichte von 0,74 – 0,99; der p-Wert lag bei 0,0382 – und damit signifikant.
Wurden Empagliflozin 10 mg und 25 mg getrennt ausgewertet, war der Vorteil für Empagliflozin gerade eben nicht mehr signifikant: Für die 10-mg-Dosis lag die Hazard Ratio bei 0,85 (95%-KI: 0,72 -–1,01) und der p-Wert bei 0,0668; für die 25-mg-Dosis lag sie bei 0,86 (95%-KI: 0,73 – 1,02) und p war 0,0865. „Dass die p-Werte hier nicht mehr signifikant sind, war zu erwarten, denn jede dieser Gruppen repräsentiert ja nur die Hälfte der Empagliflozin-Patienten“, erklärte Inzucchi.
Auch beim sekundären Endpunkt – 4-Point-MACE –, der zusätzlich noch Hospitalisierungen wegen instabiler Angina pectoris umfasste, verfehlte Empagliflozin – einzeln oder in beiden Dosen zusammen – knapp die Signifikanz.
Empagliflozin: Bei kardiovaskulärer und Gesamtmortalität klar überlegen
Das konnte aber die Begeisterung für die Studienergebnisse nicht trüben. Denn der Vorteil für Empagliflozin war gerade vom wohl bedeutsamsten Bestandteil des 3-Point-MACE getrieben: Die Empagliflozin-Patienten schnitten bei der kardiovaskulären Mortalität deutlich besser ab; es blieben mehr Patienten der aktiv behandelten Gruppe am Leben.
Und hier gab es wirklich große Unterschiede: Die Hazard Ratio für das kardiovaskuläre Sterberisiko betrug unter Empagliflozin (beide Dosen) vs. Placebo 0,62 (95%-KI: 0,49 – 0,77; p < 0,0001). Auch bei der Einzelauswertung der 10-mg- oder 25-mg-Dosis blieb Empagliflozin hinsichtlich der kardiovaskulären Mortalität hochsignifikant überlegen im Vergleich zu Placebo.
Ähnlich sah es bei der Gesamtsterblichkeit aus: Sie war in der Empagliflozingruppe um 32% verringert (HR: 0,68; 95%-KI: 0,57 – 0,82; p < 0,0001). Und schließlich war auch die Zahl der Herzinsuffizienzpatienten mit Klinikaufenthalt unter Empagliflozin deutlich reduziert (HR: 0,65; 95%-KI: 0,50 – 0,85; p = 0,0017).
Die Zahl der nicht-tödlichen Herzinfarkte war hingegen unter Empagliflozin „nur“ nicht-signifikant niedriger und die Zahl der nicht-tödlichen Schlaganfälle tendenziell sogar etwas erhöht. „Keine dieser beiden Komponenten des primären Endpunkts wurde durch die Therapie statistisch signifikant beeinflusst“, kommentierte Inzucchi. „Die meisten der tödlichen oder nicht-tödlichen Schlaganfälle traten mehr als 30 Tage nach Therapiestopp auf“, ging er ins Detail. In der On-treatment-Analyse – ohne diese späten Ereignisse – näherte sich die Hazard Ratio dieses Endpunkts der Neutralität (mit 1,04).
Weitere Pluspunkte bei den sekundären Endpunken
Zu den sekundären Endpunkten, die unter Empagliflozin signifikant oder tendenziell günstiger ausgefallen waren, zählten der HbA1c-Wert, der systolische Blutdruck sowie Körpergewicht und Taillenumfang. Das HDL-, aber auch das LDL-Cholesterin stiegen leicht an.
Die HbA1c-Senkung, verglichen mit Placebo, betrug nach den ersten 12 Wochen (in denen die antiglykämische Therapie nicht verändert wurde) in der 10-mg-Gruppe 0,54% und in der 25-mg-Gruppe 0,60%. In Woche 94 lagen diese Unterschiede bei 0,42% bzw. 0,47% und in Woche 206 waren es 0,24 bzw. 0,36%.
Obwohl also in dieser Studie keine „glycemic equipoise” angestrebt wurde, gehen die kardiovaskulären Vorteile, insbesondere die reduzierte kardiovaskuläre Mortalität, sicherlich nicht auf das Konto der Glukosereduktion – nicht in dieser kurzen Zeit.
Dies bestätigte auch Prof. Dr. Hertzel Gerstein, Hamilton, Kanada, in seinem Kommentar: „Bei 7.020 Menschen reduzierte Empagliflozin die kardiovaskuläre Mortalität und die Herzinsuffizienz-Hospitalisierung, und dies begann innerhalb von drei Monaten”, betonte er und führte weiter aus:„Ich denke, es ist sehr unwahrscheinlich, dass das ein Effekt der Glukosesenkung – oder überhaupt ein Effekt hinsichtlich der Atherosklerose – ist; die Zeit bis zum Einsetzen ist zu schnell für eine metabolische Intervention, und der HbA1c-Unterschied ist mit 0,4 Prozent zu klein dafür.”
Diesen Artikel so zitieren: EMPA-REG-Studie zu Empagliflozin bejubelt: Erstmals senkt ein Antidiabetikum die kardiovaskuläre Mortalität - Medscape - 18. Sep 2015.
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