
Prof. Dr. Hermann Brenner
Darmkrebsvorsorge mittels Koloskopie ist Goldstandard, aber: Prof. Dr. Hermann Brenner vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg sieht inzwischen die Gefahr zu häufiger Kontrollen. „Die Herausforderung ist nun, für Patienten mit kleineren Adenomen sinnvolle Intervalle für die Kontrolluntersuchung zu definieren“, meint der Leiter der Abteilung für Klinische Epidemiologie und Alternsforschung am DKFZ in einer aktuellen Pressemitteilung.
Hintergrund dieser Befürchtungen ist das eigentlich erfreuliche Ergebnis einer Studie des DKFZ unter Leitung von Brenners Arbeitsgruppe. Es bescheinigt dem Deutschen Vorsorgeprogramm aufgrund der hohen Adenom-Detektionsrate eine gute Qualität: In der Zeitspanne von 2003 bis 2012 sind sowohl bei Männern als auch bei Frauen unabhängig vom Alter zunehmend mehr Gewebeveränderungen entdeckt worden, wie in Gastroenterology zu lesen ist [1].

Prof. Dr. Thomas Seufferlein
Auch Prof. Dr. Thomas Seufferlein vom Universitätsklinikum in Ulm sieht eine Notwendigkeit, das Vorsorgeprogramm zu modifizieren, obwohl in den letzten Jahren die Kontrollintervalle für Koloskopien nach einer Polypenabtragung entsprechend neuerer Forschungsergebnisse angepasst worden sind. Aber, so die Empfehlung des Direktors der Inneren Medizin I gegenüber Medscape Deutschland, man müsse den Untersuchern klare Kriterien an die Hand geben können, was das Entartungsrisiko betreffe.
Welche früh entdeckten Polypen müssen raus?
Da auch kleine Polypen entarten können, ist für Seufferlein die Größe allein kein sicheres Kriterium. „Wir haben mittlerweile Daten, die zeigen, dass durch Entfernung von Polypen die Darmkrebssterblichkeit reduziert werden kann. Allerdings wissen wir auch, dass das Darmkrebsrisiko von Polypen unterschiedlich ist“, erklärt der Sprecher des Ulmer Darmzentrums.
Er verweist dabei auf laufende Studien, die zeigen sollen, ob durch spezifische endoskopische Verfahren – beispielsweise eine „virtuelle Pathologie“ während der Endoskopie – eine bessere Einschätzung von Polypen möglich ist und so Kriterien erstellt werden können, wann sie nicht abgetragen werden müssen.
Denn eine hohe Adenom-Detektionsrate – sie nennt den Prozentsatz der untersuchten Personen, bei denen mindestens ein Adenom entdeckt worden – macht die Vorsorge zwar effektiv. Je höher sie ist, als umso zuverlässiger gilt das Verfahren. Die Tatsache, dass es sich bei den erfassten Adenomen meist um kleine harmlose Neubildungen mit einem Durchmesser von weniger als einem Zentimeter handelt, hat jedoch eine Schattenseite. Denn damit steigt die Gefahr, dass mehr Kontrollen vorgenommen werden. Dies sollte daher bei den Empfehlungen an die Patienten berücksichtigt werden.
Darmspiegelung entdeckt Verdächtiges immer früher
Mittels Darmspiegelung lassen sich 95% der potentiell verdächtigen Gewebeveränderungen entdecken. 2002 in Deutschland als Vorsorgeprogramm der gesetzlichen Krankenkassen eingeführt, haben bis heute mehr als 5 Millionen Menschen über 55 Jahre daran teilgenommen.
Ausgewertet haben die Heidelberger Wissenschaftler alle Befunde über die 10 Jahre gemeinsam mit dem Team von Dr. Lutz Altenhofen vom Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung in Berlin. Danach stieg die Detektionsrate für nicht-fortgeschrittene Adenome zwischen 2003 und 2012 bei Männern von 13,3% auf 22,3%, bei Frauen von 8,4% auf 14,9%. Generell gilt, dass unabhängig vom Alter die Detektionsraten für die untersuchten Typen von Gewebeveränderungen – Neoplasien, nicht-fortgeschrittene Adenome, fortgeschrittene Adenome und kolorektale Karzinome – bei Männern stets höher ausfielen als bei Frauen.
Gegen Ende des untersuchten Zeitraumes entdeckten die Ärzte auch öfters fortgeschrittene Gewebeveränderungen und echten Darmkrebs als zu Beginn des Screening-Programms. Dieser Anstieg wird in der Studie aber als weniger drastisch beschrieben. Die Detektionsrate fortgeschrittener Adenome erhöhte sich bei Männern von 7,4 auf 9,0% und bei Frauen von 4,4 auf 5,2%. Für kolorektale Karzinome finden sich in der Studie keine prozentualen Angaben, da hier der Anstieg sehr gering ist.
Effizient, sicher und dennoch nicht beliebt
Die Ursache für die gestiegene Adenom-Detektionsrate sehen die Autoren eher einer stärkeren Verbreitung moderner leistungsfähiger Untersuchungsmethoden als in veränderten Lebensstilen innerhalb der Bevölkerung.
Nach Ansicht Seufferleins spielen für die Qualität eines Vorsorgeprogramms 2 Punkte eine herausragende Rolle: das Erreichen des Ziels sowie die Sicherheit des Programms. Die Studie von Brenner und seinen Kollegen belege eindrucksvoll, dass das Programm seit seiner Einführung in 2003 seine primäre Aufgabe immer besser erfülle.
Dazu habe neben Fortschritten in der Gerätetechnik auch die regelmäßige Fortbildung der teilnehmenden Mediziner beigetragen, meint der Ulmer Kliniker. „Obwohl damit immer mehr Polypen entfernt werden, ist es im untersuchten Zeitraum nicht zu einem Anstieg von Komplikationen wie Blutungen gekommen“, führt er weiter aus. Folglich erfüllt in seinen Augen das Programm auch das zweite Qualitätskriterium: Es ist sicher.
Laut Angaben des Zentralinstituts (ZI) für die Kassenärztliche Versorgung wird die Koloskopie zur Früherkennung von Darmkrebs von den Berechtigten derzeit nur wenig in Anspruch genommen. In 10 Jahren haben sich 20,1% der Frauen und 18,3% der Männer diesbezüglich untersuchen lassen. Die Autoren der Adenom-Studie betrachten es deshalb als die größte Herausforderung, diese Quote in Deutschland zu steigern. Einen besonders erfolgversprechenden Ansatz sehen sie in der Etablierung eines organisierten Früherkennungsprogramms für Darmkrebs, dessen gesetzliche Grundlage der Deutsche Bundestag bereits Anfang 2013 verabschiedet hat und an dessen Umsetzung derzeit gearbeitet wird.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Darmkrebsvorsorge wird immer effektiver – aber wie lässt sich die Gefahr zu häufiger Kontrollen eindämmen? - Medscape - 18. Sep 2015.
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