SPRINT-Studie torpediert aktuelle Hypertonie-Leitlinien: Eindeutiger Nutzen eines Blutdruckziels unter 120 mmHg

Sonja Böhm, Michael O’Riordan

Interessenkonflikte

16. September 2015

Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln – dieses Sprichwort beschreibt vielleicht am besten, was sich derzeit bei den Behandlungszielen der Blutdrucksenkung tut. Eine vorzeitig beendete große US-Studie, die von den NIH (National Institutes of Health) finanziert worden ist, wirft nun die gerade vor 2 Jahren aktualisierten Hypertonie-Leitlinien, in denen die Blutdruckziele gelockert worden waren, wieder über den Haufen.

Wie tief sollte der systolische Blutdruck gesenkt werden? Das war die Studienfrage der NIH-Studie SPRINT (Systolic Blood Pressure Intervention Trial). In den letzten (europäischen) Hypertonie-Leitlinien hatte man sich noch auf 140 mmHg für nahezu alle Patientengruppen geeinigt. Die vorliegenden Daten stützen keine niedrigeren Therapieziele, hieß es damals. Das hat sich seit Freitag vergangener Woche geändert.

SPRINT-Studie wegen „möglicherweise lebensrettenden Informationen“ vorzeitig beendet

An diesem Tag wurde von offizieller Seite das vorzeitige Ende von SPRINT verkündet – mehr als 1 Jahr vor dem geplanten Abschluss – mit dem Hinweis, die Studienfrage sei hinreichend beantwortet und die Studie gebe „möglicherweise lebensrettende Informationen“ [1]. Sogar der New York Times war dies am gleichen Tag noch einen großen Artikel wert.

 
Diese Studie belegt, dass ein intensives Blutdruck-Management kardiovaskuläre Komplikationen der Hypertonie verhindern und Leben retten kann. Prof. Dr. Jackson Wright
 

Das Ergebnis der Studie: Eine intensive Blutdruck-senkende Strategie, die ein systolisches Blutdruckziel von unter 120 mmHg anstrebt, reduziert das Risiko für Tod oder ein kardiovaskuläres Ereignis signifikant stärker als das konventionelle Behandlungsziel.

Studienteilnehmer waren „Hochrisiko-Hypertoniker“ im Alter über 50 Jahre mit mindestens einem zusätzlichen kardiovaskulären Risikofaktor oder einer Nierenerkrankung. Bei einem systolischen Ziel von 120 statt 140 mmHg nahm ihr Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis um relativ 30% ab, ihr Sterberisiko verringerte sich um nahezu ein Viertel.

„Diese Studie belegt, dass ein intensives Blutdruck-Management kardiovaskuläre Komplikationen der Hypertonie verhindern und Leben retten kann“, wird Prof. Dr. Jackson Wright, Case Western Reserve University, Cleveland, Ohio, einer der SPRINT-Hauptuntersucher von Medscape .com zitiert. 

Die SPRINT-Autoren gaben bei ihrer Pressekonferenz zum vorzeitigen Studienende keine Details zu den Ereignisraten oder der absoluten Risikoreduktion bei den Endpunkten bekannt. Sie wiesen nur darauf hin, dass der Unterschied in den Ereignisraten groß genug gewesen sei, um das SPRINT Data Safety and Monitoring Board (DSMB) zu veranlassen, die Studie vorzeitig zu beenden. Es sei geplant, die Ergebnisse bei einem großen Fachjournal einzureichen und noch in diesem Jahr zu publizieren.

 
Der optimale Blutdruck unter Behandlung ist offensichtlich niedriger als dies in bisherigen Studien dokumentiert worden ist. Prof. Dr. Franz Messerli
 

„Klare Antwort“ zum Blutdruckziel aus einer großen, robusten Studie

Medscape.com zitiert den Hypertonie-Experten Prof. Dr. Scripal Bangalore, New York University School of Medicine, der nicht an der Studie beteiligt war. Er verweist ebenfalls darauf, dass es in der Vergangenheit „einiges Auf und Ab“ gegeben hat zu der Frage, was das ideale Blutdruck-Ziel ist. „Ich denke, nun haben wir aber eine klare Antwort aus einer sehr großen, robusten Studie.“

Allerdings, so räumt er auch ein, müsse nun zunächst das gesamte Daten-Set analysiert werden, bevor eindeutige Konsequenzen aus der Studie gezogen werden könnten. Jedoch würden die Resultate aus SPRINT mit Sicherheit die bisherigen Empfehlungen ziemlich durcheinander wirbeln.

Ähnlich sieht es auch Prof. Dr. Franz Messerli, St. Luke’s-Roosevelt Hospital, New York. Wie er gegenüber Medscape.com sagte, „werden die Resultate, wenn sie gefestigt sind – und da SPRINT vorzeitig beendet wurde, gibt es wohl keine Zweifel, dass sie dies sind – wohl einiges, was wir bislang zu J-förmigen Kurve beim Blutdruckverlauf angenommen haben, ad absurdum führen“. Dies müsse nicht bedeuten, dass es die J-Kurve – also die inverse Relation zwischen Blutdruck und kardiovaskulärem Ereignisrisiko bei niedrigen Blutdruckwerten – gar nicht gebe. Er sagte dies mit der Randbemerkung, dass ein Blutdruck von null natürlich den Tod bedeute. Aber der „optimale Blutdruck unter Behandlung ist offensichtlich niedriger als dies in bisherigen Studien – einschließlich einigen, an denen ich beteiligt war – dokumentiert worden ist“, so Messerli weiter.

 
Dies wird uns als Richtschnur dienen und dazu beitragen, eine signifikante Zahl von Menschen vor dem Tod zu bewahren. Prof. Dr. Mark Creager
 

Die New York Times zitiert Prof. Dr. Mark Creager, Präsident der American Heart Association (AHA) und Direktor am Herz- und Gefäßzentrum des Dartmouth-Hitchcock Medical Center, der ebenfalls nicht an der Studie beteiligt war, mit den Worten: „Das sind herausragende Neuigkeiten. Dies wird uns als Richtschnur dienen und dazu beitragen, eine signifikante Zahl von Menschen vor dem Tod zu bewahren.“ Und Prof. Dr. J.F. Michael Gaziano kommentierte, dass diese Studie nach seiner Ansicht die Einschätzung der Hypertonie ebenso verändern wird, wie dies die ersten Studien zur Cholesterinsenkung getan haben, die dazu führten, das „The lower, the better“-Prinzip für das LDL-Cholesterin zu etablieren.

Rund ein Viertel der Teilnehmer waren 75 Jahre oder älter

SPRINT hat an 100 klinischen Zentren in den USA und Puerto Rico stattgefunden. Es waren etwa 9.300 Patienten zu 2 Behandlungsstrategien randomisiert worden. Nach Angaben von Prof. Dr. Gary Gibbons, Direktor des National, Heart, Lung, and Blood Institute (NHLBI), ist SPRINT schon vor mehr als 10 Jahren geplant worden. Der Grund war, dass zwar Einigkeit darüber herrschte, dass die Blutdrucksenkung ein wichtiger Ansatz ist, um kardiovaskuläre Ereignisse zu verhindern, aber Unklarheit bestand, wie stark diese Blutdrucksenkung sein sollte. Er bezeichnete die jetzt generierten Informationen aus SPRINT als „möglicherweise lebensrettend“.

Kommentar

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