Ärzte prangern Lieferengpässe für wichtige Medikamente in Deutschland an: „Es geht hier letztendlich um Leben und Tod“

Gerda Kneifel

Interessenkonflikte

14. September 2015

Angefangen hat es in den USA, wo man gar die Zahl der Toten bezifferte, die solche Engpässe verschuldeten (wie Medscape Deutschland berichtete). Hierzulande wollen viele noch nicht von derlei Zusammenhängen sprechen, doch wenn Krebspatienten ein nicht zu ersetzendes Erfolg versprechendes Medikament nicht mehr zugänglich ist, bleibt das nicht ohne Folgen. De With jedenfalls nimmt kein Blatt vor den Mund: „Wir müssen Mechanismen der Vorsorge finden, so dass keine Engpässe auftreten – oder zumindest für Warnsysteme sorgen. Es geht hier ja letztendlich um Leben und Tod.“

In den USA hat Barack Obama der Food and Drug Administration (FDA) weitreichendere Möglichkeiten an die Hand gegeben, die Hersteller in die Pflicht zu nehmen. Seither sind die Engpässe, die im Jahr 2011 mit 267 neuen Lieferengpässen ihren Höchststand erreicht hatten, wohl auch dank neuer Verordnungen zu frühzeitigen Warnungen wieder zurückgegangen.

Strengere Vorgaben für Pharmaunternehmen sind hierzulande bislang nicht vorgesehen. „Die Klinikapotheken haben – nachdem das Ampicillin nicht geliefert worden war – beim Pharmaunternehmen nachgefragt und von der Lieferunfähigkeit erfahren. Oder sie haben es online gelesen“, beschwert sich Vehreschild. Und seitens der Politik passiere zumindest nichts Sichtbares, meint der Kölner Internist. Zwar gibt es ein Online-Meldesystem beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das allerdings nur auf freiwilligen Angaben basiert und entsprechend unvollständig ist. Mit Zwangsmaßnahmen wie in den USA rechnet der Kölner allerdings so schnell nicht.

Die Industrie ist nicht kooperativ

Allein auf den Goodwill der Pharmaunternehmen zu setzen, hat sich nach Ansicht Vehreschilds bisher aber auch nicht bewährt. Dass er damit nicht unrecht hat, zeigt sich auch an der Tatsache, dass Hersteller sich nicht scheuen, die Preise für Medikamenten-Restbestände in astronomische Höhen zu schrauben, wie aus einer gemeinsamen Pressemeldung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), des ADKA sowie der Deutschen Gesellschaft für Onkologische Pharmazie (DGOP) e.V. hervorgeht [3]. Nachdem deutsche Kliniken zu Beginn des Lieferengpasses in den USA nach Beständen von Melphalan angefragt hatten, sollte ein Melphalan-Generikum statt bislang 150 Euro pro 50 mg plötzlich 4.170 Euro pro 50 mg kosten.

 
Wir müssen Mechanismen der Vorsorge finden, so dass keine Engpässe auftreten – oder zumindest für Warnsysteme sorgen. Dr. Dr. Katja de With
 

Der globale Markt ist Experten zufolge einer unter mehreren Auslösern für die zunehmenden Lieferausfälle. Ein Beispiel ist laut Vehreschild auch Ampicillin. „Gerade in Deutschland wird die Kombination Ampicillin und Sulbactam in Kliniken sehr oft verwendet, an der Uniklinik Köln macht es in manchen Monaten ein Drittel aller Antibiotika-Verordnungen aus“, so der Infektiologe.

International werde dagegen eher die Kombination Amoxicillin mit Clavulansäure verschrieben. „Hierfür gab es unseren Recherchen nach ebenfalls Engpässe, etwa in Australien, den USA und Südafrika. Womöglich haben diese Länder deswegen vermehrt Ampicillin/Sulbactam nachgefragt. Und da diese Länder einen höheren Preis zahlen, könnte es sein, dass sie auch Lieferungen erhalten haben, was die Situation hierzulande noch verschärft haben könnte.“

Warum dann nicht in anderen Ländern nach Amoxicillin und Clavulansäure nachfragen? „Das würde die Bürokratie überborden lassen und die Kosten pro Patient massiv erhöhen“, weiß Vehreschild. „Diese Zusammenhänge am globalen Markt lassen sich natürlich nicht belegen, es sind reine Vermutungen“, so Vehreschild.

Mehr Generika nötig

Dennoch könnte hierin eine Lösung des Problems liegen: In Deutschland mit seiner rigiden Preispolitik und den Rabattverträgen mit den Krankenkassen ist die Produktion von Generika kaum noch lohnend. Es gibt für wichtige Medikamente nur noch wenige oder gar nur einen Hersteller. Gerät der in Produktionsschwierigkeiten, kommt es sofort zu Engpässen.

Wäre es für die pharmazeutische Industrie wieder lohnend, Medikamente auch in Deutschland zu verkaufen und nicht andere Länder zu bevorzugen, die höhere Preise zahlen, wäre zumindest eine Stellschraube bei Lieferengpässen gelockert.

 

REFERENZEN:

1. Pressemeldung der DGI und des ADKA vom 31. August 2015

2. Pressemeldung der DGHO vom 31. August 2015

3. Pressemeldung der AkdÄ, des ADKA sowie der DGOP e.V. vom 28. August 2015

Kommentar

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