In diesem Sommer mussten Kliniken gleich auf mehrere wichtige Medikamente verzichten – und müssen es zum Teil noch bis zum kommenden Jahr. Ampicillin zum Beispiel ist von heute auf morgen praktisch vom deutschen Markt verschwunden. Bis 2016, so teilt der Hersteller mit, wird das Antibiotikum nicht mehr lieferbar sein.

PD Dr. Jörg Janne Vehreschild
„Es ist eines der am meisten verwendeten intravenösen Antibiotika in Deutschland“, berichtet PD Dr. Jörg Janne Vehreschild, Infektiologe am Universitätsklinikum Köln und Gründungsmitglied des dortigen Antibiotika-Stewardship-Programms. „Sämtliche von uns befragten Kliniken haben gemeldet, dass sie über kein Ampicillin mehr verfügen.“
Vehreschild ist Mitinitiator einer Pressemeldung der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie e.V. (DGI) und des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) von Ende August 2015 [1]. „Es hat in den vergangenen 20 Jahren in Deutschland keine derart häufigen und schweren Ausfälle wichtiger Medikamente gegeben – Medikamente, die jeder Student aus dem Einmaleins der Medizin kennt.“
Bei Antibiotika hat es mit Penicillin angefangen
Die Engpässe betreffen vor allem Krankenhausapotheken im ganzen Land. „Manche Klinikapotheken müssen vorhandene Reserven streng rationieren, während andere noch ausliefern, aber nur noch sehr kurze Zeit lieferfähig sind“, beschreibt Dr. Matthias Fellhauer, Ausschussvorsitzender beim ADKA, die Lage.

Dr. Dr. Katja de With
Seit einigen Jahren wird immer wieder von Arzneimittel-Lieferengpässen berichtet. „Begonnen hat es irgendwann mit intramuskulärem Penicillin, auch ambulant“, erinnert sich Dr. Dr. Katja de With, Leiterin des Zentralbereichs Klinische Infektiologie am Universitätsklinikum Dresden. „Dann kam es auch zu Engpässen bei intravenösen Penicillinen, wie nun dem Ampicillin, das in der Monotherapie lebensnotwendig ist, zum Beispiel bei Herzklappeninfektionen mit dem Erreger Enterococcus faecalis. Zudem betreffen die Engpässe auch weitere Antibiotika, wie Flucloxacillin, ein Medikament, das Sepsis-Patienten mit Staphylococcus aureus-Infektionen gegeben wird. Es ist eine Katastrophe.“
In Kombination mit Sulbactam zählt das intravenös verabreichte Ampicillin zu den sehr häufig verschriebenen Antibiotika etwa gegen Pneumonien, Haut- und Weichteilinfektionen, Infektionen im Kopf- und Halsbereich sowie generell bei Wundinfektionen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat es auf die „Liste der unentbehrlichen Arzneimittel“ gesetzt und das Medikament damit in die höchste Bedarfs-Kategorie eingestuft.
Kliniken versuchen sich zu arrangieren
In Köln versucht man sich auf den Mangel einzustellen. „Wir erwarten keine nennenswerte Lieferung mehr und haben das Medikament komplett ausgeplant. Dafür haben wir sämtliche Abteilungen im Hause befragt, wozu sie Ampicillin genutzt haben und wie es zu ersetzen ist“, berichtet Vehreschild über die Tätigkeiten des Antibiotika-Stewardship-Teams. Als Ersatz wird nun häufig auf Cephalosporine, oft in Kombination mit Metronidazol, zurückgegriffen.
Beide für sich genommen haben bezüglich Verträglichkeit und Folgeerscheinungen Nachteile gegenüber der Kombination Ampicillin und Sulbactam. „Cephalosporin als Breitbandantibiotikum selektiert zudem multiresistente Erreger wie ESBL-produzierende Enterobakterien sowie Clostridium difficile heraus“, betont Vehreschild. „Das führt nicht zuletzt zu häufigeren Folgeerkrankungen mit den entsprechenden Belastungen für unsere Patienten und zu hohen Folgekosten.“
Womit die Lieferausfälle auch das vom Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) medienwirksam eingeläutete 10-Punkte-Programm zur Bekämpfung resistenter Keime weiter ins Hintertreffen bringen. „Den Plan können wir mit den Arzneimittelknappheiten aus klinisch infektiologischer Sicht nicht mehr einhalten”, macht de With klar.
„Es gibt noch keinen echten Grund zur Panik“; ergänzt Vehreschild, „aber die Komplexität steigt, und die Ärzte müssen sich differenzierter mit Antibiotika auskennen. Und die Fortschritte, die wir mit unserem Antibiotic-Stewardship-Programm zum zielgerichteten und sparsamen Einsatz von Antibiotika erzielt haben, werden damit gerade wieder zurückgefahren.“
Auch bei Zytostatika Lieferengpässe
Vehreschild sorgt sich als Facharzt für Hämatologie und Onkologe aber auch um seine Krebspatienten. Denn nahezu zeitgleich mit Ampicillin kam es auch bei dem Zytostatikum Melphalan zur vorübergehenden Lieferunfähigkeit.
Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) meldete in einer Pressemeldung ebenfalls Ende August [2]: „In diesem Sommer hat über fünf Wochen ein Lieferengpass bei Melphalan bestanden, einem unverzichtbaren Arzneimittel in der Behandlung von Patienten mit Multiplem Myelom. Melphalan gehört seit Jahrzehnten zur Standardtherapie bei älteren Patienten.“
Aber auch jüngere Patienten profitieren im Zuge einer Stammzelltransplantation von dem Arzneimittel. Auch wenn der Hersteller am Tage der Presseaussendung signalisierte, dass er wieder lieferfähig sei, das Grundproblem bleibe bestehen. „Betroffen sind fast alle Krebserkrankungen“, verlautet aus der DGHO.
Lieferengpässe nehmen zu – was tun?
Die jetzigen Engpässe sind nicht die ersten ihrer Art, und sie werden nicht die letzten sein. Das Problem nimmt in Deutschland und weltweit seit Jahren zu – im stationären, in den vergangenen Jahren aber auch vermehrt im ambulanten Bereich.
Diesen Artikel so zitieren: Ärzte prangern Lieferengpässe für wichtige Medikamente in Deutschland an: „Es geht hier letztendlich um Leben und Tod“ - Medscape - 14. Sep 2015.
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